Idylle (Literatur / Kunst) | Bedeutung, Merkmale, Beispiele (original) (raw)
Als Idylle, bis in das 18. Jahrhundert auch Idyll, wird eine epische, teils auch dramatische und selten dialogische Dichtform bezeichnet, welche zumeist in Versen oder Prosa das empfindsame, friedvoll-bescheidene, paradiesische sowie ländliche Leben schildert und dabei eine harmlose, friedfertige, geborgene und harmonische Welt zeigt. Solche Idylle sind zumeist in Alltagssprache verfasst und kommen entweder als eigenständiges Werk daher – vor allem als Kleinepik oder in geschlossenen, einzelnen Szenen – oder sind in ein größeres Werk eingebettet. Die Idylle ist eine häufige Form der Hirtendichtung und in der Empfindsamkeit sowie im Biedermeier beliebt (vgl. Literaturepochen).
Begriff & Beispiel
Der Begriff leitet sich vom griechischen Nomen eidyllion ab und lässt sich in etwa mit Bildchen oder kleines, eigenständiges Gedicht übersetzen. Diese Übersetzung verweist auf das allgemeine Verständnis des Begriffs: ist etwas idyllisch, dann wird damit zum Ausdruck gebracht, dass es harmonisch, teils ländlich und vor allem friedfertig ist. Damit ist also ein Zustand oder ein Bild gemeint, die auf den Betrachter friedlich wirken.
In Bezug auf die Kunst meint das Wort folglich die Darstellung von Landschaften, Burgen, Schlössern, Menschen in der Natur, wobei störende Objekte zumeist retuschiert werden. In Bezug auf die Literatur meint der Begriff nahezu das Gleiche: nämlich die Darstellung vom ländlichen, friedlichen Leben, wobei die Gattung bereits in der Antike – nämlich beim griechischen Dichter Theokritos (um 270 v. Chr.) – belegt ist.
Beispielhafte Idylle, Die arkadischen Hirten von Nicolas Poussin
Das obige Beispiel ist ein Ausschnitt eines Gemäldes des französischen Malers Nicolas Poussin (1594-1665), der als Vertreter des klassizistischen Barock gilt. Das Bild kann auf den ersten Blick als Idylle aufgefasst werden. Zu sehen sind Menschen in der Natur, die friedlich und harmonisch erscheinen. Auf den zweiten Blick fällt hierbei noch etwas Anderes auf: die Dargestellten stehen vor einem Grabmal, auf dem ET IN ARCADIA EGO steht. Diese lateinische Ellipse lässt sich in etwa mit Auch ich (war) in Arkadien übersetzen.
Arkadien ist hierbei ein Schlagwort, das charakteristisch für idyllische Werke ist. Arkadien gilt in der Literatur als ein Ort, der jenseits aller gesellschaftlichen Zwänge ist. Arkadien ist demnach der Inbegriff des Idyllischen. Folglich gilt Arkadien als ein Locus amoenus (lat.: lieblicher Ort), ein literarischer Topos, der zumeist den Menschen in der Natur zeigt. In Literatur und Kunst sind oftmals Hirten die Protagonisten.
Idylle in der Literatur
In der Literatur ist die Idylle seit Theokritos (etwa 270 v. Chr.), einem griechischen Dichter, belegt. Unter Theokrits Namen sind zahlreiche Epigramme überliefert, aber auch allerhand Idylle, auch wenn nicht immer geklärt ist, ob diese tatsächlich diesem Dichter zuzuschreiben sind. Inhaltlich ist dies aber nebensächlich. Theokritos Werke zeigen meist Szenen aus dem Alltag, aber gleichermaßen Hirtendichtung oder greifen mythologische Themen auf (vgl. Mythos). Schauen wir auf ein Beispiel (Auszug):
Lieblich, o Geißhirt, ist das Getön, das die Pinie drüben Säuselnd am Felsquell übt, das melodische; lieblich ertönt auch Deine Syringe; nach Pan wird billig der andere Preis dir. Wenn er den Bock sich erwarb, den gehörneten, nimmst du die Ziege, Wenn zum Lohn er die Ziege behält, dann folget das Zicklein Dir; und fein ist das Fleisch vom Zickelchen bis du es melkest.
Im obigen Beispiel, das der erste Abschnitt des Werkes Thyrsis ist und von Eduard Mörike ins Deutsche übertragen wurde, wird grundsätzlich ersichtlich worum es geht. Sehr präsent ist die Darstellung der harmonischen Natur, wenn der Felsquell lautmalerisch säuselt und die Syringe (eine Muse; Schutzgöttin der Künste) lieblich ertönt. Darüber hinaus wird etwas Ländliches in den Mittelpunkt gestellt (melken, schlachten).
In der Antike finden sich noch weitere Dichter, die in solch heiteren, harmonischen Werken das Leben in der Natur und vor allem das Leben der Hirten preisen, wie etwa Bion von Smyrna (um 100 v. Chr.) oder auch Moschos (2. Jh. v. Chr.), der nahezu ausschließlich für seine bukolische Dichtung (Dichtung, die vom Leben der Rinderhirten erzählt) bekannt ist. Charakteristisch ist, dass die altertümlichen Texte weniger lyrisch sind und eher als Dialoge, also halbdramatisch, erscheinen. Später sind es dann Vergils Eklogen, die zum Vorbild der europäischen Hirtendichtung werden, auch hierbei dominiert die Dialogform. Ein beispielhafter Auszug:
Zweier Hirten Gesang, des Damon und Alphesiböus, Welche, der Weid‘ achtlos, anstaunete selber die Waldkuh Während des Kampfs, auf deren Getön starr horchten die Luchse, Und, aus eigenem Laufe gewandt, ausruhte der Bergstrom: Damons Wundergesang meld‘ ich und Alphesiböus‘.
Hinweis: Kompletter Text an dieser Stelle
Auch in Vergils Text ist das zentrale Motiv das friedfertige und harmonische Leben der Hirten. Dieses Motiv und die Art und Weise, wie Vergil es verarbeitete, wurde zum wesentlichen Vorbild der Hirtendichtung – also auch der Idyllendichtung – im Europa von den Anfängen der Renaissance (vgl. Quattrocento) über den Barock bis ins späte 18. Jahrhundert. Vor allem im 18. Jahrhundert, also in der Empfindsamkeit, ist die Idylle sehr verbreitet. Oft werden hier idyllisches Landleben und bürgerliches Stadtleben gegenübergestellt.
Die Schauplätze dieser Gedichtform wurden im Barock zumeist in einer Art Paradies angesiedelt, wobei der Urzustand des Menschen ein zentrales Motiv war. In der Aufklärung ist es dann vor allem die Sehnsucht nach einem goldenen Zeitalter und der Wunsch nach (innerem) Frieden, welcher die Autoren antreibt und zur Idyllendichtung bringt. Ein wichtiger Vertreter dieser Zeit ist der Idyllendichter, Maler und Grafiker Salomon Gessner (1730-1788). Seine Idyllen zeigten ein goldenes Zeitalter ungestörter Eintracht. Ein Beispiel:
Ihr freundlichen Nymphen, die ihr in diesem stillen Felsen wohnet, ihr habt dichtes Gesträuch vor die kühle Oefnung hingepflanzt, daß stille Ruhe und sanfter Schatten euch erquike; die ihr diese klare Quelle aus euern Urnen giesst, wenn ihr nicht izt im dichten Hain mit den Waldgöttern euch freut, oder auf dem nahen Hügel, oder wenn ihr auf euern Urnen schlummert, o dann stöhre meine Stimme nicht eure Ruhe! Aber höret meine Klagen, freundliche Nymphen, wenn ihr wachet! Ich liebe ‒ ‒ ach! ‒ ‒ ich liebe den Lycas mit dem gelben Haar! (Aus: Gessner, Salomon: Idyllen. Zürich, 1756, Beginn des Kapitels „Chloe“)
Gessners Idyllen sind zumeist in rhythmischer Prosa verfasst und greifen ebenso Elemente der griechischen Mythologie auf. Gessner selbst berief sich auf Theokrit, wobei eine inhaltliche Nähe ebenfalls zur Dichtung der arkadischen Schäferwelt der italienisch-französischen Hofpoeten des 17. Jahrhunderts offensichtlich ist.
In den folgenden Jahrhunderten versuchen sich weiterhin zahlreiche Autoren an der Idyllendichtung, wie etwa Eduard Mörike, Heinrich Heine, Thomas Mann oder auch Johann Wolfgang von Goethe. Dennoch bleibt das Sentimentale der ursprünglichen Form meist unerreicht, da in vielen Idyllen eine eher pessimistische Grundhaltung des lyrischen Ichs dominiert und so nicht die Unbeschwertheit der ersten Idyllen präsent wird.
Kurzübersicht: Das Wichtigste zum Begriff im Überblick
Als Idylle, auch Idyll, wird im allgemeinen Sprachgebrauch ein Bild oder ein Zustand bezeichnet, die auf den Betrachter beschaulich sowie friedlich wirken. In der Kunst ist es die Darstellung solcher Szenen, wie etwa Naturdarstellungen, Schlösser sowie die Darstellung des Menschen in der Natur. In der Literatur verhält es sich ähnlich: so werden harmlose, friedfertige, geborgene und harmonische Welten gezeigt oder der Mensch im Paradies, der unbeschwert ist.
Zumeist werden solche Idyllen in rhythmischer Prosa oder in Versen verfasst, wobei außerdem eine dialogische Form in vielen Beispielen präsent ist, wodurch die Idylle durchaus dramatische, epische sowie lyrische Züge annehmen und miteinander verbinden kann.
Wesentlich ist allerdings immer, dass es darum geht, dass etwas Friedliches und Natürliches gezeigt wird, welches zumeist in einem ländlichen Umfeld agiert. Charakteristisch ist die Idyllendichtung für die bukolische Dichtung, die eine Art der Dichtung meint, die das friedliche Leben der Hirten zum Gegenstand hat.