Die unerträgliche Leichtigkeit bloßen Meinens. Replik auf Schönpflugs Verkennung der Kritischen Psychologie (original) (raw)

Totalität oder Zweckmäßigkeit? Kants Ringen mit dem Mannigfaltigen der Erfahrung im Ausgang der Vernunftkritik

Kant-Studien, 1992

Die noch im "Anhang zur transzendentalen Dialektik" der Kritik der reinen Vernunft vorgenommene transzendentale Deduktion der Ideen-von Kant als "die Vollendung des kritischen Geschäftes der reinen Vernunft" (B 698) bezeichnetwird als Reaktion gegen ein zuvor bedrohlich auftretendes Mannigfaltiges der Erfahrung interpretiert. Als Stärkung der totalisierenden Funktionen der Vernunft entspricht diese Maßnahme zwar der in der Kritik entwickelten Theorie der Erfahrung, gefährdet aber zugleich die Balance zwischen Mannigfaltigkeit und Einheit der Erfahrung. In einem alternativen, in der Kritik der Urteilskraft enthaltenen Lösungsversuch setzt Kant an die Stelle einer Ausrichtung auf die Vernunftideen (Seele, Welt und Gott) die Orientierung am Prinzip der Zweckmäßigkeit. Wenngleich diese Teleologisierung der im "Anhang zur transzendentalen Dialektik" aufgetretenen Problematik gerechter wird, führt sie im Resultat nicht über ihn hinaus. 1

Der Ort der Kritik. Zur diskursanalytischen Kritik des Leidens

Theorie und Praxis der Diskursforschung, 2019

Kritisch soll die Wissenschaft sein und die Diskursforschung erst recht. Zumindest ist dies der Anspruch vieler DiskursforscherInnen, auch derjenigen, die sich nicht explizit auf einen Ansatz stutzen der das Adjektiv ‚kritisch‘ oder ‚critical‘ im Namen tragt. Doch was bedeutet das uberhaupt: Kritik?

Vom unglücklichen Bewusstsein (aus: Das Ende der Kritik)

Ulrich Schödlbauer/Joachim Vahland, Das Ende der Kritik, Berlin 1997, S. 139-174 (Kap.III/2), 1997

Vom unglücklichen Bewußtsein (Autor: Ulrich Schödlbauer) 1. Das Verschwinden des östlichen ,Blocks' von der ideologischen Landkarte hat -in West und Ost -eine Reihe von Phantomschmerzen gezeitigt, deren zufriedenstellen de Diagnose noch aussteht. Zwar fehlte es nicht an ehrgeizigen Versuchen, aber es fügte sich, daß sie alle mehr oder minder unreflektiert in die der Politik und dem Wirtschaftsleben abgelernten Formeln von der ,Unsicherheit' oder ,Ungewißheit' kommender Entwicklungen mündeten, selbst die seinerzeit auf ganz andere Pro blemstände gemünzte Habermas-Vokabel von der ,Neuen Unübersichtlichkeit' kam hier und da schüchtern zu neuen Ehren. Das mochte, um an eine Wendung Kants zu erinnern, in der Praxis hingehen, doch in der Theorie schuf die sich in solchen Flos keln bekundende Auslieferung an einen kommenden Zeitgeist eine Opportunismus variante, die man, eine Lieblingsvokabel dieser Jahre aufgreifend, getrost ,virtuell' nennen könnte. Warum sich den Kopf zerbrechen, wenn alles im Fluß ist und das Passende sich früher oder später schon finden wird? Die intellektuelle Selbststornie rung kennt allerlei Quellen und mancherlei Gründe, auch Abgründe -es scheint, als erlebten manche Heroen des öffentlich ergriffenen Wortes schmerzliche Bewußt seinslagen noch einmal, allerdings nicht, wie zu ihrer Zeit, eingespannt zwischen Hoffen und Bangen, sondern im Licht des Verdachts, daß mit dem beschädigten Hof fen auch das Bangen nicht mehr das alte sein dürfe. Wer profitiert, sind die Eiferer und die Spötter: Feindschaft stabilisiert, Loyalität, zumal verdeckte, nicht minder. Gute Zeiten für Enthüllungsspezialisten, die es nicht lassen können, von jeder öf fentlich zur Schau getragenen Gesinnung auf sinistre Beweggründe zu schließen und inmitten ihrer Häme über die durch den Weltlauf desavouierte Konkurrenz verges sen, daß sie der Claque nichts weiter zu bieten haben als ein klebriges Spiel -pour rien. Doch unterstellt, der öffentlich geäußerte Schmerz der ersten und, mehr noch, der zweiten Stunde -soweit er empfunden wurde und nicht nur medial verordneter Mi mesis entstammte -sei auch noch anderen als unredlichen oder dümmlichen Grün den geschuldet gewesen, unterstellt ferner, dieser Schmerz [140] halte unter Leuten, die weniger leicht zufriedenzustellen sind als das lernfähige Gros gegenwartssüchti Schödlbauer/Vahland: Das Ende der Kritik -Vom unglücklichen Bewußtsein 2 ger Sprecher, noch immer an, wenngleich dumpf und in die Regionen einer labyrin thischen Sprachlosigkeit verbannt, unterstellt schließlich, es handle sich um einen Schmerz besonderer Art, dem allein durch begleitende Analyse zu begegnen wärenicht, um zu heilen, niemandem soll zu nahe getreten werden -, so wäre es an der Zeit, sich einer Klasse von Dokumenten zuzuwenden, die, in den ersten Jahren des Übergangs entstanden, sich dem Diktat dieses Schmerzes zu verdanken scheinen: Selbstenthüllungen, die heute bereits wieder undenkbar wären, unter Zeitdruck ge schrieben und hastig auf den Markt geworfen, Texte, die inzwischen den fast unwi derstehlichen Drang wecken, den Mantel der Scham über sie auszubreiten. Darunter kostbare Zeugnisse, ein Entzücken künftigen Historikern. Lang konservierte Illusio nen kämpfen in ihnen einen kurzen, heftigen Kampf mit den sich bildenden Realitä ten, deren Sieg in jeder Hinsicht vollständig ausfällt. Die Sprachregelungen erschei nen zwar noch intakt, doch sie regeln nichts mehr. Wie sollten sie auch? Der Auf bruch, von dem sie -unwillig -Zeugnis ablegen, gilt ihnen nicht als Aufbruch ins Neue, eher als Rückkehr aus der Zukunft, als ein Zurückfluten unbotmäßiger Bevöl kerungen aus einer vorgeschobenen Warteposition, in die niemand so recht nach rücken wollte -aus menschlich verständlichen, doch darum in programmatischer Hinsicht nicht weniger dubiosen Gründen. 2. Hans Mayer, Jahrgang 1907, in den Realitäten der beiden deutschen Nachkriegsstaa ten ebenso wie in ihren Illusionen erfahren, hat über sein bewegtes Leben mehrfach Auskunft gegeben: in seinen Erinnerungen 1 ebenso wie in den 1987 veröffentlichten Frankfurter Poetik-Vorlesungen. 2 Wer nach Material über das Verhältnis von Geist und Macht in diesem Jahrhundert fahndet, kann hier über jedes Bedürfnis hinaus fündig werden. Mayer weiß zu erzählen und findet Anlässe zuhauf. Gelegenheit ge ben selbst die eigenen, noch zu Lebzeiten Stalins verfaßten Schriften: "Als ich in Leip zig mein Lehramt antrat, im Oktober 1948, drei Jahre nach meiner Heimkehr in die deutsche Fremde, befand man sich, wie wir heute wissen, inmitten der sieben schlim men und letzten Lebensjahre des allmächtigen Mannes. Ich habe Stalin seit meiner Studentenzeit, die mit seinem Aufstieg zur Macht zu sammenfiel, von Anfang an tief 1 Hans Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf. Erinnerungen, 2 Bde., Frankfurt/M. 1988. 2

»… wenn einer blos spricht, um zu sprechen, …«. Kritische Neuedition des ›Monolog‹ von Novalis

2008

Martin Endres "… wenn einer blos spricht, um zu sprechen, …". Kritische Neuedition des ‚Monolog' von Novalis* "Ab hier fehlt die Handschrift. Der Druck folgt Bülow"1 -so lautet die nüchterne Notiz zum ‚Monolog' im Apparat der kritischen Ausgabe der Schriften von Novalis, die noch bis vor kurzem Gültigkeit besaß. Denn bislang waren nur die Handschriften der sechs ‚Dialogen' überliefert, seit 1960 archiviert im Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Main2 -der Schluß des 6. ‚Dialogs' sowie der gesamte ‚Monolog' galten als verschollen. 2001 kam die Handschrift bei der Versteigerung der Autographensammlung von Max M. Warburg bei Stargardt in Berlin jedoch erstmals wieder ans Licht und ist nun ebenfalls im Besitz des Hochstifts.3

Seelenlos glücklich? – Zur Entkräftung einiger antidualistischer Argumente

Moritz Schlick. Ursprünge und Entwicklungen seines Denkens. Schlickiana, Band 5 S. 105-126

In der Schlickvorlesung ("Warte, bis Du stirbst") habe ich im Detail Geschichten erzählt, die jemand erleben müsste, um sein Weiterleben nach dem Tod zu verifizieren. Diese Geschichten hatten eine dualistische Stoßrichtung, lieferten aber kein Argument zugunsten des Dualismus, kein Argument zugunsten der Möglichkeit, dass unsere Seele auch ohne Körper weiterlebt. Niko Strobach hat implizite Argumente aus der Schlickvorlesung herausgelesen und kritisiert. In meiner Reaktion auf diese Kritik spreche ich mich für eine epistemische Lesart der dualistischen Möglichkeit aus; ob der Dualismus metaphysisch möglich ist, finde ich irrelevant. Zudem verteidige ich das von mir benutzte – im weitesten Sinne empiristische – Sinnkriterium; ich biete eine narrative und eine cineastische Version des Kriteriums an: Ein Satz hat guten Sinn, wenn sich eine konkrete Geschichte denkbarer Wahrnehmungserlebnisse erzählen bzw. verfilmen lässt, denen der Erlebende Evidenzen für oder gegen den Satz entnehmen kann. Da die Geschichten von der Auferstehung des Fleisches, die Niko Strobach der christlichen Tradition entnimmt, heutzutage narrativ suboptimal sind, bleibe ich bei der These aus der Schlickvorlesung: Die Frage des Weiterlebens nach dem Tod hat guten Sinn, und um das nachzuweisen, eignen sich am besten dualistische Geschichten.

Die Einsamkeit des Zweiflers. Über die Freiheit von der Angst das " Falsche " zu meinen und nicht geliebt zu werden.

Die lähmende Angst des Autors vor dem leeren Blatt -in ihr manifestiert sich die Sehnsucht das "Richtige" zu schreiben: was des Lesers Zuwendung erwirkt, ihn fesselt, bewegt, Teil seines Horizonts, seiner Wahrheit wird. Wer "falsch" schreibt, wird von der "Leserschaft" mittels "like not" stigmatisiert, oder schlimmer noch, bleibt ungelesen, jenseits der Wahrnehmungsgrenze, bedeutungslos, inexistent. "Alles, was du tun musst, ist einen wahren Satz zu schreiben,… und von da aus machte ich weiter" skizzierte Ernest Hemingway um 1920 in "Paris, ein Fest fürs Leben" seine Technik gegen Schreibblockaden. Als hätte der damals junge Schriftsteller noch allein mit sich selbst um seine "richtige" Meinung, seine persönliche Wahrheit, zu ringen vermocht, vom späteren Bangen um die Aufnahme in den erlesenen Kreis der Nobelpreisträger noch unbeschwert. Anerkennung durch Erfolg vereinnahmt wie eine Droge für den Preis des Erwartungsdrucks weiterhin Gefälliges zu leisten -oder wieder im Nirwana zu verschwinden, aus dem man sich anfangs hochgeschrieben hatte… Ein Satz ist wahr, wenn er sich für den Leser als "stimmig" mit seinem Universum anfühlt. Einen eben geschriebenen Satz hier und jetzt als "wahr" zu empfinden wirkt wie der Aufstieg der Wintersonne hinter einem nachtschwarzen Horizont: Das Diffuse weicht der Klarheit, Eindeutigkeit. Zu schreiben verwandelt sich vom zähen Ringen um Begriffe und Satzzeichen zum leichtfüßigen Tanz eines Schöpfergottes im wärmenden Frühling seiner entstehenden Welt. Wer im Schreibfluss ist, spürt, dass "es gut ist", weil der Schreibende eins wird mit sich selbst, frei von Angst nicht zu gefallen. Unterbricht der Schreibende um kritisch Abstand zu nehmen vom Geschriebenen und damit von "sich" auf der Suche nach "richtigen" Maßstäben zur Prüfung des Wahrheitsgehalts seiner Worte, so erlischt abrupt der Zauber des "Flows": Jenes beflügelnde Glücksempfinden ob der Bewegung in "reiner Wahrheit" weicht den aufsteigenden Dämonen der Angst vor Missfallen und Scheitern, die das Licht verdunkeln, den Schreibfluss dämmen, den Geist lähmen …

Psychoanalyse – Schicksale einer «Kritischen Theorie»

Journal für Psychoanalyse, 2019

Was ist überhaupt eine «Kritische Theorie», und inwiefern kann die Freudsche Psychoanalyse als eine solche gelten? Und wenn sie denn eine war – oder irgendwie noch immer eine solche ist –, warum wollten und wollen so viele Psychoanalytiker davon nichts wissen? Und was hat es schliesslich mit den «Schicksalen» dieser «Kritischen Theorie» auf sich?

Kant und die vermeintliche Unmöglichkeit einer wissenschaftlichen Psychologie

1991

Die Bedeutung Immanuel Kants fur die Entstehung der Psychologie wird erortert. Es wird gezeigt, dass mit der Ablosung der rationalen Psychologie durch eine empirische Psychologie auch die Entwicklung der Psychologie als Wissenschaft begann und dass Kant diesen Prozess nicht nur einleitete und mitbestimmte, sondern dass er sich auch mit der Frage der Wissenschaftlichkeit einer empirischen Psychologie auseinandersetzte. Gemessen an den von Kant aufgestellten Kriterien fur Wissenschaftlichkeit kann eine naturwissenschaftlich ausgerichtete Psychologie nur einen unteren Rang beanspruchen. Kants Philosophie bietet aber die Chance einer kulturwissenschaftlich orientierten protowissenschaftlichen Grundlegung auf der Basis des Zeichen- und Handlungsbegriffs.