Ein Schloss für alle Fälle / Schlösser & Burgen / Ausflüge / Freizeit / HAZ (original) (raw)
Eine Hochzeitskutsche rumpelt auf historischem Grund an einem Gefangenentransporter vorbei. Begegnungen dieser Art sind auf dem Schlosshof in Gifhorn nichts Ungewöhnliches. Das Anwesen bietet Nutzungsmöglichkeiten der unterschiedlichsten Art: Während in einem Trakt Strafgefangene die Suppe auslöffeln, die sie sich eingebrockt haben, prostet im anderen Trakt ein Brautpaar seinen Gästen beim Hochzeitsmahl zu. Schlossrestaurant und Schlossgefängnis liegen in Gifhorn nah beieinander. Und auch in den anderen Räumen des alten Gemäuers ist nicht nur die Vergangenheit zu besichtigen: Der Landkreis Gifhorn nutzt das Schloss als Verwaltungssitz – im Rittersaal tagt der Kreistag, und nebenan hält die Landrätin Hof.
„So viel hat sich hier gar nicht geändert, es ist nur etwas demokratischer geworden“, scherzt Jürgen Conrad, der das Schlossmuseum leitet. „Das Schloss ist immer noch eine Art Residenz. Wo früher der Fürst residierte, residiert heute die Kreisspitze, und wie in alten Zeiten ist hier gleichzeitig Raum für Kulturveranstaltungen und für Gefängniszellen.“
In der Tat findet sich kein Schloss in Niedersachsen, das so vielfältig genutzt wird wie das Gifhorner: Behördensitz und Knast, Restaurant und Museum, Kulisse für Konzerte, Tagungen, Familienfeiern – die Palette ist breit und bunt.
In diesem Jahr wird das Renaissanceschloss aber im Zeichen des Mannes stehen, der es einst ausbauen ließ und zu seiner fürstlichen Residenz erkor: Herzog Franz. Vor 500 Jahren wurde der Welfensohn in Celle geboren; sein Geburtstag, 23. November, sollte 41 Jahre später auch sein Todestag werden.
Franz ließ sich 1539 nach heftigen Auseinandersetzungen mit seinem älteren Bruder Ernst in Celle mit dem Herzogtum Gifhorn abfinden. Die Stadt am Schnittpunkt zweier alter Handelsstraßen, der Korn- und der Salzstraße, war schon früh von wirtschaftlich-strategischer Bedeutung – auch mit Blick auf die Aller, die einst noch eine Wasserstraße mit etlichen Zollstationen war und nicht nur von Torfkähnen befahren wurde.
Bevor er sein Amt als regierender Herzog antrat, holte Franz erst einmal den angesehenen Baumeister Michael Clare von Celle nach Gifhorn. Denn das Schloss, das er in Gifhorn vorfand, entsprach seinen Vorstellungen von einer fürstlichen Residenz bei Weitem nicht. Weil ihm viel zu klein war, erweiterte er den Grundriss der Festungsanlage mit Clares professioneller Hilfe ganz erheblich. Das Gebäude, das bisher als Hauptgebäude gedacht war, ließ er dabei zum Torhaus umfunktionieren. Mit seiner ungewöhnlichen halbkreisförmigen Dachform hebt sich dieses Torhaus nicht nur von den übrigen Schlossgebäuden in Gifhorn ab, in ganz Mittel- und Nordeuropa findet sich heute kein vergleichbares Bauwerk dieser Zeit. Herzog Franz selbst bezog damals Quartier im Ostflügel, dem neuen Hauptbau des Schlosses.
Alle Dächer und Türme der Anlage werden überragt von der Kapelle, die Herzog Franz als wackerer Streiter des Protestantismus errichten ließ. Die Kapelle zählt zu den ersten Sakralbauten, die dem evangelischen Gottesdienst verpflichtet sind. Baulich indes ist die Kapelle nicht auf der Höhe der Zeit: Während das übrige Schloss im damals vorherrschenden Renaissancestil erbaut wurde, dominieren in dem Gotteshaus spätmittelalterliche Elemente der Gotik.
Nach einer gründlichen Restaurierung soll die Kapelle spätestens am 23. November im alten Glanz erstrahlen – als eine Art Geburtstagsgeschenk an Herzog Franz, der hier einst auch bestattet wurde. Auf seinem Sarkophag und dem seiner Gemahlin Clara knien heute noch holzgeschnitzte Grabmalsfiguren, die das fromme Paar darstellen.
Kurz nach dem Tode des Herzogs gebar Clara übrigens eine zweite Tochter. Doch Mädchen waren seinerzeit von der welfischen Erbfolge ausgeschlossen. Da es also an einem männlichen Stammhalter fehlte, fiel Gifhorn zurück an das welfische Stammhaus in Celle; Herzogin Clara musste das Schloss räumen und ihr Witwendasein in Fallersleben fristen.
Herzog Franz aber beeinflusste über seinen Tod hinaus das Leben im Allerstädtchen. Seine 1544 erlassene Gemeinde- und Gewerbeverordnung galt fort. Sie regelte die Schließung der Stadttore, Brandschutz und Marktpreise für Handwerker und Gewerbetreibende sowie die Bürgermeisterwahl.
Auch die Schlossbefestigung beeindruckte nachfolgende Generationen. Das Schloss war von Wällen, Bastionen und einem 50 Meter breiten Wassergraben umgeben und konnte zusätzlich durch künstliche Überschwemmungen gesichert werden. Ein schwedischer Feldherr soll mit Blick auf den Wasserpalast während des Dreißigjährigen Krieges ausgerufen haben: „Lasst die Ente schwimmen.“ Auch später ist das Renaissanceschloss nie erobert worden.
Als Ende des 18. Jahrhunderts die Gefahr eines Angriffs nicht mehr bestand, wurden Wälle und Bastionen abgetragen und der Graben zur Hälfte zugeschüttet. Wer auf der Terrasse des Restaurants sitzt, blickt immer noch auf das Wasser, in dem sich das Gemäuer seit Jahrhunderten spiegelt. Heute zeigen sich darin Badende, die sich während der warmen Jahreszeit gegenseitig anspucken – zeitgenössische Keramikfiguren mit der Bezeichnung „Wasserspiele II“.
Seit der Neugestaltung zwischen 1978 und 1983 schmücken auch moderne Bauelemente das Schloss. So hat der Architekt Peter Paul Schweger, der in Frankfurt den Maintower entwarf, einen Treppenturm stilsicher durch eine Front aus Glas und Stahl nachempfunden und mit den gleichen Materialien die überdachte Brücke zwischen zwei Schlossflügeln umgestaltet. Wer Glück hat, kann darin Kreisangestellte ausmachen, die Akten von einem Gemach ins andere tragen. So viel Transparenz geht von der benachbarten Justizvollzugsanstalt verständlicherweise nicht aus.
Museumsleiter Conrad jedoch kann problemlos vom Büro auf den Gefängnisinnenhof blicken, wo die internierten Schlossbewohner zwischen hohen Mauern ihre Runden drehen – und das Schloss doch nie zu sehen bekommen.
Heinrich Thies