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Elisabeth KULMAN
Interview, 01/2008: Elisabeth KULMAN, Der Beruf hat mich gewählt
Elisabeth KULMAN – „Der Beruf hat mich gewählt“
(F:Bitencourt)
An der Volksoper war die gebürtige Burgenländerin Elisabeth Kulman bei Kennern des Hauses nicht nur beliebt, sondern ein Geheimtipp, auch nachdem sie alle Welt durch den Fachwechsel vom Sopran zum Mezzo überrascht hat. An der Staatsoper findet sie derzeit viele Möglichkeiten, sich zu entfalten. RENATE WAGNER hat mit ihr gesprochen
Frau Kulman, Sie haben rund um Silvester in drei Vorstellungen hintereinander erfolgreich den Orlofsky gesungen. Ist das für Sie eine wichtige Partie?
Insofern besonders, als ich im Vorjahr von der Staatsoper für diese Rolle engagiert wurde, als Zweibesetzung nach Michaela Selinger. Sie wurde krank, und ich durfte die Silvester-Vorstellung singen, was einige Beachtung gefunden hat. Danach hat mir Direktor Holender einen Jahresvertrag an die Staatsoper angeboten, aber ich will betonen, dass ich auch ganz normal „vorgesungen“ habe.
Und Sie singen gleich in Ihrer ersten Saison an diesem Haus neben dem Orlofsky so große Rollen wie die Marina und demnächst die Fenena und die Mrs. Quickly. Das ist wohl ein vorläufiger Höhepunkt Ihrer Karriere?
Ja, das kann man sagen. Dabei ist die Fenena ganz kurzfristig auf mich zugekommen, und ich weiß nicht, welche Sängerin ursprünglich vorgesehen war und jetzt vielleicht unglücklich ist… Die Fenena macht mir keine Schwierigkeiten, denn ich habe die Rolle im Sommer in St. Margarethen gesungen, und wer durch die Schule des Herrn Märzendorfer gegangen ist, hat alles überlebt. Er weiß alles über eine Partitur und besteht auf absolute Präzision in jedem Detail, das drinnen steht. Man weiß ja – mehr noch etwa bei der „Fledermaus“ – , dass es Sängertraditionen gibt, die durchaus nicht in der Partitur stehen…manche sind vielleicht gut, manche nicht, wie man es eben beurteilt.
War die Marina eine Wunschrolle angesichts Ihrer Russisch-Kenntnisse?
Nun, ich habe sie schon vorgeschlagen. Dann hieß es, der Polen-Akt würde gestrichen, und als man es sich überlegt hat, hatte ich vier Wochen Vorbereitungszeit verloren. Aber ich lerne glücklicherweise sehr schnell. Auch die Quickly lerne ich neu.
Gibt es weitere Pläne für die Staatsoper? Es kann für Sie ja nicht ganz leicht sein, da im Haus mit Janina Baechle und Nadia Krasteva zwei Künstlerinnen engagiert sind, die dasselbe Fach singen wie Sie?
Ja, es singt zwar jede ein bisschen etwas anderes, aber es überschneidet sich schon, und man sieht nie durch, was passieren wird und welche Rollen aus welchem Grund auf einen zukommen. Aber ich belaste mich keinesfalls mit irgendwelchen negativen Konkurrenzgefühlen. Auch kann ich mich wirklich nicht beklagen, außer dass man in diesem Job und auch hier an der Staatsoper sehr gute Nerven braucht. Als ich in der Silvester-Vorstellung die Bemerkung über Arigona machte, dass sie mir als Orlofsky willkommen wäre – was für mich kein politisches, sondern ein rein menschliches Statement war -, bekam Direktor Holender, als er am nächsten Tag ins Haus kam, mir gegenüber einen Wutausbruch, bevor ich auf die Bühne musste, und drohte mir an, mich hinauszuwerfen. Ich dachte: Jetzt erst recht! Machte den Orlofsky – ohne Arigona-Bemerkung – so gut ich konnte, und als ich von der Bühne kam, strahlte er über das ganze Gesicht und sagte: Sie haben gewonnen! Ich gehe also davon aus, dass ich weiter am Haus bin. Hoffentlich bis zum Ende seiner Direktionszeit.
Und Direktor Meyer?
Ja, Sie mahnen mich mit Recht, er rückt immer näher, ich sollte mich wohl um ein Engagement kümmern.
Macht das nicht Ihr Agent für Sie?
Ich habe nach meinem Fachwechsel so viele schlechte Erfahrungen mit Agenten gemacht, dass ich nur den einen behalten habe, der mir treu geblieben ist, und im übrigen versuche, meine Karriere selbst zu gestalten. Ich bin mir absolut nicht zu gut dafür, immer wieder um Termine an großen Opernhäuser einzukommen, einfach um einmal vorzusingen. In Bayreuth ist es mir noch nicht gelungen. Aber man kann sich nicht darauf verlassen, dass man auf der Bühne gehört wird, obwohl es auch solche Beispiele gibt: Als der Frankfurter Intendant meine Marina an der Staatsoper sah, hat er mich eingeladen, an seinem Haus die Ulrica zu singen, und das werde ich gerne tun.
Wenn wir jetzt von der Gegenwart ein bisschen zurückschauen, gibt es einige Dinge in der Biographie von Elisabeth Kulman, die ungewöhnlich sind. Eines davon ist, wenn ich das so sagen darf: Oberpullendorf. Das liegt zwar nur eineinviertel Stunden von Wien entfernt im Burgenland, klingt aber für den Großstädter ein bisschen wie das „Ende der Welt“…
Irgendwie war es das auch, und ich wollte wirklich nur weg von dort, obwohl ich eine schöne Kindheit hatte und wir im Burgenland überhaupt nicht verstehen, welche Probleme die Kärntner haben – wir sind stolz darauf, wie eine deutschsprachige Majorität mit den Ungarn und Kroaten zusammen lebt und dass wir mehrsprachig sind.
Das erklärt, da Sie einen ungarischen Vater haben, dass Sie in Wien Finno-Ugristik studiert haben. Aber wieso Russisch dazu?
Es gibt so seltsame Zufälle im Leben. Wir hatten im Gymnasium eine Lehrerin, die Russisch unterrichtete und beschäftigt werden musste. Also wurde es Russisch statt Französisch, das ich mir gewünscht habe und das ich jetzt hoffentlich im Alltag verbessere, wenn ich im Jänner / Februar zwei Monate in Paris bin, um wieder Glucks Orpheus an der Opera National zu singen. Ich habe eine große Vorliebe für Sprachen, über kurz oder lang verbeiße ich mich in jede. Vor allem Sprachwissenschaft und Etymologie interessieren mich.
Sie haben dann in Wien in mehreren Chören gesungen. Erinnern Sie sich eigentlich noch, wann Sie zum ersten Mal in der Wiener Staatsoper waren?
Ja, ich habe schon in der Schule gesungen, es war mir ein Bedürfnis. Ich bin ohne weitere Ausbildung in den Schönberg-Chor – ich hatte nichts zum Vorsingen, kein Lied, keine Arie, ich war gänzlich naiv, ich habe einfach „Memories“ aus „Cats“ gesungen, das muss man sich vorstellen! Ja, die Staatsoper – ich war sicher 20 oder älter, als ich erstmals dorthin auf den Stehplatz ging. Es war „Salome“, und ich muss gestehen, ich bin mitten drin weggegangen, es hat mir einfach nicht gefallen, ich habe nicht genug verstanden – das ist übrigens auch einer der Gründe, warum ich auf der Bühne immer versuche, ganz besonders wortdeutlich zu sein… Nun, wenn ich denke, dass Direktor Holender meint, ich könnte nächste Spielzeit die Herodias singen, ist das wohl die wahre Ironie!
Wie wird aus einer Sprachstudentin, die nebenbei im Chor singt, eine professionelle Sängerin?
Es gab immer wieder Leute, die meinten, ich hätte doch eine Stimme, die geeignet wäre, und die Arbeit beim Chor machte mir große Freude. Aber selbst als ich ernsthaft Musik studierte, dachte ich zuerst nur an Konzert und Lied, nicht an Oper. Bei mir hat sich vieles ganz ohne große Absicht ergeben, es ist nicht meine Art, in die Zukunft zu planen, ich mache vielmehr, was immer zum jeweiligen Zeitpunkt gut für mich ist.
Und das war dann Oper? Im Sopranfach?
Ich hatte eine tolle Höhe, und weder meine Lehrer noch ich haben daran gezweifelt, dass ich ein Sopran bin. Und wenn jemand meinte, ob ich nicht vielleicht doch zum Mezzo tendierte, war ich die Erste, die abgewinkt hat – einfach weil die Soprane die schöneren Rollen haben. Ich wollte Sopran sein, stur war ich immer, und ich bekam nach einem Vorsingen gleich den Vertrag an die Volksoper.
Das heißt, dass am Gürtel Ihre „Provinz“ war?
Ja, ich habe viel gelernt, schöne Rollen gesungen und mich als Pamina, Elvira oder Gräfin sehr wohl gefühlt, die schönen Mozart-Frauenrollen eben, obwohl ich vor dem hohen „C“ der Gräfin große Angst hatte. Was ich an der Volksoper noch gelernt habe, ist kämpfen – allerdings habe ich es weder in der Ära Mentha noch in der Ära Berger zu einer Premiere gebracht. Dass ich die Carmen singen durfte, war ein schwerer Kampf.
Das war aber schon nach dem überraschenden Fachwechsel. Wie kam es eigentlich dazu?
Ich merkte, dass mich die Sopranrollen mehr und mehr anstrengten. Es ist ein harter Beruf, aber die Stimme darf nicht nach jedem Auftreten so „müde“ sein, wie es mir passierte. Ich musste jede Menge Sport betreiben, um ausreichend Fitness für die hohen Töne zu haben. Im Herbst 2003 war mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte, wenn ich mich nicht kaputtmachen wollte. Da ist buchstäblich meine Welt zusammen gebrochen – als hätte mein Leben den Sinn verloren. Ich habe einmal in Innsbruck vorgesungen, und Brigitte Fassbaender hat zu mir gesagt: „Da haben sie sich einen schweren Beruf ausgesucht“. Und ich habe geantwortet: „Nein, der Beruf hat mich ausgesucht.“ So weit war es inzwischen, und dass ich als Sopran aufhören musste, nachdem ich mir schon etwas aufgebaut hatte, war schrecklich. Ich habe alle Engagements als Sopran, die ich schon hatte – das ging bis zu den Salzburger Festspielen 2006 – abgesagt.
Und dann sind Sie wie Phönix aus der Asche gestiegen?
Ja, denn als alles erledigt war, habe ich am nächsten Tag mit meiner Lehrerin die Alt-Arie aus dem „Messias“ gesungen, und auf einmal habe ich mich wie der Fisch im Wasser gefühlt. Es ist mir wie Schuppen von den Augen gefallen, dass ich ein neues Leben vor mir habe. Und meine Lehrerin Helena Lazarska, dieselbe, die ich als Sopran hatte, hat mich durch den Fachwechsel begleitet. Es war allerdings sehr, sehr schwer, diesen den Leuten begreiflich zu machen, die mich als Sopran kannten, und ich bin nirgends auf besonderes Verständnis gestoßen, auch nicht an meinem Stammhaus, der Volksoper. Es war dann Zufall, dass ich als Zweitbesetzung den Boccaccio in der Operette singen konnte. Und die Carmen durchgesetzt habe, die ich mittlerweile auch in Berlin an der Deutschen Oper gesungen habe – nach einem Vorsingen, bei dem auch Daniel Barenboim dabei war.
Wären Sie an der Volksoper geblieben, wenn Direktor Holender nicht einen Orlofsky gebraucht hätte?
Wohl nicht. Er hat das ohnedies einmal pointiert formuliert – von der Drittbesetzung der Volksoper zur Erstbesetzung in der Staatsoper. Das Publikum am Gürtel war wahnsinnig lieb und anhänglich und stand in Trauben am Bühnentürl. Aber was man in dem Haus machte, hat einfach nicht genügend Resonanz gefunden, vor allem bei der Kritik. Da wird man in der Staatsoper doch viel stärker wahrgenommen. Und als Sänger wünscht man sich selbstverständlich – gerechtfertigte – Aufmerksamkeit.
An welche Rollen denken Sie in Zukunft?
Wenn man einmal die Carmen gesungen hat, bleibt nicht so viel zu wünschen… Ich weiß jedenfalls, was ich nicht machen werde, etwa die klassischen Hosenrollen. Man singt keinen Cherubin, wenn man die Gräfin war, und ich werde auch nicht in die Strauss-Hosenrollen schlüpfen, wenn Elina Garanca derzeit ein so unerreichbarer Octavian ist. Aber ich studiere als Cover die Clairon, auch wenn ich vielleicht nie drankomme, wie ich an der Volksoper auch als Magdalena bereit stand und sie nie auf der Bühne singen durfte. Das ist so, wenn man an einem Haus engagiert ist – ich war auch jetzt als Fricka auf Standby. Das ist eine sehr interessante Rolle, und Direktor Hollaender hat gemeint, ich komme vielleicht an die Reihe, wenn der „Ring“ komplett gespielt wird. Die Waltraute hat er mir jedenfalls angekündigt. Die großen Wagner-Rollen überlege ich mir später. Sicher singe ich noch einiges von Verdi, und es wäre schön, wenn sich realisiert, was Direktor Holender mir für seine letzte Spielzeit angekündigt hat – die Medea in der Uraufführung dieser Oper von Aribert Reimann. Ich gebe schon zu, dass ich große Sehnsucht nach einer Premiere habe…
Sie haben in Berlin gesungen, singen jetzt in Paris, werden 2009 den Orlofsky in Tokio singen, sind immer wieder mit Konzerten und Liedern unterwegs – setzten Sie jetzt, im idealen Alter von Mitte 30, zur Weltkarriere an?
Ich sehe das nicht so. Ich lebe gerne in Wien – wie viel die Stadt kulturell und auch in Hinsicht auf Lebensqualität zu bieten hat, merkt man erst, wenn man weg ist. Ich kann nicht sagen, dass ich nicht an der Met, an der Scala, in Covent Garden singen möchte, aber Karriere ist nicht das Wichtigste. Ich möchte das erreichen, was ich verdiene, und einfach am jeweils für mich besten Platz Qualität liefern. Und ich möchte innerlich in Balance sein, so wie ich es jetzt bin. Wenn man sich gut fühlt, kann man seine Kräfte auch am besten einsetzen…