Prosagedicht | Bedeutung, Merkmale und Beispiel (original) (raw)
Als Prosagedicht wird eine Textart zwischen Prosa und Gedicht bezeichnet. Das Prosagedicht ist eine kunstvoll strukturierte und rhythmisch-klanglich gestaltete Prosa, die sich von der Lyrik vornehmlich insofern unterscheidet, als dass Endreime fehlen und die Rede nicht durch Verse gebunden ist. Ein Prosagedicht ist jedoch nicht nur rhythmisch, sondern außerdem bildstark, weshalb es stark von lyrischen Gestaltungs- und Stilmitteln durchzogen ist, wie etwa Assonanzen, Binnenreime etc.
Der wesentliche Unterschied zwischen Lyrik in Prosa ist der, dass lyrische Texte in gebundener Rede verfasst sind, wohingegen sich die Prosa durch ungebundene Rede auszeichnet. Das bedeutet, dass sich Prosa vor allem dadurch auszeichnet, dass sie weder durch Reime, Verse noch Rhythmus (Metrum) strukturiert wird.
Diese Unterteilung funktioniert auch in vielen Fällen. Es es gibt jedoch Texte, die gewissermaßen dazwischen liegen. Diese werden als rhythmische Prosa, Prosagedicht sowie als Freie Rhythmen bezeichnet, wobei das Prosagedicht eine Art Bindeglied zwischen der rhythmischen Prosa und den Freien Rhythmen bildet.
**Unterschied: Prosa, rhythm. Prosa, Prosagedicht, Freie Rhythmen, Lyrik
- Prosa: Ursprünglich meinte der Begriff jeglichen Text, der nicht zum Vortragen vor Zuhörern bestimmt war und somit keine poetischen Merkmale aufwies. Heutzutage werden damit alle Texte bezeichnet, die eben nicht der Lyrik zuzuschreiben sind. Demzufolge ist neben der Umgangssprache jeder andere Text als Prosa einzuordnen (vgl. Prosa).
- rhythmische Prosa: Meint Fließtexte, also ungebundene Rede, die nicht bewusst gegliedert oder segmentiert ist, also in Versen verfasst sind und doch auffällige Wiederholungsfiguren aufweisen. Dies können beispielsweise Alliterationen und Endreime sein oder syntaktische Parallelismen sowie vereinzelte metrische Bausteine (siehe auch: Beispiel-Alliterationen)
- Prosagedicht: Zeichnet sich dadurch aus, dass ebenfalls keine eindeutige Versbindung vorliegt und somit auch keine Strophenform, wobei dennoch sehr bildstarke, kunstvoll-rhythmische Elemente eingesetzt werden. Verzichtet außerdem auf Endreime (vgl. Reimschema).
- Freie Rhythmen: Sind freie, metrisch ungebundene Verse. Im Gegensatz zu den vorherigen Formen gibt es allerdings eine eindeutige Versform, die sich in Strophen teilen lässt. Da die Versgruppen allerdings nicht regelmäßig erscheinen und sich nicht durch ein eindeutiges Konzept auszeichnen, spricht man in diesem Zusammenhang eher von Abschnitten.
- Lyrik: Meint die Dichtung in Versform, also in gebundener Rede, wobei allerhand Spielarten denkbar sind. Sie bildet neben Epik und Dramatik die dritte der drei literarischen Gattungen. Texte, die dieser Gattung angehörig sind, werden prinzipiell als Gedichte bezeichnet.
- Hinweis: Dennoch gilt, dass die beschriebenen Merkmale eher als ungefähre Einschätzung zu verstehen sind. Die Grenzen zwischen den Formen sind fließend und in einigen Fällen nicht eindeutig zu skizzieren. Vor allem der Unterschied zwischen rhythmischer Prosa und dem Prosagedicht ist besonders schwierig und nicht immer eindeutig.
Beispielhafte Prosa (Klappt beim Klicken auf!)
K. wartete noch ein Weilchen, sah von seinem Kopfkissen aus die alte Frau, die ihm gegenüberwohnte und die ihn mit einer an ihr ganz ungewöhnlichen Neugierde beobachtete, dann aber, gleichzeitig befremdet und hungrig, läutete er. Sofort klopfte es und ein Mann, den er in dieser Wohnung noch niemals gesehen hatte, trat ein. Er war schlank und doch fest gebaut, er trug ein anliegendes schwarzes Kleid […]
Das obige Beispiel ist dem Prozeß von Franz Kafka entnommen. Offensichtlich ist hierbei, dass der Text nicht gebunden wird, es gibt keine Gleichklänge, kein Metrum, keine Strophen. Er ist somit eindeutig als ungebundene Rede zu identifizieren und demzufolge als Prosa.
Prosagedicht als Beispiel
Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkeln unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süsses Lied!
Das Prosagedicht von Rainer Maria Rilke ist nicht in Strophen unterteilt und auch eine Versbindung ist nur auf den ersten Blick vorzuliegen. Es weißt keine wiederholende Endreimfolge auf, aber nutzt doch lyrische Kniffe und Wortähnlichkeiten. So finden wir vereinzelte Reime, die allerdings keine eindeutige Abfolge haben. Weiterhin ist es bildstark.
Beispiel für die Freien Rhythmen
Das Landleben
Nicht in den Ozean
Der Welten alle
Will ich mich stürzen!
Nicht schweben, wo die ersten Erschaffnen,
Wo die Jubelchöre der Söhne des Lichts
Anbeten, tief anbeten,
Und in Entzückung vergehn!
Nur um den Tropfen am Eimer,
Um die Erde nur, will ich schweben,
Und anbeten!
Lassen sich in einem Werk keine metrischen Gesetzmäßigkeiten erkennen, wobei trotzdem eine Vers- und Strophenform gegeben ist, spricht man von freien Rhythmen. Friedrich Gottlieb Klopstock, welcher auch die Ode im deutschsprachigen Raum fruchtbar machte, ist außerdem Urheber und Initiator dieser reimlosen sowie unregelmäßigen Versform.
Beispielhafte Lyrik
Es gibt zwei Sorten Ratten:
Die hungrigen und satten.
Die satten bleiben vergnügt zu Haus,
Die hungrigen aber wandern aus.
Sie wandern viele tausend Meilen,
Ganz ohne Rasten und Weilen,
Gradaus in ihrem grimmigen Lauf,
Nicht Wind noch Wetter hält sie auf.
Sie klimmen wohl über die Höhen,
Sie schwimmen wohl durch die Seen;
Gar manche ersäuft oder bricht das Genick,
Die Lebenden lassen die Toten zurück.
Das Beispiel zeigt die ersten drei Strophen aus Heinrich Heines Die Wanderratten. Es liegt eine eindeutige Strophenform vor, wobei die einzelnen Verszeilen durch Ähnlichkeiten miteinander verbunden sind. In diesem Fall ist es vornehmlich der Paarreim, der die Zeilen verbindet.
poème en prose und Prosagedicht
Das Prosagedicht stammt ursprünglich aus dem französischen Sprachraum und wurde demzufolge als poème en prose in die literarische Welt eingeführt. Als erstes französisches Prosagedicht gilt Gaspard de la nuit (1842) von Aloysius Bertrand. Das Buch inspirierte viele symbolische Dichter.
Jedoch gab es bereits in der deutschen Romantik sehr bedeutende Vorbilder der Gattung (Jean Paul, Novalis, Hoelderlin, Heine), auch wenn die Verbreitung der Gedichtform wohl auf Baudelaires Versuche in einer poetischen, musikalischen, lyrischen Form ohne Reim sowie Rhythmus zurückzuführen sind, welche unter dem Titel Petits poèmes en prose (1869) veröffentlicht wurden (→ Literaturepochen).
Kennzeichnend für den Erfolg und die wachsende Beliebtheit des Prosagedichtes ist weiterhin die Vorstellung der Romantik, dass sich die literarischen Gattungen in vielen Punkten überlagern und eben nicht nahtlos voneinander zu trennen seien. So erlebte das Prosagedicht vor allem in der Romantik einen Höhenflug.
Kurzübersicht: Bedeutung und Merkmale der Gedichtform
Das Prosagedicht ist eine Textsorte, die zwischen Prosa und Lyrik anzusiedeln ist. Es bedient dabei Elementen, die beiden Bereichen zuzuordnen sind. Kennzeichnend ist, dass es metrisch und rhythmisch sowie bildstark ist, aber keiner eindeutigen Versform unterliegt.
Dennoch ist es teils schwierig, das Prosagedicht von anderen Formen eindeutig abzugrenzen. Vor allem zwischen rhythmischer Prosa und den Prosagedicht besteht grundsätzlich kein wesentlicher oder herausstechender Unterschied.
Geboren wurde die Gedichtart im 19. Jahrhundert und somit im Zuge der Romantik. Wichtig ist hierbei, dass die Romantiker der Auffassung waren, dass die literarischen Gattungen nicht eindeutig voneinander zu trennen sind, was den idealen Nährboden für das Entstehen des Prosagedichts ausmachte und auch seinen Erfolg begründete.