Wilhelm Roskamm | Universität der Künste Berlin / University of the Arts Berlin (original) (raw)
Papers by Wilhelm Roskamm
J.B. Metzler eBooks, 2020
Brill | Fink eBooks, Aug 8, 2022
一般社団法人日本機械学会, May 5, 2002
In: Regards croisés, Nr. 2: Le Gothique. (traduction française d’Emmanuel Faure), 2014
in: Regards croisés, Nr. 2: Le Goethique, 2014
In Stephan Günzel (Hrsg.): Lexikon der Raumphilosophie; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft., 2012
In: Werner Busch, Carolin Meister: Nachbilder. Das Gedächtnis des Auges in der Kunst; Zürich, Berlin: Diaphanes, S. 215-239., 2011
In: Schöngeist. Magazin für Kunst, Leben, Denken, H. 21, S. 32-37., 2009
Das Schöpferische und die Freude Die Zeit "wird sich als das offenbaren, was sie tatsächlich ist,... more Das Schöpferische und die Freude Die Zeit "wird sich als das offenbaren, was sie tatsächlich ist, nämlich fortdauernde Schöpfung, ununterbrochenes Hervorquellen von Neuem." Henry Bergson Wohl kaum ein Philosoph -außer vielleicht Nietzsche -wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts von so vielen Künstlern und Schriftstellern rezipiert wie der französische Philosoph Henri Bergson (1859 -1941). Obwohl Bergson weder eine Ästhetik geschrieben, noch sich ausführlicher über Kunst oder zu einzelnen Kunstwerken geäußert hat, gibt es eine Affinität seiner Philosophie zur Kunst und zahlreiche Korrespondenzen zwischen beiden. Diese Korrespondenzen lassen sich durch einzelne Begriffe und Denkfiguren näher bestimmen. Das Thema der inneren Zeit und des Bewußtseinsstroms, das Verhältnis zur Vergangenheit und der Möglichkeit des Erinnerns und Vergessens ist vor allem für die Literatur bedeutsam gewesen. So hatte Proust nach dem Erscheinen des ersten Bandes von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit diesen Romanzyklus trotz einiger konzeptioneller Unterschiede als "Bergson-Roman" bezeichnet 1 . Aber auch auf die bildende Kunst hat Bergson gewirkt. Diese Korrespondenzen beziehen sich vor allem auf formale Aspekte: zu denken ist dabei an das Verhältnis von Bild und Bewegung bei Boccioni oder an das Verhältnis von Simultanität und Licht bei Delauney. Die Bedeutung von Bergsons Denken für die Kunst gipfelt in der These von Deleuze, dass der Film als Medium und Kunstform an sich bergsonistisch ist 2 . Im Zentrum von Bergsons Affinität zur Kunst steht der Begriff des Schöpferischen. In seinem 1907 erschienen Buch Die Schöpferische Entwicklung, in dem er sich vor allem mit der Evolutionstheorie auseinandergesetzt hat und für das er 1928 den Nobelpreis für Literatur erhielt, stellte Bergson diesen Begriff zum ersten Mal ausführlich dar. Welche Bedeutung die Lektüre von Bergsons Schriften annehmen konnte, hat Henry Miller in bezug auf dieses Buch eindrücklich beschrieben: "Ich komme auf das Wort schöpferisch zurück. Ich bin sicher, daß das ganze Geheimnis darin liegt, sich den genauen Sinn dieses Wortes zu vergegenwärtigen. Wenn ich heute an dieses Buch und die Art denke, wie ich mich ihm näherte, dann erinnert mich das an einen Menschen, der die Initiationsriten durchläuft. Die Desorientierung und die Neuorientierung, die mit jeder Initiation in jede Geheimlehre einhergehen, sind das wunderbarste Erlebnis, das man haben kann. Alles, was sich das Gehirn ein Leben lang bemüht hat, sich einzuverleiben, nach Kategorien zu ordnen und zusammenzufügen, muß auseinandergenommen und neu geordnet werden. Umzugstag der Seele! Und natürlich geht das nicht einen Tag, sondern Wochen und Monate so weiter." 3 Dieser Begriff des Schöpferischen bezieht sich nicht nur auf die Kunst, sondern auf alle Bereiche des Lebens. Er reicht von der Evolutionstheorie, über das wissenschaftliche Denken, zum alltäglichen und moralischen Handeln bis hin zu dem, was Foucault als "Ästhetik der Existenz" bezeichnet hat. So spricht Bergson von einer "Erschaffung seiner selbst durch sich selbst" 4 und vergleicht diese Möglich keit der Selbsterschaffung der eigenen Person mit der Kunst.
In: Kammler, Clemens; Parr, Rolf; Schneider, Ulrich Johannes (Hg.): Foucault-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart, Weimar: Metzler, S. 117-124., 2008
In: Schöngeist. Magazin für Kunst, Leben, Denken, H. 16 Begegnung, S. 34–38., 2008
Die Begegnung mit der Philosophie Jede Einstellung zum Buch, die dem Leser einen besonderen Respe... more Die Begegnung mit der Philosophie Jede Einstellung zum Buch, die dem Leser einen besonderen Respekt abverlangt, eine andersartige Aufmerksamkeit, ist obsolet. Begriffe sind wie Töne, Farben oder Bilder -Intensitäten, die dir passen oder nicht, die passieren oder nicht. Gilles Deleuze Die Philosophie ist kein geschlossenes System, keine Metaphysik, die unabhängig von der Wirklichkeit besteht. Die Philosophie ist eine praktische Tätigkeit, die im Ausgang von konkreten Situationen Begriffe erschafft, um mit ihnen die Wirklichkeit neu und anders zu denken. Die Philosophie findet nicht in Büchern statt, sondern philosophische Begriffe sind in der Welt. Die Welt ist immer schon von Diskursen und Begriffen durchdrungen. Die Philosophie begegnet der Welt und ihren Begriffen und setzt ihnen neue entgegen. Oder was ungefähr auf dasselbe hinausläuft: Denken heißt differenzieren. Indem die Philosophie Begriffe erschafft, setzt sie neue Differenzen, verschiebt bestehende Begriffsunterschiede und ermöglicht dadurch, nicht nur neu zu denken, sondern auch anders zu leben. Den schöpferischen Charakter der Philosophie hat innerhalb der Philosophie vor allem Gilles Deleuze betont und setzt sich dadurch von anderen klassischen Auffassungen ab. "Die Philosophie ist nicht kommunikativ, sie ist auch nicht kontemplativ oder reflexiv: sie ist schöpferisch oder gar revolutionär, von Natur aus, da sie nicht aufhört, neue Begriffe zu erschaffen. Einzige Bedingung ist, dass diese Begriffe eine Notwendigkeit haben, aber auch eine Fremdheit, und sie haben sie beide in dem Maße, wie sie eine Antwort auf wirkliche Probleme darstellen. Der Begriff hindert das Denken daran, zur bloßen Meinung, Ansicht, Diskussion, zum Geschwätz zu werden." 1 Entsprechend diesem Verständnis von Philosophie ist sie nicht die Liebe zur Weisheit, sondern der Philosoph ist -wie man philosophia auch übersetzen kann -der Freund des Begriffs, der alte Begriffe aufgreift, sie in einen neuen Kontext stellt oder in bezug zu einer sich verändernden Wirklichkeit neue Begriffe erschafft. Folgt man dieser Bestimmung von Philosophie, dann besteht die Begegnung mit der Philosophie vor allem in der Begegnung mit philosophischen Begriffen. Zwar lesen wir philosophische Bücher und finden in ihnen zahlreiche Begriffe, die in ihrem immanenten und systematischen Zusammenhang eine neue Philosophie entstehen lassen. Doch bedarf es, um mit der Philosophie produktiv umzugehen, nicht des vollständigen Verständnisses eines Philosophen, sondern es sind immer nur einzelne Begriffe, die wir aufnehmen und in unser Denken integrieren können. Zu einer solchen Begegnung mit der Philosophie sind nicht unbedingt umfassende Texte notwendig, sondern es können schon einzelne Zitate ausreichen. Zur Veranschaulichung soll als Beispiel ein Zitat von Heidegger herangezogen werden. Dieses Zitat ist relativ unbekannt, es steht in seinen Nietzsche-Vorlesungen und hat den Vorteil, dass es unabhängig von seiner Philosophie zu verstehen ist. "Liebe ist nie blind, sondern hellsichtig; nur Verliebtheit ist blind, flüchtig und anfällig, ein Affekt, keine Leidenschaft. Zu dieser gehört das weit Ausgreifende, sich Öffnende [...]. Dieser Ausgriff in der Leidenschaft hebt uns aber nicht einfach über uns weg, er sammelt unser Wesen auf seinen eigentlichen Grund, er eröffnet diesen erst in der
In: Blümle, Claudia; Schäfer, Armin (Hg.): Struktur, Figur, Kontur. Abstraktion in Kunst und Lebenswissenschaften. Zürich, Berlin: Diaphanes, S. 223–250., 2007
In: Schöngeist. Magazin für Kunst, Leben, Denken, H. 9 Tanz, S. 41–45., 2006
Szenenwechsel in der Malerei: der Tänzer in der Arena "Zu einem bestimmten Zeitpunkt erschien ein... more Szenenwechsel in der Malerei: der Tänzer in der Arena "Zu einem bestimmten Zeitpunkt erschien einer Reihe von amerikanischen Künstlern die Leinwand plötzlich nicht mehr als eine Fläche, auf der ein wirklicher oder imaginierter Gegenstand reproduziert, neu entworfen, untersucht oder ‚ausgedrückt' werden sollte, sondern als eine Arena, in der es zu agieren galt. Nicht ein Bild gehörte auf die Leinwand, sondern ein Ereignis." Harold Rosenberg Die Grundlage von Jackson Pollocks (1912 -1956) berühmten getropften Bildern, den Drippings oder Drip-paintings, ist die Erfindung einer neuen Malpraxis, einer neuen Szene der Malerei. Diese neue Malszene, mit der Pollock seit Ende 1946 zu arbeiten begann, unterscheidet sich wesentlich von der Staffeleimalerei. Vergleicht man die gefilmten oder fotografierten Bilder von Hans Namuth, die er von Pollocks Arbeitsprozess machte (vgl. Abb. 1), mit der alten Malszene, dann zeigt sich die Radikalität von Pollocks Transformation der Malszene. Bei Pollock steht die Leinwand nicht mehr auf der Staffelei, sondern sie liegt auf dem Boden. Das klassische Werkzeug der Malerei, der Pinsel, wird nicht mehr als Pinsel, sondern als ein Art Stock verwendet. Mit ihm schleudert er die Farbe auf die Leinwand oder er lässt sie einfach nur abtropfen. Manchmal nimmt Pollock auch Spritzen oder mit Löchern versehene Dosen, um die Farbe -die nicht nur aus Öl, sondern auch aus Aluminium oder Lack bestehen kann -auf die Leinwand aufzutragen. Und teilweise werden die Farben ergänzt durch andere Materialien: dann werden Glasscherben oder Kieselsteine aufs Bild gestreut. Zu Pollocks Transformation der klassischen Malszene gehört nicht nur die Erfindung neuer Techniken und die Einführung neuer Werkzeuge und Materialien. In ihr verwandelt sich auch die Rolle des Künstlers. So wie der mit der Hand geführte Pinsel beim Drippen nicht mehr die Leinwand berührt, so steht der Maler in der neuen Malszene auch nicht mehr auf Augenhöhe vor seinem Bild. Die an der menschlichen Wahrnehmung und den Koordinaten des Sehens orientierte Staffeleimalerei wird gänzlich zugunsten einer neuen Orientierung aufgegeben. Pollock nimmt verschiedene Standorte
In: Schöngeist. Magazin für Kunst, Leben, Denken, H. 11 Es war einmal, S. 38–42., 2006
Das Gewesen-Sein gehört in gewisser Weise einer ‚dritten Gattung' an, die sich vom Sein wie vom N... more Das Gewesen-Sein gehört in gewisser Weise einer ‚dritten Gattung' an, die sich vom Sein wie vom Nicht-Sein radikal unterscheidet. Vladimir Jankelevitch Das Rätsel der Vergangenheit "Dies ist die Geschichte eines Mannes, der von einem Bild aus seiner Kindheit geprägt wurde. Die Szene, die ihn durch die Brutalität verstörte und deren Bedeutung er sehr viel später erfassen sollte, ereignete sich auf der großen Besucherterrasse von Orly, einige Jahre vor Ausbruch des III. Weltkrieges." So beginnt der Science-Fiction-Film La Jetée von Chris Marker aus dem Jahre 1962. In diesem Foto-Roman -zusammengesetzt ist der Film bis auf eine Ausnahme ausschließlich aus Standbildern -geht es um die Zeitreisen eines Mannes, der sich in einer vielleicht nicht allzu fernen Zukunft in der apokalyptischen Welt nach der Zerstörung von Paris befindet. Er wird von den Siegern des Krieges gezwungen, gefährliche Experimente an sich vornehmen zu lassen, um durch sie in die Vergangenheit oder die Zukunft reisen zu können. Ziel der Zeitreiseexperimente ist es, "Hilfe aus der Zeit herbeizuholen", da sie im Raum, in der radioaktiv verseuchten Welt, nicht mehr zu erwarten ist. Ausgewählt wird dieser Mann, weil er durch das Bild aus seiner Kindheit stark auf die Vergangenheit fixiert ist. Durch ein bestimmtes, aber nicht näher erklärtes, technisches Verfahren soll dieses Erinnerungsbild dem Mann die Reise in seine Vergangenheit ermöglichen. Nach zahlreichen vergeblichen Versuchen materialisiert sich diese Kindheitserinnerung, das Bild der Vergangenheit transformiert sich in eine reale Vergangenheit, die Zeit seiner Kindheit, und wird dadurch zum Medium, durch das der Zeitreisende immer wieder in diese Vergangenheit gelangen kann. Dort begegnet er der Frau, die Teil des Bildes aus seiner Kindheit war, lernt sie kennen, verliebt sich in sie und kehrt immer wieder durch die Zeit zu ihr zurück. Das Thema des Film ist also nicht nur eine Reise durch die Zeit, sondern auch ein Film über die komplexen Zusammenhänge von Liebe, Erinnerung, Zeit und schließlich: den Tod. Inspiriert durch die Diskussion über die Zeit als vierte Dimension des Raumes am Ende des 19. Jahrhunderts und dann durch die Relativitätstheorie wurde das Thema der Zeitreise zu einem beliebten Gegenstand der Science-Fiction. Am Anfang der Zeitreisefiktionalisierungen steht H.G. Wells Die Zeitmaschine. Dieser Roman erschien im Jahr der Erfindung des Films, also 1895, und wurde gleichzeitig mit Einsteins Veröffentlichung zur Speziellen Relativitätstheorie im Jahre 1905 ins Deutsche übersetzt. Die literarischen oder filmischen Gedankenexperimente der Science-Fiction setzen eine Auffassung von Zeit voraus, die sich radikal von klassischen Positionen unterscheidet. Diese Auffassung betrifft das Verhältnis von Sein und Zeit. In der Geschichte der Philosophie wurde immer wieder die Frage gestellt, ob die Zeit überhaupt existiere. Bezogen auf die Dimensionen der Zeit kann man diese Frage folgendermaßen formulieren: Wenn die Zukunft noch nicht ist, die Gegenwart vorübergeht und die Vergangenheit nicht mehr ist, wie kann man dann der Zeit Sein zusprechen? Was bei diesem Zeitbegriff nicht berücksichtigt wird, ist die Asymmetrie von Vergangenheit und Zukunft. Zu einer gewissen Zeit war ja die Vergangenheit, es gibt ein Gewesen-Sein der Vergangenheit, während das Noch-Nicht-Sein der Zukunft diese unbestimmt lässt: die Zukunft hat kein Sein, sondern ist reine Möglichkeit. Unter der Voraussetzung des Nicht-Seins der Zeit wird die Vergangenheit zu einem Rätsel: was ist sie, wenn wir uns an sie erinnern können und von ihr Geschichten erzählen? schöngeist 38
in Episteme. Online-Magazin für eine Philosophie der Praxis, H. 4, 2008
Paul Ricoeur hatte einmal vom "Skandal des Bösen" gesprochen. Nun besteht der eigentliche Skandal... more Paul Ricoeur hatte einmal vom "Skandal des Bösen" gesprochen. Nun besteht der eigentliche Skandal des Bösen heutzutage nicht in der Existenz oder der Möglichkeit des Bösen überhaupt, sondern eher in der inflationären Verwendung dieses Ausdrucks. Was auch immer als böse bezeichnet wird, es bleibt dabei das Denken des Bösen aus seinen Entstehungsbedingungen auf der Strecke. Stattdessen wird das Böse zu einer affektiv aufgeladenen, unerklärlichen Begebenheit, die es in einem (selbst-)affirmativen Aktionismus zu bekämpfen gilt. Aber vermehrt sich dadurch nicht erst das Böse? Nicht nur in dem Sinne, dass im Namen des Kampfes gegen das Böse gerade das Böse getan wird, sondern auch in Bezug auf das "ursprünglich" Böse. Im Sinne einer Erschaffung des Bösen ließe sich auch Ricoeur verstehen, wenn man ihn etwas gegen den Strich liest:
In: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart, Weimar: Metzler., 2000
Books by Wilhelm Roskamm
J.B. Metzler eBooks, 2020
Brill | Fink eBooks, Aug 8, 2022
一般社団法人日本機械学会, May 5, 2002
In: Regards croisés, Nr. 2: Le Gothique. (traduction française d’Emmanuel Faure), 2014
in: Regards croisés, Nr. 2: Le Goethique, 2014
In Stephan Günzel (Hrsg.): Lexikon der Raumphilosophie; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft., 2012
In: Werner Busch, Carolin Meister: Nachbilder. Das Gedächtnis des Auges in der Kunst; Zürich, Berlin: Diaphanes, S. 215-239., 2011
In: Schöngeist. Magazin für Kunst, Leben, Denken, H. 21, S. 32-37., 2009
Das Schöpferische und die Freude Die Zeit "wird sich als das offenbaren, was sie tatsächlich ist,... more Das Schöpferische und die Freude Die Zeit "wird sich als das offenbaren, was sie tatsächlich ist, nämlich fortdauernde Schöpfung, ununterbrochenes Hervorquellen von Neuem." Henry Bergson Wohl kaum ein Philosoph -außer vielleicht Nietzsche -wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts von so vielen Künstlern und Schriftstellern rezipiert wie der französische Philosoph Henri Bergson (1859 -1941). Obwohl Bergson weder eine Ästhetik geschrieben, noch sich ausführlicher über Kunst oder zu einzelnen Kunstwerken geäußert hat, gibt es eine Affinität seiner Philosophie zur Kunst und zahlreiche Korrespondenzen zwischen beiden. Diese Korrespondenzen lassen sich durch einzelne Begriffe und Denkfiguren näher bestimmen. Das Thema der inneren Zeit und des Bewußtseinsstroms, das Verhältnis zur Vergangenheit und der Möglichkeit des Erinnerns und Vergessens ist vor allem für die Literatur bedeutsam gewesen. So hatte Proust nach dem Erscheinen des ersten Bandes von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit diesen Romanzyklus trotz einiger konzeptioneller Unterschiede als "Bergson-Roman" bezeichnet 1 . Aber auch auf die bildende Kunst hat Bergson gewirkt. Diese Korrespondenzen beziehen sich vor allem auf formale Aspekte: zu denken ist dabei an das Verhältnis von Bild und Bewegung bei Boccioni oder an das Verhältnis von Simultanität und Licht bei Delauney. Die Bedeutung von Bergsons Denken für die Kunst gipfelt in der These von Deleuze, dass der Film als Medium und Kunstform an sich bergsonistisch ist 2 . Im Zentrum von Bergsons Affinität zur Kunst steht der Begriff des Schöpferischen. In seinem 1907 erschienen Buch Die Schöpferische Entwicklung, in dem er sich vor allem mit der Evolutionstheorie auseinandergesetzt hat und für das er 1928 den Nobelpreis für Literatur erhielt, stellte Bergson diesen Begriff zum ersten Mal ausführlich dar. Welche Bedeutung die Lektüre von Bergsons Schriften annehmen konnte, hat Henry Miller in bezug auf dieses Buch eindrücklich beschrieben: "Ich komme auf das Wort schöpferisch zurück. Ich bin sicher, daß das ganze Geheimnis darin liegt, sich den genauen Sinn dieses Wortes zu vergegenwärtigen. Wenn ich heute an dieses Buch und die Art denke, wie ich mich ihm näherte, dann erinnert mich das an einen Menschen, der die Initiationsriten durchläuft. Die Desorientierung und die Neuorientierung, die mit jeder Initiation in jede Geheimlehre einhergehen, sind das wunderbarste Erlebnis, das man haben kann. Alles, was sich das Gehirn ein Leben lang bemüht hat, sich einzuverleiben, nach Kategorien zu ordnen und zusammenzufügen, muß auseinandergenommen und neu geordnet werden. Umzugstag der Seele! Und natürlich geht das nicht einen Tag, sondern Wochen und Monate so weiter." 3 Dieser Begriff des Schöpferischen bezieht sich nicht nur auf die Kunst, sondern auf alle Bereiche des Lebens. Er reicht von der Evolutionstheorie, über das wissenschaftliche Denken, zum alltäglichen und moralischen Handeln bis hin zu dem, was Foucault als "Ästhetik der Existenz" bezeichnet hat. So spricht Bergson von einer "Erschaffung seiner selbst durch sich selbst" 4 und vergleicht diese Möglich keit der Selbsterschaffung der eigenen Person mit der Kunst.
In: Kammler, Clemens; Parr, Rolf; Schneider, Ulrich Johannes (Hg.): Foucault-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart, Weimar: Metzler, S. 117-124., 2008
In: Schöngeist. Magazin für Kunst, Leben, Denken, H. 16 Begegnung, S. 34–38., 2008
Die Begegnung mit der Philosophie Jede Einstellung zum Buch, die dem Leser einen besonderen Respe... more Die Begegnung mit der Philosophie Jede Einstellung zum Buch, die dem Leser einen besonderen Respekt abverlangt, eine andersartige Aufmerksamkeit, ist obsolet. Begriffe sind wie Töne, Farben oder Bilder -Intensitäten, die dir passen oder nicht, die passieren oder nicht. Gilles Deleuze Die Philosophie ist kein geschlossenes System, keine Metaphysik, die unabhängig von der Wirklichkeit besteht. Die Philosophie ist eine praktische Tätigkeit, die im Ausgang von konkreten Situationen Begriffe erschafft, um mit ihnen die Wirklichkeit neu und anders zu denken. Die Philosophie findet nicht in Büchern statt, sondern philosophische Begriffe sind in der Welt. Die Welt ist immer schon von Diskursen und Begriffen durchdrungen. Die Philosophie begegnet der Welt und ihren Begriffen und setzt ihnen neue entgegen. Oder was ungefähr auf dasselbe hinausläuft: Denken heißt differenzieren. Indem die Philosophie Begriffe erschafft, setzt sie neue Differenzen, verschiebt bestehende Begriffsunterschiede und ermöglicht dadurch, nicht nur neu zu denken, sondern auch anders zu leben. Den schöpferischen Charakter der Philosophie hat innerhalb der Philosophie vor allem Gilles Deleuze betont und setzt sich dadurch von anderen klassischen Auffassungen ab. "Die Philosophie ist nicht kommunikativ, sie ist auch nicht kontemplativ oder reflexiv: sie ist schöpferisch oder gar revolutionär, von Natur aus, da sie nicht aufhört, neue Begriffe zu erschaffen. Einzige Bedingung ist, dass diese Begriffe eine Notwendigkeit haben, aber auch eine Fremdheit, und sie haben sie beide in dem Maße, wie sie eine Antwort auf wirkliche Probleme darstellen. Der Begriff hindert das Denken daran, zur bloßen Meinung, Ansicht, Diskussion, zum Geschwätz zu werden." 1 Entsprechend diesem Verständnis von Philosophie ist sie nicht die Liebe zur Weisheit, sondern der Philosoph ist -wie man philosophia auch übersetzen kann -der Freund des Begriffs, der alte Begriffe aufgreift, sie in einen neuen Kontext stellt oder in bezug zu einer sich verändernden Wirklichkeit neue Begriffe erschafft. Folgt man dieser Bestimmung von Philosophie, dann besteht die Begegnung mit der Philosophie vor allem in der Begegnung mit philosophischen Begriffen. Zwar lesen wir philosophische Bücher und finden in ihnen zahlreiche Begriffe, die in ihrem immanenten und systematischen Zusammenhang eine neue Philosophie entstehen lassen. Doch bedarf es, um mit der Philosophie produktiv umzugehen, nicht des vollständigen Verständnisses eines Philosophen, sondern es sind immer nur einzelne Begriffe, die wir aufnehmen und in unser Denken integrieren können. Zu einer solchen Begegnung mit der Philosophie sind nicht unbedingt umfassende Texte notwendig, sondern es können schon einzelne Zitate ausreichen. Zur Veranschaulichung soll als Beispiel ein Zitat von Heidegger herangezogen werden. Dieses Zitat ist relativ unbekannt, es steht in seinen Nietzsche-Vorlesungen und hat den Vorteil, dass es unabhängig von seiner Philosophie zu verstehen ist. "Liebe ist nie blind, sondern hellsichtig; nur Verliebtheit ist blind, flüchtig und anfällig, ein Affekt, keine Leidenschaft. Zu dieser gehört das weit Ausgreifende, sich Öffnende [...]. Dieser Ausgriff in der Leidenschaft hebt uns aber nicht einfach über uns weg, er sammelt unser Wesen auf seinen eigentlichen Grund, er eröffnet diesen erst in der
In: Blümle, Claudia; Schäfer, Armin (Hg.): Struktur, Figur, Kontur. Abstraktion in Kunst und Lebenswissenschaften. Zürich, Berlin: Diaphanes, S. 223–250., 2007
In: Schöngeist. Magazin für Kunst, Leben, Denken, H. 9 Tanz, S. 41–45., 2006
Szenenwechsel in der Malerei: der Tänzer in der Arena "Zu einem bestimmten Zeitpunkt erschien ein... more Szenenwechsel in der Malerei: der Tänzer in der Arena "Zu einem bestimmten Zeitpunkt erschien einer Reihe von amerikanischen Künstlern die Leinwand plötzlich nicht mehr als eine Fläche, auf der ein wirklicher oder imaginierter Gegenstand reproduziert, neu entworfen, untersucht oder ‚ausgedrückt' werden sollte, sondern als eine Arena, in der es zu agieren galt. Nicht ein Bild gehörte auf die Leinwand, sondern ein Ereignis." Harold Rosenberg Die Grundlage von Jackson Pollocks (1912 -1956) berühmten getropften Bildern, den Drippings oder Drip-paintings, ist die Erfindung einer neuen Malpraxis, einer neuen Szene der Malerei. Diese neue Malszene, mit der Pollock seit Ende 1946 zu arbeiten begann, unterscheidet sich wesentlich von der Staffeleimalerei. Vergleicht man die gefilmten oder fotografierten Bilder von Hans Namuth, die er von Pollocks Arbeitsprozess machte (vgl. Abb. 1), mit der alten Malszene, dann zeigt sich die Radikalität von Pollocks Transformation der Malszene. Bei Pollock steht die Leinwand nicht mehr auf der Staffelei, sondern sie liegt auf dem Boden. Das klassische Werkzeug der Malerei, der Pinsel, wird nicht mehr als Pinsel, sondern als ein Art Stock verwendet. Mit ihm schleudert er die Farbe auf die Leinwand oder er lässt sie einfach nur abtropfen. Manchmal nimmt Pollock auch Spritzen oder mit Löchern versehene Dosen, um die Farbe -die nicht nur aus Öl, sondern auch aus Aluminium oder Lack bestehen kann -auf die Leinwand aufzutragen. Und teilweise werden die Farben ergänzt durch andere Materialien: dann werden Glasscherben oder Kieselsteine aufs Bild gestreut. Zu Pollocks Transformation der klassischen Malszene gehört nicht nur die Erfindung neuer Techniken und die Einführung neuer Werkzeuge und Materialien. In ihr verwandelt sich auch die Rolle des Künstlers. So wie der mit der Hand geführte Pinsel beim Drippen nicht mehr die Leinwand berührt, so steht der Maler in der neuen Malszene auch nicht mehr auf Augenhöhe vor seinem Bild. Die an der menschlichen Wahrnehmung und den Koordinaten des Sehens orientierte Staffeleimalerei wird gänzlich zugunsten einer neuen Orientierung aufgegeben. Pollock nimmt verschiedene Standorte
In: Schöngeist. Magazin für Kunst, Leben, Denken, H. 11 Es war einmal, S. 38–42., 2006
Das Gewesen-Sein gehört in gewisser Weise einer ‚dritten Gattung' an, die sich vom Sein wie vom N... more Das Gewesen-Sein gehört in gewisser Weise einer ‚dritten Gattung' an, die sich vom Sein wie vom Nicht-Sein radikal unterscheidet. Vladimir Jankelevitch Das Rätsel der Vergangenheit "Dies ist die Geschichte eines Mannes, der von einem Bild aus seiner Kindheit geprägt wurde. Die Szene, die ihn durch die Brutalität verstörte und deren Bedeutung er sehr viel später erfassen sollte, ereignete sich auf der großen Besucherterrasse von Orly, einige Jahre vor Ausbruch des III. Weltkrieges." So beginnt der Science-Fiction-Film La Jetée von Chris Marker aus dem Jahre 1962. In diesem Foto-Roman -zusammengesetzt ist der Film bis auf eine Ausnahme ausschließlich aus Standbildern -geht es um die Zeitreisen eines Mannes, der sich in einer vielleicht nicht allzu fernen Zukunft in der apokalyptischen Welt nach der Zerstörung von Paris befindet. Er wird von den Siegern des Krieges gezwungen, gefährliche Experimente an sich vornehmen zu lassen, um durch sie in die Vergangenheit oder die Zukunft reisen zu können. Ziel der Zeitreiseexperimente ist es, "Hilfe aus der Zeit herbeizuholen", da sie im Raum, in der radioaktiv verseuchten Welt, nicht mehr zu erwarten ist. Ausgewählt wird dieser Mann, weil er durch das Bild aus seiner Kindheit stark auf die Vergangenheit fixiert ist. Durch ein bestimmtes, aber nicht näher erklärtes, technisches Verfahren soll dieses Erinnerungsbild dem Mann die Reise in seine Vergangenheit ermöglichen. Nach zahlreichen vergeblichen Versuchen materialisiert sich diese Kindheitserinnerung, das Bild der Vergangenheit transformiert sich in eine reale Vergangenheit, die Zeit seiner Kindheit, und wird dadurch zum Medium, durch das der Zeitreisende immer wieder in diese Vergangenheit gelangen kann. Dort begegnet er der Frau, die Teil des Bildes aus seiner Kindheit war, lernt sie kennen, verliebt sich in sie und kehrt immer wieder durch die Zeit zu ihr zurück. Das Thema des Film ist also nicht nur eine Reise durch die Zeit, sondern auch ein Film über die komplexen Zusammenhänge von Liebe, Erinnerung, Zeit und schließlich: den Tod. Inspiriert durch die Diskussion über die Zeit als vierte Dimension des Raumes am Ende des 19. Jahrhunderts und dann durch die Relativitätstheorie wurde das Thema der Zeitreise zu einem beliebten Gegenstand der Science-Fiction. Am Anfang der Zeitreisefiktionalisierungen steht H.G. Wells Die Zeitmaschine. Dieser Roman erschien im Jahr der Erfindung des Films, also 1895, und wurde gleichzeitig mit Einsteins Veröffentlichung zur Speziellen Relativitätstheorie im Jahre 1905 ins Deutsche übersetzt. Die literarischen oder filmischen Gedankenexperimente der Science-Fiction setzen eine Auffassung von Zeit voraus, die sich radikal von klassischen Positionen unterscheidet. Diese Auffassung betrifft das Verhältnis von Sein und Zeit. In der Geschichte der Philosophie wurde immer wieder die Frage gestellt, ob die Zeit überhaupt existiere. Bezogen auf die Dimensionen der Zeit kann man diese Frage folgendermaßen formulieren: Wenn die Zukunft noch nicht ist, die Gegenwart vorübergeht und die Vergangenheit nicht mehr ist, wie kann man dann der Zeit Sein zusprechen? Was bei diesem Zeitbegriff nicht berücksichtigt wird, ist die Asymmetrie von Vergangenheit und Zukunft. Zu einer gewissen Zeit war ja die Vergangenheit, es gibt ein Gewesen-Sein der Vergangenheit, während das Noch-Nicht-Sein der Zukunft diese unbestimmt lässt: die Zukunft hat kein Sein, sondern ist reine Möglichkeit. Unter der Voraussetzung des Nicht-Seins der Zeit wird die Vergangenheit zu einem Rätsel: was ist sie, wenn wir uns an sie erinnern können und von ihr Geschichten erzählen? schöngeist 38
in Episteme. Online-Magazin für eine Philosophie der Praxis, H. 4, 2008
Paul Ricoeur hatte einmal vom "Skandal des Bösen" gesprochen. Nun besteht der eigentliche Skandal... more Paul Ricoeur hatte einmal vom "Skandal des Bösen" gesprochen. Nun besteht der eigentliche Skandal des Bösen heutzutage nicht in der Existenz oder der Möglichkeit des Bösen überhaupt, sondern eher in der inflationären Verwendung dieses Ausdrucks. Was auch immer als böse bezeichnet wird, es bleibt dabei das Denken des Bösen aus seinen Entstehungsbedingungen auf der Strecke. Stattdessen wird das Böse zu einer affektiv aufgeladenen, unerklärlichen Begebenheit, die es in einem (selbst-)affirmativen Aktionismus zu bekämpfen gilt. Aber vermehrt sich dadurch nicht erst das Böse? Nicht nur in dem Sinne, dass im Namen des Kampfes gegen das Böse gerade das Böse getan wird, sondern auch in Bezug auf das "ursprünglich" Böse. Im Sinne einer Erschaffung des Bösen ließe sich auch Ricoeur verstehen, wenn man ihn etwas gegen den Strich liest:
In: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart, Weimar: Metzler., 2000
In: Weimarer Beiträge, Jg. 53, H. 2, S. 300–306., 2007
In: Journal Phänomenologie, H. 3 Hans Jonas, S. 84–88., 2003
In: Schöngeist. Magazin für Kunst, Leben, Denken, H. 10 Malerei, S. 50-55, 2006
A F T E N . Wir sind umgeben von Dingen. Wir sehen sie, aber zuallererst gehen wir mit den Dingen... more A F T E N . Wir sind umgeben von Dingen. Wir sehen sie, aber zuallererst gehen wir mit den Dingen um. Wir erkennen sie nicht, sondern was wir an ihnen wahrnehmen, sind die pragmatischen Bezüge, die wir zu ihnen haben. Dabei schneiden wir die Dinge aus ihren Zusammenhängen heraus und machen sie zu Gegenständen unserer Welt. Landschaften sind Teil unserer Welt. Sie gehören zu den Räumen, in denen wir leben. Während wir uns den Dingen nähern können, bleibt die Landschaft immer fern: wir können sie nicht berühren, aber wir gehen in sie ein, werden ein Teil von ihr. Landschaften sind keine Gegenstände, sondern sie bilden eine Gesamtheit aus Dingen und Zusammenhängen. Und nehmen wir sie wahr, dann zählen nicht die Eigenschaften der Dinge, sondern die Stimmung, die Atmosphäre, in denen wir die Landschaft erleben und ihrer teilhaftig werden.
In Spangenthal, Regine: und/oder. Malerei in Bildserien, Gehrden, S. 6-12., 2003