Peter Mahr | Bauhaus-University-Weimar - Academia.edu (original) (raw)

Papers by Peter Mahr

Research paper thumbnail of Das chinesische Social Credit System - Totalitäre Kontrolle und das Ende der Freiheit oder der Weg zu einer ehrlichen Gesellschaft?

In seinem Werk Überwachen und Strafen beschreibt Michel Foucault 1975 das von Jeremy Bentham erda... more In seinem Werk Überwachen und Strafen beschreibt Michel Foucault 1975 das von Jeremy Bentham erdachte Panopticon und visualisiert metaphorisch anhand dieses Konzepts die Funktionsweise einer Disziplinargesellschaft. Wer das Gefühl hat überwacht zu werden, beziehungsweise, wenn die Möglichkeit überwacht zu werden besteht, nimmt diese Tatsache Einfluss auf das Verhalten einer Person.
Die Beobachtungen Foucaults aus den 70er Jahren sind heute aktueller denn je und werden in der Wissenschaft zum Beispiel von David Lyon aufgenommen. Die aktuellen techno-politischen Entwicklungen gehen über die Beobachtungen und Theorien Foucaults hinaus. Sie zeichnen eine postpanoptische Gesellschaft in einer flüchtigen Moderne, in der die Macht sich längst in höhere Gefilde entfernt und von der Politik emanzipiert hat und in der jeder sein eigenes Panopticon mit sich herumträgt. Wir legen heutzutage freiwillig Daten offen, gegen deren Erhebung die vorherige Generation noch während der ersten Volkszählung gekämpft hat. Überträgt man heutiges Verhalten in die analoge Welt, zeigt sich die Absurdität unseres Habitus. Würden wir freiwillig eine Kopie unseres Adressbuches an Global Player und Geheimdienste verschiedener Regierungen senden? Wären wir dazu bereit, eine Kopie unserer E-Mails und SMS an die eben genannten Organisationen zu schicken? Ich kann es mir nicht vorstellen. Und doch willigen wir, durch die Installation verschiedener Programme oder Applikationen und deren AGB, in genau diesen Zustand ein.
Bis heute dient Überwachung dem Ziel transgressives Verhalten aufzudecken, um dieses zu bestrafen. So sind Überwachung und Bestrafung eng, ja unauflöslich miteinander verbunden. Die Bestrafung hat seit dem Mittelalter eine grundlegende Transformation durchlaufen. Vom Zurschaustellen des Verurteilten und der öffentlichen Strafausübung hin zu einem Konzept der Besserungs- und Umerziehungsanstalten.
Auch die Überwachung hat eine solche Transformation durchlaufen und ist insbesondere in den letzten Jahren immer umgreifender und omnipräsenter geworden. Nicht zuletzt, weil erst durch Big Data und algorithmische Auswertung eine nahezu lückenlose Überwachung der Bürger möglich geworden ist. In China wird nun der Versuch unternommen, der Bestrafung durch eine absolute Überwachung zuvorzukommen. Die chinesische Regierung baut das ganze Land im Zuge der Errichtung eines Social Credit Systems um. Vorrangiges Ziel dieses Systems soll eine ehrliche und vertrauenswürdige Gesellschaft sein. Ab 2020 wird ein großer Anteil der von Bürgern generierten Daten, darunter das Einkaufsvolumen, persönliche Daten wie Arbeitsplatz und Familienstatus, die Zahlungsmoral, sowie die Bewertungen von Freunden gesammelt und von Algorithmen in einen einheitlichen Score umgerechnet. Dieser Score bestimmt dann nicht nur, ob man einen Kredit bei einer Bank bekommt, wie das auch schon in Deutschland (SCHUFA) und Amerika üblich ist, sondern auch, ob man ein Visum beantragen kann, Bücher in einer Bibliothek ausleihen darf oder einen Platz in einem Schnellzug bekommt.

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In seinem Werk Überwachen und Strafen beschreibt Michel Foucault 1975 das von Jeremy Bentham erda... more In seinem Werk Überwachen und Strafen beschreibt Michel Foucault 1975 das von Jeremy Bentham erdachte Panopticon und visualisiert metaphorisch anhand dieses Konzepts die Funktionsweise einer Disziplinargesellschaft. Wer das Gefühl hat überwacht zu werden, beziehungsweise, wenn die Möglichkeit überwacht zu werden besteht, nimmt diese Tatsache Einfluss auf das Verhalten einer Person.
Die Beobachtungen Foucaults aus den 70er Jahren sind heute aktueller denn je und werden in der Wissenschaft zum Beispiel von David Lyon aufgenommen. Die aktuellen techno-politischen Entwicklungen gehen über die Beobachtungen und Theorien Foucaults hinaus. Sie zeichnen eine postpanoptische Gesellschaft in einer flüchtigen Moderne, in der die Macht sich längst in höhere Gefilde entfernt und von der Politik emanzipiert hat und in der jeder sein eigenes Panopticon mit sich herumträgt. Wir legen heutzutage freiwillig Daten offen, gegen deren Erhebung die vorherige Generation noch während der ersten Volkszählung gekämpft hat. Überträgt man heutiges Verhalten in die analoge Welt, zeigt sich die Absurdität unseres Habitus. Würden wir freiwillig eine Kopie unseres Adressbuches an Global Player und Geheimdienste verschiedener Regierungen senden? Wären wir dazu bereit, eine Kopie unserer E-Mails und SMS an die eben genannten Organisationen zu schicken? Ich kann es mir nicht vorstellen. Und doch willigen wir, durch die Installation verschiedener Programme oder Applikationen und deren AGB, in genau diesen Zustand ein.
Bis heute dient Überwachung dem Ziel transgressives Verhalten aufzudecken, um dieses zu bestrafen. So sind Überwachung und Bestrafung eng, ja unauflöslich miteinander verbunden. Die Bestrafung hat seit dem Mittelalter eine grundlegende Transformation durchlaufen. Vom Zurschaustellen des Verurteilten und der öffentlichen Strafausübung hin zu einem Konzept der Besserungs- und Umerziehungsanstalten.
Auch die Überwachung hat eine solche Transformation durchlaufen und ist insbesondere in den letzten Jahren immer umgreifender und omnipräsenter geworden. Nicht zuletzt, weil erst durch Big Data und algorithmische Auswertung eine nahezu lückenlose Überwachung der Bürger möglich geworden ist. In China wird nun der Versuch unternommen, der Bestrafung durch eine absolute Überwachung zuvorzukommen. Die chinesische Regierung baut das ganze Land im Zuge der Errichtung eines Social Credit Systems um. Vorrangiges Ziel dieses Systems soll eine ehrliche und vertrauenswürdige Gesellschaft sein. Ab 2020 wird ein großer Anteil der von Bürgern generierten Daten, darunter das Einkaufsvolumen, persönliche Daten wie Arbeitsplatz und Familienstatus, die Zahlungsmoral, sowie die Bewertungen von Freunden gesammelt und von Algorithmen in einen einheitlichen Score umgerechnet. Dieser Score bestimmt dann nicht nur, ob man einen Kredit bei einer Bank bekommt, wie das auch schon in Deutschland (SCHUFA) und Amerika üblich ist, sondern auch, ob man ein Visum beantragen kann, Bücher in einer Bibliothek ausleihen darf oder einen Platz in einem Schnellzug bekommt.