Die Fresken von Ferdinand Gehr im Trierer Dom - Orgelpunkt Trier: Orgel - und Chor 09.03.2011 19:53:39 (original) (raw)

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Foto: Rita Heyen Foto: Rita Heyen

1.600 Jahre Trierer Dom

Auf der derzeitigen Internetseite des Lehrstuhls f�r Liturgiewissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universit�t Mainz ist die Darstellung eines sich von der Antike bis in die Gegenwart wandelnden Kirchengrundrisses zu sehen. Es ist der Grundriss des Trierer Domes, der sich ausgehend von dem fr�hchristlichen r�mischen Quadratbau �ber die Erweiterungen und Umgestaltungen der Romanik, Gotik und des Barock immer wieder ver�nderte. Dieser Kichenbau ist �lebendig� geblieben, weil das �berkommene weitergef�hrt und den aktuellen Anforderungen angepasst wurde. Der Trierer Dom ist damit wie wohl kaum ein anderes kirchliches Geb�ude deutlicher Ausdruck des alten Axioms �Ecclesia semper reformanda�- der Kirche, die sich immer zu erneuern hat. Bei der gro�en Domrenovierung in den Jahren 1970-74 fand diese Idee ihre Fortf�hrung, indem unter anderem der neue Hauptaltar im Zentrum des r�mischen Kernbaus seine Aufstellung fand und das Domkapitel Ferdinand Gehr mit der Ausf�hrung der Fresken �Alpha� und �Omega� (Anfang und Ende / Sch�pfung und Erl�sung) �ber den Westportalen beauftragte. Immer wieder ist zu beobachten, dass Besucher des Domes entweder nach einem kurzen Hinschauen unverst�ndig weitergehen oder erstaunt und suchend vor diesen Fresken stehen bleiben. Gleich ist jeweils der erste fragende und verbl�ffte Blick auf die unerwarteten und ungew�hnlichen Bilder.

Ferdinand Gehr, 1896-1996

Ferdinand Gehr ist in Niederglatt in der Schweiz geboren. Sein k�nstlerisches Arbeiten beginnt in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts nach Studienaufenthalten in Florenz, Paris und Berlin. Dort kommt er in Kontakt mit der zeitgen�ssischen Kunst. Die Eigenst�ndigkeit, die sich in seiner gesamten Schaffensphase (bis zu seinem Tod im Jahr 1996 im Alter von 100 Jahren) in einer ungew�hnlichen Einheitlichkeit abbildet, erlaubt es kaum, das Werk von Gehr in kunsthistorisch definierte Schranken einzupassen. Wenn �berhaupt, scheinen Verbindungen zu den Werken von Henri Matisse und Jean Arp erkennbar. Gro�e Verbreitung haben die Blumenbilder von Ferdinand Gehr erlangt. Das Gesamtwerk allerdings, vor allem die sakrale Kunst Gehrs, haben �ber lange Zeit nicht die angemessene Beachtung gefunden. Das hat damit zu tun, dass Gehr mancherorts etwas absch�tzig als �Kirchenmaler� etikettiert wurde: Vielleicht war es ein Handikap, dass er aus ideologischen Gr�nden nicht Mitglied der Avantgarde sein durfte. Auf der anderen Seite haben konservative kirchliche Kreise seine fortschrittliche Kunst abgelehnt und ihn so ins Abseits gedr�ngt. Zudem lebte Gehr sehr zur�ckgezogen: Seine Art, sich von allen Welten au�er der eigenen abzuwenden, hat ihn nachhaltig von den Kunstb�hnen ferngehalten und �berlie� ihn w�hrend langer Jahre allein dem Umfeld seiner Familie und seinem k�nstlerischen Schaffen. In den letzten Jahren hat, vor allem in der Schweiz, das Interesse an seinem �uvre stark zugenommen, was unter anderem durch eine gro�e Ausstellung im Kunstmuseum St. Gallen im Jahr 2001 zum Ausdruck kam. F�r Gehr ist die Bibel eine Hauptquelle seiner Inspiration. Dabei setzt er ihre Bilderwelt in �Bildzeichen� um, die er auf das Wesentliche zur�ckf�hrt, damit sie �ber sich hinaus auf Grundlegendes verweisen k�nnen. So ist die Bedeutung seines sakralen Schaffens zwar zun�chst darin zu sehen, dass er in einer zeitgen�ssischen Kunstsprache die Aktualit�t der christlichen Botschaft betont. Wichtiger erscheint aber noch, dass er seine manchmal �ber lange Zeitr�ume gesuchten inneren Bilder in einer besonderen Dichte wiedergibt. Sein Suchen ist geradezu sp�rbar; das Suchen nach Bildern, die bei aller Komplexit�t der Aussagen auf den Punkt gebracht sind und in dieser gefundenen Selbstverst�ndlichkeit den Betrachter zum Weitersuchen auffordern.

Alpha, Anfang und Sch�pfung

Die alten Fensterpl�tze �ber den Hauptportalen konnten bei der Renovierung nicht mehr in �Natura� ausgef�hrt werden, darum musste F. Geht die Fenster regelrecht in die Fensternischen hineinmalen. Da er dazu kein Licht von Drau�en - vom Domfreihof her - hereinbekam, musste er doppelt so viel Licht in seine Farben mischen, damit die Fensterwirkung entsteht.- Treffend beschreibt Dompfarrer Nikolaus F�hr die beiden Fresken �Alpha� und �Omega� als Fenster, denn sie leuchten in kr�ftigen Farben, f�gen sich aber trotzdem wie ein Fenster in das Gesamtbauwerk ein. Beide Fresken sind auf der gleichen dunklen blauen Hintergrundfarbe aufgebaut, die nicht nur eine Tiefe f�r den lichten Vordergrund der Bilder �Alpha� und �Omega� bietet, sondern auch Bezug nimmt zu der barocken Ausgestaltung der Kuppel �ber der Apsis des Westchores. Den Unterschied von Alpha und Omega, Anfang und Ende, der Heilsgeschichte dr�ckt Geht zun�chst in einem anderen Gestaltungsansatz aus. Gegen�ber dem Bild �Omega� ist �Alpha� abstrakter gehalten. Er selbst schreibt: �Beim Alpha ist es das innerg�ttlichen Lebens. Es ist unserer menschlichen Kenntnis weitgehend entr�ckt. Das Schweigen ist hier eher entsprechend als Schildern, abstrakte Formen eher als beschreibende.� Ein heller geschlossener Ring bestimmt das Bild �Alpha�, den der K�nstler als das �g�ttliche Rund�, als �Sinnbild der Einheit� beschreibt. In diesem gelb-wei�en Lichtring sind drei verschiedenfarbige Punkte, Zeichen f�r die Trinit�t, als �Sinnbild der Verschiedenheit� eingef�gt.

Auf einem Werk von 1974, welches ebenfalls das Thema �Dreifaltigkeit� aufgreift, sind auf einer roten Hintergrundfarbe drei sichelf�rmige Farbfl�chen dargestellt, die zusammen mit der Pinself�hrung in der Mitte des Bildes eine strudelartige Bewegung andeuten. Die drei Figuren f�gen sich in die Bewegung ein und symbolisieren so das �zeitlose Sein der Dreiheit in der Einheit�. Im Gegensatz zu dieser Darstellung ist das �g�ttliche Rund� selbst im Trierer Dom ruhiger dargestellt. Eine Bewegung ist hier aber auch, und zwar am Bildrand mit in den verschiedenfarbigen Punkten, die in gelbe Rechtecke eingeschrieben sind, angedeutet. Gehr sieht in dieser Darstellung die Engel, die Geisteswesen, die Erstlinge der Sch�pfung, im �lichten Gelb der Freude�. Jeder hat seine eigene Farbe, ist ein Individuum. Einer ist auch auf einem schwarzen Rechteck dargestellt, der Widersacher. Die gleichm��ig str�mende Bewegung wird von einer zweiten senkrechten Bewegung �berlagert. �Vom Heiligen Geist (gelber Punkt) ausgehend ein roter Strahl, der sich auf die wei�e Figur (gotterf�llt, gnadenvoll), der Muttergottes, bewegt, Symbol, der im g�ttlichen Ratschluss vorherbestimmten Menschwerdung. Die Muttergottes steigt heraus aus dem Gr�n der Erde und verbindet die Menschenwelt mit Gott.� Hier wird die besondere Bedeutung Mariens, die durch ihre Bereitschaft erst die Menschwerdung erm�glichte, hervorgehoben. Urspr�nglich sollte im Zentrum der Darstellung �Alpha� eine kleine Figur eingestellt werden, eine Menschengestalt Jesu. �Es sollte deutlich werden, dass die Gottheit irdisch geworden, ins Hiesige eingetreteri ist. Statt dessen hat Gehr den �roten Strahl� ausgef�hrt, der die abstrakte Gestaltung des Alpha unterst�tzt.

Omega - Ende und Erl�sung

�Das Bild des Omega hat ein vom Alpha verschiedenes Gestaltmotiv. Es hat mehr die Vielfalt der Bewegung und die Formen der sichtbaren Welt (Wolken, Baum, Menschen, Tier). Dominierend aber doch mit einer Haltung des Sichhingebens, alles vereinend, die Mitte der Mensch gewordenen Liebe, Christus. Um ihn alles in einer starken gemeinsamen Bewegung, die Menschen mitsamt allem Geschaffenen. Es ist die reine Freude am Sein. Ein Dasein, in dem die Bedingungen der Materie zwar nicht aufgehoben, aber in die Freiheit des Geistes einbezogen sind. Die Farben der Menschen und der Gegenst�nde vereinigen sich in einer Harmonie, die in Christus ihre strahlende F�lle erreicht.� So beschreibt Ferdinand Gehr selbst das Omega, die Endzeit. Zwei Jahre vor den Fresken im Trierer Dom entsteht bei Gehr das Tafelbild �Freude am Dasein�. Auf einer schwarzen Fl�che stehend, geben Mann und Frau mit ausgestreckten Armen ihrer Freude an der Sch�pfung und der Sch�nheit der Welt Ausdruck. In dieser Sch�nheit der Welt zeigt sich f�r Gehr, �dass sich Gott nach dem Sch�pfungsakt nicht zur�ckgezogen hat,� Himmlisches deutet sich im Irdischen an. In der Darstellung des �Omega� ist der eschatologische Bezug, die �reine Freude am Sein" in einer �hnlichen schwebenden Komposition gegeben. Eindeutig wird er durch die zentrale Christusdarstellung, die - �hnlich den romanischen Triumphkreuzen - das Kreuz und die verherrlichte Gestalt des Auferstandenen zugleich abbildet. W�hrend sich im �Alpha� die Menschwerdung abstrakt andeutet, ist Christus im �Omega� in menschlicher Gestalt mitten unter die Menschen gestellt und damit deutlicher Ausdruck der menschgewordenen Gottesliebe. Der zentralen Christusfigur steht zudem eine gelbe Menschengestalt zur Seite. Diese helle Figur ist nicht n�her gekennzeichnet. Gehr deutet damit an, dass sich jeder Mensch pers�nlich von der Erl�sung Jesu Christi angesprochen f�hlen darf und soll. Die gesamte Menschheit von Anfang an mit Adam und Eva, die Natur und der Himmel sind in die Erl�sung mit einbezogen. Die Symbole des B�sen (die Schlange) und des Todes (das Grab) sind an den Rand ger�ckt. Sowohl im �Omega� als auch im Bild �Freude am Dasein� wird die Freude in kindlicher Einfachheit sp�rbar. Der Vorwurf, Gehrs Kunst sei naiv, verkehrt sich gerade auch in diesen Bildern zum Gegenteil. Im scheinbar Naiven werden Geheimnisse in einer besonderen Tiefe, wird eine ansteckende Freude am Christsein erfahrbar.

In der Einfachheit erschlie�t sich die Tiefe

Das Thema �Alpha und Omega�, Anfang und Ende der Heilsgeschichte, ist umfassend, und so hat Ferdinand Gehr in diesen Fresken viele Motive zusammengef�gt, denen er eigenstandige Darstellungen in Tafelbildern gewidmet hat. Von Gehr ist bekannt, dass es ihm die fr�hchristliche und romanische Kunst besonders angetan hatte. �So ist es wahrscheinlich nicht nur das Thema, sondern auch eine besondere Hommage an den Trierer Dom, sein sakrales Oeuvre hier verdichtet darzustellen. Bis heute, 29 Jahre nach ihrer Fertigstellung, gehen die Meinungen zu den Fresken �Alpha� und �Omega� auseinander. Sie regen an und sie regen auch auf. Kritiker st�ren sich unter anderem an den kr�ftigen Farben und der reduzierten Formensprache. Gehrs Werk entspricht ihnen zu wenig der Norm f�r kirchliche Kunst. Auch wird bem�ngelt, dass die Fresken zu dominant in ihrer Wirkung seien, was sich allerdings in der Gesamtbetrachtung des Raumes, vor allem im Zusammenhang mit den Denkm�lern im Dom, relativiert. Bef�rworter hingegen sehen in den Fresken ein Zeichen, dass Kirche sich nicht auf �berkommenes und Traditionelles beschr�nkt, dass die Botschaft des Evangeliums ihre Aktualit�t behalten hat und dass es auch heute noch m�glich ist, unserem Glauben kraftvoll und deutlich Ausdruck zu verleihen. Beide Positionen beschreiben zun�chst aber nur den ersten Eindruck der Bilder an sich. Die Frage nach der Rolle von Bildern im Kirchenraum geht aber dar�ber hinaus. In der Ver�ffentlichung �Liturgie und Bild� der deutschen Bischofskonferenz hei�t es: �Bilder sollen helfen, unsere Vorstellungen anzuregen und das Gedachte mittelbar zu machen�, und Dr. Herbert Fendrich, Kunstreferent der Di�zese Essen schreibt: �Bilder sollen nicht abbilden, sie m�ssen im Gegenteil sichtbar machen, was sich hinter der Oberfl�che des Sichtbaren verbirgt.� Ferdinand Gehr bietet mit seiner Kunst Antworten auf diese Anforderungen, er verdichtet, bringt �auf den Punkt�, ohne abzuschlie�en. Vielmehr er�ffnet er Zug�nge, regt zum Nachdenken an, gerade weil er �ber eine vordergr�ndige Verst�ndlichkeit und �adressatenfreundliche Anschaulichkeit� hinausgeht. Eine Auseinandersetzung mit seinen Bildern ist notwendig, aber auch jedem m�glich. Gerade Erfahrungen mit Kindern zeigen, dass diese Bilder trotz ihrer Komplexit�t eine Art �biblia pauperum� f�r die nicht mehr mit der Bibel Vertrauten sein k�nnen. Wie das Christentum selbst ist die Kunst Gehrs von einem scheinbaren Paradoxon begleitet. In der Einfachheit erschlie�t sich die Tiefe oder wie er es selbst ausdr�ckte: Er habe je l�nger desto mehr gesp�rt, dass die Religion etwas ganz Einfaches sei, dass das Wichtigste etwas ganz Einfaches sei. �Am 6. Januar 1896, dem Dreik�nigsfest, ist Ferdinand Gehr geboren worden. Die Weisen, die lange unterwegs waren und dem Stern gefolgt sind, um den neugeborenen K�nig zu finden, sind zeitlebens Vorbilder des Gottsuchens von Gehr gewesen.� So beschreibt P. Natanael Wirth, Leiter der Propstei St. Gerold, Ferdinand Gehr. �Alpha und Omega� im Trierer Dom sind ein Angebot, �ber die �transformierte� Sprache Gehrs auf Gottessuche zu gehen, Auge und Herz zu �ffnen f�r die Botschaft Jesu Christi.

Der Autor

Johannes Kr�mer, geboren 1966, Dipl.-Ing., Architekt, bis 2003 Leitender Ordinariatsrat in der Hauptabteilung Bau und Kunst des Bisch�flichen Generaivikariates in Trier, 1997-2001 Lehrauftrag (Baugeschichte) an der Fachhochschule Kaiserslautern, Ver�ffentlichungen zu Architektur und Liturgie. Seit 2003 Baudirektor des Bistums Mainz.

aus: Das M�nster 1/03

Johannes Kr�mer