Physiologus. Appendix to CHD Guide (original) (raw)
¶Leo
Der Löwe hat drei Eigenschaften (Naturen). A. Er verwischt seine Spuren mit dem Schweif, damit ihn die Jäger nicht aufspüren können. Dies bedeutet die Menschwerdung des Herrn, ein Geheimnis, das auch den himmlischen Mächten (und dem Teufel, setzen spätere Physiologi hinzu) verborgen war. - B. Wenn der Löwe schläft, so wachen doch seine Augen, das heist sie sind offen. So schlief zwar der Leib Christi im Kreuzestod, seine Gottheit aber wachte zur Rechten des Vaters. - C. Die Löwin gebiert ihr Junges todt; am dritten Tage aber kommt der Vater, bläst ihm in's Gesicht und erwecht es dadurch zum Leben. Dies bedeutet die Auferstehung des Herrn am dritten Tage. [GkS 1633 f.1-2v]
¶Lacertus
Die Sonneneidechse erblindet in ihrem Alter. Dann such sie eine Mauer, die gegen Osten liegt, und streckt aus einer Spalte derselben ihren Kopf der aufgehenden Sonne entgegen, deren Strahlen ihr das Gesicht wieder geben. So soll auch der Mensch, wenn die Augen seines Herzens verdunkelt sind, seine Hilfe bei Christus, der Sonne der Gerechtigkeit, suchen. [GkS 1633 f. 56]
¶Charadrius
Der Charadrius zeicht an, ob die Krankheit eines Kranken, an dessen Bett man ihn bringt, tödtlich sei oder nicht. Im ersten Fall wendet der Vogel sich ab; soll der Kranke aber am Leben bleiben und genesen, so sieht der Vogel ihn an und zieht die Krankheit in sich. So wandte der Heiland von den Juden wegen ihres Unglaubens sein Antlitz ab; und er kam zu den Heiden, nahm ihre Schwächen auf sich und trug ihre Krankheiten, und machte sie gesund. [GkS 1633 f.33v]
¶Pelicanus
Der Pelikan zeichnet sich durch die grosse Liebe zu seinen Jungen aus. Wenn diese aber heranwachsen, so schlagen sie ihre Eltern in's Gesicht, und diese schlagen sie wieder und tödten die dadurch. Dann aber erbarmen sie sich, und am dritten Tage kommt die Mutter (nach andern Texten der Vater), öffnet ihre Seite und lässt ihr Blut auf die todten Jungen träufeln, wodurch sie wieder lebendig werden. So verwarf Gott die Menchheit nach dem Sündenfall und übergab sie dem Tode; aber er erbarmte sich unser wie eine Mutter, da er durch seinen Kreusestod uns mit seinem Blut zum ewigen Leben erweckte. [GkS 1633 f.39v-40]
¶Nyktikorax
Der Nachtrabe (Nuktikorax) liebt die Finsternis mehr als die Licht. So liebte der Herr die Heiden, die in Finsternis und Todesschatten sassen, mehr als die Juden, welche die Verheissung empfangen hatten, aber ihn nicht aufnahmen.
¶Aquila
Wenn der Adler alt wird, so werden seine Flügel schwer, und seine Augen verdunkeln sich. Dann sucht er eine klare Quelle und fliegt von hier empor zur Sonne, wo er die Flügel und Augen ausbrennt. Darauf lässt er sich herab in die Quelle, taucht dreimal darin unter und wird so verjüngt. So soll der Mensch, wenn die Augen seines Herzens dunkel sind, sich zu Christus, der Sonne der Gerechtigkeit, erheben und sich in der Quelle des ewigen Lebens im Namen des Vaters, des Sohnes, und des heiligen Geistes verjüngen. [GkS 1633 f.31v-32]
¶Phoenix
Der Phönix lebt in Indien (oder Arabien). Immer nach 500 Jahren geht er auf den Libanon, füllt dort seine Flügel mit wohlriechenden Kräutern und begibt sich dann damit nach Heliopolis, wo er sich im Sonnentempel auf dem Alter verbrennt. Aus der Asche aber entsteht am nächsten Tage ein Wurm, der sich am zweiten Tag zu einem jungen Vogel entwichelt, bis am dritten der Phönix selbst in seiner frühern Gestalt wieder daraus hervorgegangen ist und sich dann an seinen alten Aufenhaltsort zurückbegibt. Der Phönix ist ein Symbol Christi, der am dritten Tag vom Tode auferstand. Die zwei Flügel, mit Wohlgerüchen gefüllt, bedeuten das Alte und Neue Testament, voll von den göttlichen Lehren. [GkS 1633 f.37-38]
¶Upupa (Epops)
Der Wiedehopf kann als Muster der kindlichen Liebe gelten. Wenn die Jungen sehen, dass ihre Eltern vor Alter nicht mehr fliegen noch sehen können, so rupfen sie ihnen die alten Federn aus, lecken ihnen die Augen, nehmen sie unter ihre Flügel und pflegen sie, bis ihnen die Federn wieder wachsen und sie sich verjüngen. Wenn ein unvernünftiger Vogel so seine Eltern liebt, so ist dies um so mehr Pflicht der Menschen. [GkS 1633 f.46]
¶Onager
Der wilde Esel, als Herr der weiblichen Herde, castrirt die männlichen Jungen gleich bei ihrer Geburt aus Eifersucht. Der alte Onager bedeutet die Patriarchen, welche die Verheissung der Nachkommenschaft hatten; die jungen die Apostel, die sich nur um geistige Nachkommenschaft bemühten. [GkS 1633 f.26-26v]
¶Vipera (Echidna)
Die Viper. Viperae haud perinde ac cetera animalia co�unt, sed masculus effundit semen suum in os feminae; haec autem nimia libidine commota virilia masculi morsu abscidit, et moritur ille. Cum autem creverint filii in utero matris, mordentes perforant latus eius, et sic exeunt mortua matre. Mit Recht hat also Johannes der Täufer die Pharisäer Natterngesücht (generatio viperarum) genannt, weil diese im geistlichen Sinne Vater- und Muttermörder sind, da sie den Herrn, ihren Vater, tödteten, und die Mutter Kirche verfolgten. [GkS 1633 f.51v-52v]
¶Serpens
Die Schlange hat vier Eigenshaften: A. Wenn die alte Schlange sich verjüngen will, so fastet sie vierzig Tage, bis ihre Haut schlaff wird; diese streift sie dann ab, indem sie sich durch eine Felsspalte durchzwängt, und verjüngt sich so. So sollen wir durch Fasten und Kasteiungen das alte Kleid der Sünde ablegen, und eingehen durch das enge Thor, das zum ewigen Leben führt. B. Wenn die Schlange an eine Quelle geht, um Wasser zu trinken, so legt sie zuvor ihr Gift ab. So sollen wir, wenn wir in die Kirche, an die Quelle des göttlichen Wortes gehen, das Gift der Sünde zuvor aus unsern Herzen entfernen. C. Einen nackten Menschen fürchet sie, einen bekleideten aber fällt sie an. So vermochte der Teufel nichts gegen Adam, so lange dieser nacht im Stande der Unschuld im Paradiese war. Wenn du aber das Kleid des alten Menschen anhast, so geht er auf dich los. D. Wenn Jemand sie tödten will, so gibt sie den ganzen Körper preis, um mit derselben nur den Kopf zu schützen. So sollen auch wir zur Zeit der Versuchung nur das Haupt bewahren, das heist den Glauben an Christus; denn eines jeden Menschen Haupt ist Christus. [GkS 1633 f.57]
¶Formica
Die Ameise hat drei Eigenschaften: A. Wenn die Ameisen Korn eintragen, so nimmt keine, die leer einer beladenen begegnet, dieser das Ihrige, sondern geht selbst an den Ort, woher die andere kommt, und holt sich auch. Dieses Beispiel hätten auch die fünf thörichten Jungfrauen befolgen sollen. B. Sie beisst jedes Korn, das sie eintragen hat, entzwei, damit es nicht keime und sie im Winter ohne Nahrung sei. So scheide du im Alten Testament den Buchstaben vom Geist, damit der Buchstabe dich nicht tödte, wie die Juden, die nur auf ihn sahen. C. Sie verschmäht die Gerste und sammelt nur Weizen. So fliehe du die Lehren der Häretiker und halte dich an den wahren Glauben. [GkS 1633 f.30-30v]
¶Sirena et onocentaurus
Den Sirenen und Onokentauren in ihrer halb menschlichen halb tierischen Gestalt (die näher beschrieben wird) gleichen die Häretiker, die unter dem Schein von Glauben und Frömmigkeit (der menschliche Oberleib) sich in die Kirche einsch eichen und die Einfältigen betrügen. [GkS 1633 f.40v]
¶Erinacius
Der Igel steigt auf eine Rebe, wirft die Beeren einer Traube herab, wälzt sich dann darin und trägt sie an seine Stacheln gespiesst seinen Jungen zum Frass; die Rebe aber lässt er leer stehen. Du aber, o Mensch, bewahre den geistlichen Weinberg deiner Seele vor den Nachstellungen des Teufels. [GkS 1633 f.29v]
¶Vulpis
Der Fuchs stellt sich, wenn er Hunger hat, todt, damit sich die Vögel auf ihn setzen, um ihn zu fressen, und er sie so fangen könne. Ebenso ergreift und verschlingt der Teufel die, welche, von ihm getäuscht, von seinem Fleisch essen, das heist in Sünden leben. [GkS 1633 f.16-16v]
¶Panthera
Der Panther schläft drei Tage, wenn er sich gesättigt hat. Dann erwacht er und erhebt seine Stimme, wobei zugleich ein überaus köstlicher Wohlgeruch seinem Mund entströmt. Und alle Tiere von nah und fern folgen seiner Stimme und dem Wohlgeruch und sammeln sich um ihn. Nur der Drache, der sein Feind ist, fürchtet sich und verbirgt sich. So stand Christus am dritten Tage vom Tode auf und sammelte um sich die Nahen und Fernen, das heist Juden und Heiden. Der Drache aber ist der Teufel, den er überwand. [GkS 1633 f.3v-5]
¶Aspidochelone
Der Walfisch hat zwei Eigenschaften: A. Wenn er Hunger hat, so öffnet er seinen Mund und lässt ihm einen Wohlgeruch entströmen, mit dem er die kleinen Fische anlockt um sie zu verschlingen. Die grossen Fische aber folgen ihm nicht. So verlockt der Teufel die Menschen durch die Sünde; den Vollkommenden aber kann er nicht anhaben. (In anderer Deutung wird dies auch von der Liebe zu schlechten Weibern ausgelegt.) B. Wenn er mit seinem Rücken an die Oberfläche des Meeres kommt und ruhig bleibt, so halten ihn vorbeifahrende Schiffer für eine Insel; sie legen ihr Schiff vor Anker, steigen auf ihn aus und zünden ein Feuer an, um sich ein Mahl zu kochen; sobald er aber die Wärme fühlt, so taucht er mit ihnen in die Tiefe des Meeres. Auch dies ist ein Bild des Teufels, der den, welscher sich auf ihn verlässt, in den Abgrund der Hölle versenkt. [GkS 1633 f.59v]
¶Perdix
Der Rebhuhn stiehlt andern die Eier und brütet sie aus; wenn aber die Jungen grösser sind und die Stimme ihrer rechten Mutter hören, so folgen sie dieser und verlassen die falsche. So will der Teufel die Menschen an sich ziehen; wenn sie aber zur Einsicht kommen und den Ruf ihrer Eltern, Christi und der Kirche, hören, so wenden sie sich zu ihnen. [GkS 1633 f.41-41v]
¶Vultur
Wenn das Weibschen des Geiers gebähren soll, so geht es nach Indien und sucht dort einen gewissen Stein, auf den es sich setzt und dann schmerzlos gebiert. Dieser Stein ist hohl und enthält einen andern an sich. So nimm du, wenn du im Geist vom heiligen Geiste schwanger bist, deine Zuflucht zu Christus. Dass der Stein einen andern in sich schliesst, bezeichnet symbolish die Vereinigung der Gottheit und Menschheit in Christus. [GkS 1633 f.32-32v]
¶Formicaleo (Myrmecoleon)
Der Ameisenlöwe, aus einer Verbindung des Löwen mit der Ameise hervorgegangen, stirbt bald nach seiner Geburt vor Hunger, da es keine geeignete Nahrung für ihn gibt; er vereinigt nämlich die Naturen seiner beiden Eltern in sich und kann nun wegen der Natur des Vaters keine Pflanzen, wegen der Natur der Mutter kein Fleisch fressen. So geht der zu Grunde, der zweifachen Herzens ist, der zugleich Gott und dem Teufel dienen will.
¶Mustela
Das Wiesel empfängt durch das Maul und gebiert durch das Ohr. Ihm gleichen die, welsche das himmlische Brot unwürdig empfangen, und die zwar das Wort Gottes in der Kirche hören, es aber dann zum andern Ohr wieder herausgehen lassen. Sie gleichen auch der Schlange Aspis, die sich die Ohren verstopft. (Ps.57,5). [GkS 1633 f.29]
¶Unicornis
Das Einhorn kann von den Jägern nicht bezwungen werden und lässt sich nur durch eine reine Jungfrau fangen. Dies bezeichnet, dass Christus, mächtiger als alle himmlischen Mächte, in den Schoss der heiligen Jungfrau herabkam, um die Menschheit anzunehmen. (Die lateinischen Texte, und mit ihnen die Übersetzungen in die Volkssprachen, gehen hier wie in andern Abschnitten in der Auslegung mehr in's Einzelne, mit Anführung weiterer Bibelstellen. Die wesentlichen weiteren Züge sind folgende: Dass das Einhorn nur ein Horn hat, bedeutet, dass Christus und der Vater eins sind. Dass es klein ist, bedeutet die Demut Christi in seiner Menschenwertung. Dass es einem Bock ähnlich ist, bedeutet, dass Christus die Gestalt von uns sündigen Menschen annahm.) [GkS 1633 f.5v-6]
¶Castor
Wenn der Biber gejagt wird und nicht mehr entrinnen kann, so beisst er, da er weiss, dass man ihn seiner testiculi wegen verfolgt, die zu Arzneimitteln verwendet werden, diese ab und wirft sie dem Jäger hin, der ihn dann gehen lässt. So sollen wir, um dem Teufel, der uns jagt, zu entrinnen, alle Unreinigkeit aus dem Herzen reissen und ihm hinwerfen, so dass er uns weiter nichts anhaben kann. [GkS 1633 f.8v]
¶Hyena
Die Hyäne wechselt ihr Geschlecht, ist bald männlich, bald weiblich. Dies wird im griechischen Physiologus unbildlich auf ein gewisses Laster bezogen. Nach dem lateinischen Physiologus bedeutet es die Juden, die bald dem wahren Gott dienten, bald Götzendienst trieben, weder gläubig noch angläubig waren. [GkS 1633 f.9v-10]
¶Hydrus (Idrus)
Der Hydrus ist dem Krokodil feindlich. Wenn er dasselbe mit offenem Mund schlafen sieht, so wälzt er sich im Schlamm, um so leichter verschlungen zu werden, schlüpft dann dem Krokodil in den Mund, lässt sich von ihm verschlingen, und zerreisst ihm dann die Eingeweide. So zog Christus den irdischen Leib an, stieg hinab zur Hölle und besiegte den Tod und den Teufel. [GkS 1633 f.54-54v]
¶Ichneumon
Der Ichneumon ist ein Feind des Drachen. Er beschmiert sich mit Lehm und bedeckt seine Nase mit dem Schwanz, um sich dem Drachen unkenntlich zu machen, da dieser ihn, wenn er ihn erkennen würde, aus Furcht nicht angriffe; so aber geht der Drache auf ihn los, und der Ichneumon tödtet ihn. So nahm Christus Menschengestalt an, um den Teufel zu tödten.
¶Cornix (Corvus)
Wenn von einem Krähenpaar das eine stirbt, so verbindet sich das überlebende mit keinem andern Gatten mehr. Nachdem die Synagoge der Juden der Herrn tödtete, hat sie keinen Gatten mehr. Wir aber wollen Christus als Gatten im Herzen haben, damit der Ehebrecher, der Teufel, keinen Eingang zu uns finde. [GkS 1633 f.43]
¶Turtur
Die Turteltaube zieht sich einsam in die Wüste zurück, weil sie nicht liebt, unter vielen Menschen zu sein. So ging Christus, als er verklärt werden sollte, nur mit den drei Jüngern auf den Berg. [GkS 1633 f.44v-45]
¶Rana
Vom Land und Wasserfrosch. Der Landfrosch kann die grösste Hitze ertragen; wenn ihn aber Regen trifft, so stirbt er. Der Wasserfrosch kann, wenn er herauskommt, den Strahl der Sonne nicht ertragen, sondern taucht gleich wieder unter. Die Landfrösche gleichen den wahren Gläubigen, die alle Drangsale ertragen, und wenn sie eine Verfolgung trifft, auch sterben. Die Wasserfrösche dagegen sind die Weltkinder, die vor der Glut der Sonne, das heist vor der Hitze der Versuchung, nicht bestehen. [GkS 1633 f.66]
¶Cervus
Der Hirsch ist ein Feind des Drachen (der Schlange). Wenn dieser vor ihm flieht und sich in einen Erdspalt versteckt, so nimmt der Hirsch Wasser aus einer Quelle auf und speit es hinein, wodurch der Drache herausgetrieben wird und er ihn tödten kann. So tödtete der Herr den grossen Drachen, den Teufel, mit dem himmlischen Wasser, seiner Lehre. [GkS 1633 f.11v]
¶Salamandra
Wenn der Salamander in ein Feuer kommt, so löscht er es aus. So schadet dem Gerechten keine Gefahr, wie auch die drei Jünglinge im Feurofen unversehrt blieben. [GkS 1633 f.56]
¶Adamas
Der Diamant wird im Morgenland gefunden; man findet ihn aber nicht bei Tage, sondern nur bei Nacht. Er heisst Adamas, weil er selbst alles bezwingt, aber nicht bezwungen werden kann. So richtet der Herr Alles und wird selbst von Niemand gerichtet. Aber auch alle heiligen Propheten und Apostel, die an den geistlichen Adamas sich hielten, wurden in den Prüfungen und Vervolgungen nicht besiegt.
¶Hirundo
Die Schwalbe erscheint, wenn der Winter vorüber ist; sie singt am Morgen und weckt die Schläfer zur Arbeit. So erwachen die vollendeten Asketen, wenn die den Winter überstanden, d.h. die Stürme der Leidenschaften besiegt und die Begierden des Körpers ausgelöscht haben, heilig von ihrem Lager, nach dem Worte der Schrift: "Wach auf, der du schläfst", etc. (Eph. 5,14.) - (In den Handschriften der jüngern Recension findet sich noch ein zweiter Abschnitt: Sie hält sich teils in der Einsamkeit, teils in den Strassen auf, um Frucht zu sammeln. Wenn eines ihrer Jungen blind wird, so holt das Weibschen ein Kraut und legt es ihm auf die Augen, wovon es wieder sehend wird. So sorge du dafür, dass du im jetzigen und im künftigen Leben Frucht hast. Und wenn deine Seele von Sünden blind wird, so heile sie durch die Reue.) [GkS 1633 f.45-45v]
¶Peridexion (Perindens)
Vom Baum Peridexion. In Indien wächst ein Baum, Peridexion genannt, auf dem die Tauben wohnen und sich von seinen Früchten nähren. Der Drache, der Feind der Tauben, kann sich diesem Baum nicht nahen und fürchtet den Schatten desselben; wenn sich aber eine davon entfernt, so greift und frisst er sie. Dieser Baum ist ein Bild der heil. Dreieinigkeit. Wenn wir im Glauben an sie von den Früchten des heil. Geistes leben, so kann uns der Teufel nichts anhaben; wenn wir aber abirren zu den Werken der Finsternis, lo lauert er auf uns, um uns zu tödten. [GkS 1633 f.49]
¶Columba
Von den Tauben. A. Es gibt Tauben von sehr verschiedenen Farben. Es ist nicht möglich, die andern in den Taubenschlag zusammen zu bringen, wenn nicht zuerst die feurfarbne Taube hineingebracht wird, der sie alle folgen. So vermochte keiner der Propheten des alten Bundes, die Menschen zum ewigen Leben zu führen. Als aber Christus vom Vater gesandt wurde, führte er alle ein zum Leben. (Im lat. Physiologus werden die Tauben von verschiedenen Farben auf einzelne Propheten und Heilige gedeutet.) B. Wenn die Tauben vereinigt fliegen, so wagt der Habicht nicht, sie anzugreifen; findet er aber eine, die abirrt, so frisst er sie. Dies ist ein Bild der Jungfrauen, denen der Teufel nichts anhaben kann, wenn sie in der Kirche versammelt sind; findet er aber eine, die abirrt, so raubt und verschlingt er sie leicht. Aber auch alle Christen sollen dies beherzigen und sich von der Kirche Christi nicht entfernen. [GkS 1633 f.43v-44]
¶Antalops
Der Antholops ist sehr wild; er hat zwei grosse Hörner von sägenförmiger Gestalt, mit denen er die stärksten Bäume fällen kann. Wenn er dürstet, so geht er zum Euphrat, in dessen Nähe er lebt, und trinkt daraus; nachher aber spielt er dort mit seinen Hörnern in einem Gesträuch mit langen biegsamen �sten, bis er sich ganz darin verwickelt und nicht mehr loskommt. Auf sein Geschrei läuft nun der Jäger herbei und tödtet ihn. So hast auch du zwei Hörner, das alte und neue Testament, um damit die Laster von dir fernzuhalten; und wenn du dies thust, kann der Jäger, der Teufel, dich nicht erjagen. (Der lateinische Physiologus fügt noch bei: Hüte dich aber vor der Trunkenheit, damit du nicht durch sie in die Netze des Lasters verwickelt wirst und dem Teufel zum Raub fällst.) [GkS 1633 f.5]
¶Lapides igniferi
Die entzündbaren Steine. Es gibt zwei Steine, einen männlichen und ein weiblichen, die kalt sind, so lange sie einander fern sind; kommen sie aber zusammen, so entzündet sich ein grosses Feuer und verbrennt Alles was in der Nähe ist. Ebenso ist es auch bei den Menshen. [GkS 1633 f.77]
¶Magnes
Der Magnet zieht das Eisen an sich und hält es fest. Wenn nun Geschöpfe einander so anziehen, um wieviel mehr wird Gott uns an sich ziehen, er der Alles ershaffen und den Himmel über der Erde aufgehängt hat.
¶Serra
Die Serra ist ein Seetier mit grossen Flügeln. Wenn sie Schiffe im Meer segeln sieht, so sucht sie ihrem Lauf gleichzukommen; nach ewiger Zeit aber ermüdet sie, zieht die Flügel ein, und wird dann von den Wellen an ihre alte Stelle zurückgeführt. Die Schiffe sind die Heiligen, welsche die Drangsale des Lebens wie eine Schifffahrt ertrugen und in den Hafen des Himmelreichs einliefen. Das Tier aber bezeichnet die, welsche zwar mit ihnen zu wetteifern beginnen, aber bald nachlassen und zu ihrem frühern weltlichen Leben zurückkehren. [GkS 1633 f.60-60v]
¶Ibis
Der Ibis ist ein unreiner Vogel, weil er nicht in die Tiefe des Meeres tauchen kann, um reine Fische zu holen, sondern am Ufer von unreinen sich nährt. Wir aber sollen untertauchen in die Tiefe des geistigen Meeres, der Weisheit Gottes. Wir können aber nicht durch das Meer kommen, wenn wir nicht mit den ausgestreckten Händen das Zeichnen des Kreuzes bilden. (Dafür werden noch einige typische Vorbilder angeführt.) [GkS 1633 f.35-35v]
¶Dorkas (Caper - Caprea)
Die Dorkas liebt die hohen Berge und weidet in den Thälern der Berge. Wenn sie von fern Menschen kommen sieht, so erkennt sie, ob ein Jäger oder harmlose Wanderer sind. Die Berge bezeichnen die Propheten und Apostel, welsche der Herr liebt. Der scharfe Blick der Dorkas bedeutet, dass er alle unsere Werke sieht, wie er auch erkannte, dass Judas ihn mit einem Kuss verraten werde. [GkS 1633 f.13]
¶Diamant (Adamas)
Der Diamant kann weder durch Eisen, noch durch Feuer, noch durch Rausch bescgädigt werden. Und in das Haus, worin er ist, findet nichts Böses Eingang. Wenn du Christus im Herzen hast, so wird dir nichts Böses begegnen.
¶Elephans
Der Elephant ist von Natur kalt und muss zuerst von der Mandragora essen, wenn er Junge zeugen soll. Er geht also, wenn dies geschehen soll, mit seinem Weibschen in die Nähe des Paradieses, wo diese Pflanze wächst, von der dann das Weibschen zuerst isst und nachher auch das Männschen dazu veranlasst. Wenn aber das Weibschen das Junge gebähren soll, so tritt es in einen Teich und gebiert es über dem Wasser, und der männliche Elephant hält Wache, damit der feindliche Drache nicht komme. Wenn der Elephant fällt, so kann er nicht mehr aufstehen, weil er keine Kniegelenke hat. Auf seinen Ruf kommt zuerst ein anderer Elephant herbei, kann ihm aber nicht aufrichten können; zuletzt kommt der kleine Elephant und richtet ihn auf. Die zwei Elephanten bezeichnet Adam und Eva und stellen in ihrem Falle gebar Eva den Kain. Der erste Elephant, der dem Gefallenen zu Hilfe kommen will, ist das Gesetz, die zwölf andern die Propheten; aber sie alle konnten ihm nicht helfen, bis Christus kam, der wegen der Demut und Erniedrigung in seiner Menschenwerdung mit den kleinen Elephanten zu vergleichen ist, und ihn aufrichtete. [GkS 1633 f.6v-8]
¶Achates & Margarita
Achat und Perle. Die Taucher bedienen sich des Achats zum Suchen der Perle. Wenn sie ihn nähmlich an einem Strick in's Meer lassen, so wendet er sich dahin, wo eine Perle ist, und bleibt dort fest, so dass sie die Perle finden, wenn sie in der Richtung des Stricks hinuntertauchen. Die Perle entsteht aber dadurch, dass die Muschel in früher Morgenstunde an die Oberfläche des Meeres kommt, sich öffnet und den Thau des Himmels mit den Strahlen von Sonne, Mond und Sternen einsaugt; daraus wächst dann im Innern der Muschel die Perle. Der Achat ist Johannes der Täufer, der auf den Herrn hinwies, für dessen jungfräuliche Geburt aus Maria die Entstehung der Perle ein Bild ist. Er ist die kostbare Perle, nach deren Besitzt wir streben sollen. (Matth. 13,46.)
¶Onager & Simia
Wildesel und Affe. Am 25. des (kopt.) Monats Phamenot (im März) brüllt der Onager zwölfmal am Tage und zwölfmal in der Nacht, woran man erkennt, dass Tag und Nachtgleiche ist. Der Affe aber pisst an jedem Tage siebenmal. - Der Onager bezeichnet den Teufel, der brüllt, weil sein Reich der Finsternis abnimmt. Auch der Affe ist ein Bild des Teufels: Wie er einen Kopf hat, aber keinen Schwanz, so hatte der Satan einen herrrlichen Anfang im Himmel als oberster Engel, aber er fiel und seine Verdammnis wird kein Ende haben. (Die Eigenschaft des Affen, keinen Schwanz zu besitzen, löst sich später als selbständiger Abschnitt vom Onager ab.) [GkS 1633 f.10v]
¶Lapis Indicus
Der indische Stein. Es gibt einen Stein von der Eigenschaft, die Krankheitsmaterie eines Wassersüchtigen, dem er auf den Leib gebunden wird, in sich zu saugen. Nachher ist das Gewicht des kleinen Steines viel grösser als das des Menschen. Wenn man ihn dann drei Stunden an die Sonne legt, so lässt er das Wasser von sich und wird wieder rein. So heilte uns Christus von der Wassersucht der Sünde.
¶Fulica (Herodius)
Die Fulica ist verständiger als alle andern Vögel. Sie hält sich immer an demselben Ort auf, wo sie ihr Lager hat und ihre Nahrung nimmt. - So suche auch du nicht viele Orte der Ketzer, sondern die rechtglübige Kirche soll dein beständiger Aufenhaltsort sein, und das himmlische Brot, der Herr Jesus Christus, die Nahrung deiner Seele. [GkS 1633 f.36-36v]
¶Sycaminus (Amos propheta)
Von der Maulbeerfeige. Der Prophet Amos sprach: "Ich bin kein Prophet noch der Sohn eines Propheten, sondern ein Ziegenhirt, der Feigen ritzt". Wenn die Feigen geritz werden, (um ihre Reife zu beschleunigen), so kommen die Ameisen, die darin in der Finsternis sassen, heraus an's Licht. Die Feige aber wird dann nach drei Tagen reif und geniessbar. - So gieng der Menschheit, die in Finsternis der Lanze durchstochen wurde. Und am dritten Tage stand der Herr von den Todten auf und wurde die Speise und das Leben Aller. [Nicht in GkS 1633]
¶Assida (Struthio)
Der Strauss blickt an den Himmel, um zu sehen, wann es Zeit für ihn ist, seine Eier zu legen; er legt sie nähmlich nicht eher, als die Pleiaden aufgehen, zur Zeit der grössten Hitze. Er legt sie in den Sand und bedeckt sie mit Sand; dann aber geht er hin und vergisst sie, und die Sonnenhitze brütet sie im Sand aus. - Wenn nun der Strauss seine geistigen Sinne der Fall sein; wir sollen empor zum Himmel blicken, das Irdische vergessen und Christus nachfolgen. [GkS 1633 f.35v-36]
S.38
¶ Zusätze
Handschriften der jüngeren Recension haben noch folgende, durch die alten orientalischen Übersetzungen nicht bestätigte Dinge überliefert:
S.39
¶ (Specht)
Wenn der Specht sein Nest in einen Baum machen will, so klopft er zuerst mit seinem Schnabel daran, um an den Ton zu hören, ob der Baum hohl und also für seinen Zweck geeignet ist, oder ob er gesund ist, in welchem Falle er ihn verlässt. - Ebenso der Teufel, der in einem von Sünden kranken Menschen seine Wohnung nimmt.
S.39
¶Ciconia
Dem Storch wird grosse Sorgfalt für seine Jungen beigelegt, und diese Eigenschaft in mehrfacher Wendung mit recht armseligen Auslegungen versehen. [GkS 1633 f.34v]
S.39
¶Pavo
Der Pfau freut sich seiner Schönheit; wenn er aber seine hässlichen Füsse sieht, so schreit er. So soll der Mensch wegen seiner Sünden zu Gott weinen und schreien. [GkS 1633 f.46]
S.40
¶Tiger
Nur in armenischen Physiologus ist die später wieder auftauchende Geschichte von der Tigerin überliefert, welche die Jäger, die ihr die Jungen geraubt haben und nun von ihr verfolgt werden, dadurch täuschen, dass sie ihr einen Spiegel oder eine Glaskugel in den Weg legen, worin sie ihr eigenes Bild sieht und dann von der weitern Verfolgung absteht. [Cf. Hexameron VI, 21] [GkS 1633 f.3]