Prosagedicht | Bedeutung, Merkmale und Beispiel (original) (raw)

Als Prosagedicht wird eine Textart zwischen Prosa und Gedicht bezeichnet. Das Prosagedicht ist eine kunstvoll strukturierte und rhythmisch-klanglich gestaltete Prosa, die sich von der Lyrik vornehmlich insofern unterscheidet, als dass Endreime fehlen und die Rede nicht durch Verse gebunden ist. Ein Prosagedicht ist jedoch nicht nur rhythmisch, sondern außerdem bildstark, weshalb es stark von lyrischen Gestaltungs- und Stilmitteln durchzogen ist, wie etwa Assonanzen, Binnenreime etc.

Der wesentliche Unterschied zwischen Lyrik in Prosa ist der, dass lyrische Texte in gebundener Rede verfasst sind, wohingegen sich die Prosa durch ungebundene Rede auszeichnet. Das bedeutet, dass sich Prosa vor allem dadurch auszeichnet, dass sie weder durch Reime, Verse noch Rhythmus (Metrum) strukturiert wird.

Diese Unterteilung funktioniert auch in vielen Fällen. Es es gibt jedoch Texte, die gewissermaßen dazwischen liegen. Diese werden als rhythmische Prosa, Prosagedicht sowie als Freie Rhythmen bezeichnet, wobei das Prosagedicht eine Art Bindeglied zwischen der rhythmischen Prosa und den Freien Rhythmen bildet.

**Unterschied: Prosa, rhythm. Prosa, Prosagedicht, Freie Rhythmen, Lyrik






Beispielhafte Prosa (Klappt beim Klicken auf!)

K. wartete noch ein Weilchen, sah von seinem Kopfkissen aus die alte Frau, die ihm gegenüberwohnte und die ihn mit einer an ihr ganz ungewöhnlichen Neugierde beobachtete, dann aber, gleichzeitig befremdet und hungrig, läutete er. Sofort klopfte es und ein Mann, den er in dieser Wohnung noch niemals gesehen hatte, trat ein. Er war schlank und doch fest gebaut, er trug ein anliegendes schwarzes Kleid […]


Das obige Beispiel ist dem Prozeß von Franz Kafka entnommen. Offensichtlich ist hierbei, dass der Text nicht gebunden wird, es gibt keine Gleichklänge, kein Metrum, keine Strophen. Er ist somit eindeutig als ungebundene Rede zu identifizieren und demzufolge als Prosa.

Prosagedicht als Beispiel

Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkeln unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süsses Lied!


Das Prosagedicht von Rainer Maria Rilke ist nicht in Strophen unterteilt und auch eine Versbindung ist nur auf den ersten Blick vorzuliegen. Es weißt keine wiederholende Endreimfolge auf, aber nutzt doch lyrische Kniffe und Wortähnlichkeiten. So finden wir vereinzelte Reime, die allerdings keine eindeutige Abfolge haben. Weiterhin ist es bildstark.

Beispiel für die Freien Rhythmen

Das Landleben

Nicht in den Ozean
Der Welten alle
Will ich mich stürzen!
Nicht schweben, wo die ersten Erschaffnen,
Wo die Jubelchöre der Söhne des Lichts
Anbeten, tief anbeten,
Und in Entzückung vergehn!

Nur um den Tropfen am Eimer,
Um die Erde nur, will ich schweben,
Und anbeten!


Lassen sich in einem Werk keine metrischen Gesetzmäßigkeiten erkennen, wobei trotzdem eine Vers- und Strophenform gegeben ist, spricht man von freien Rhythmen. Friedrich Gottlieb Klopstock, welcher auch die Ode im deutschsprachigen Raum fruchtbar machte, ist außerdem Urheber und Initiator dieser reimlosen sowie unregelmäßigen Versform.

Beispielhafte Lyrik

Es gibt zwei Sorten Ratten:
Die hungrigen und satten.
Die satten bleiben vergnügt zu Haus,
Die hungrigen aber wandern aus.

Sie wandern viele tausend Meilen,
Ganz ohne Rasten und Weilen,
Gradaus in ihrem grimmigen Lauf,
Nicht Wind noch Wetter hält sie auf.

Sie klimmen wohl über die Höhen,
Sie schwimmen wohl durch die Seen;
Gar manche ersäuft oder bricht das Genick,
Die Lebenden lassen die Toten zurück.


Das Beispiel zeigt die ersten drei Strophen aus Heinrich Heines Die Wanderratten. Es liegt eine eindeutige Strophenform vor, wobei die einzelnen Verszeilen durch Ähnlichkeiten miteinander verbunden sind. In diesem Fall ist es vornehmlich der Paarreim, der die Zeilen verbindet.

poème en prose und Prosagedicht

Das Prosagedicht stammt ursprünglich aus dem französischen Sprachraum und wurde demzufolge als poème en prose in die literarische Welt eingeführt. Als erstes französisches Prosagedicht gilt Gaspard de la nuit (1842) von Aloysius Bertrand. Das Buch inspirierte viele symbolische Dichter.

Jedoch gab es bereits in der deutschen Romantik sehr bedeutende Vorbilder der Gattung (Jean Paul, Novalis, Hoelderlin, Heine), auch wenn die Verbreitung der Gedichtform wohl auf Baudelaires Versuche in einer poetischen, musikalischen, lyrischen Form ohne Reim sowie Rhythmus zurückzuführen sind, welche unter dem Titel Petits poèmes en prose (1869) veröffentlicht wurden (→ Literaturepochen).

Kennzeichnend für den Erfolg und die wachsende Beliebtheit des Prosagedichtes ist weiterhin die Vorstellung der Romantik, dass sich die literarischen Gattungen in vielen Punkten überlagern und eben nicht nahtlos voneinander zu trennen seien. So erlebte das Prosagedicht vor allem in der Romantik einen Höhenflug.

Kurzübersicht: Bedeutung und Merkmale der Gedichtform