Entscheiden trotz Nichtwissen (original) (raw)

Zusammenfassung: Entscheidungen der Umweltgestaltung müssen mit der Herausforderung umgehen, dass umfassendes Wissen über Prozesse der natürlichen Umwelt und die Auswirkungen menschlicher Eingriffe häufig nicht vorliegt. Dass diese Situation nicht, wie häufig angenommen, zu Unsicherheiten im Entscheiden führen muss, zeigt das Beispiel der Sanierung kontaminierter Flächen. Akteure, die in Sanierungsprojekte involviert sind, setzen sich offenbar explizit mit dem Unbekannten und seiner Handlungsrelevanz für Entscheidungen auseinander und finden Strategien für den Umgang mit überraschenden Entwicklungen. Diese Feststellung ist anschlussfähig an Desiderata der jüngeren sozialwissenschaftlichen Nichtwissensforschung: neben der wissenschaftlichen Wissensbeschaffung als Grundlage von Entscheidungen sollten weitere Strategien im Umgang mit unbeantworteten Fragen und Nichtwissen berücksichtigt werden. Wenig untersucht ist bisher, wie solche alternativen Strategien in alltäglichen Entscheidungsprozessen aussehen können. Basierend auf einem dynamischen Konzept des Nichtwissens wird im vorliegenden Artikel gezeigt, wie Akteure die Handlungsrelevanz von Nichtwissen bestimmen. Ausgehend von der Analyse von zwei Projekten der Altlastensanierung wird ein analytisches Modell von Entscheidungen entwickelt, in die Nichtwissen aktiv einbezogen wird. Elemente wie die Begründbarkeit von Entscheidungen, das Verständnis von Fehlern und das Vorbereitetsein auf Überraschungen sind ebenso Teile des Modells wie die Kompensationsstrategien im Umgang mit unvorhergesehenen Ereignissen. Auf diese Weise wird gezielt ein Handlungsrahmen geschaffen, der einen offenen Umgang mit Nichtwissen erlaubt. Einleitung-Die Unvollständigkeit des Wissens Die Gesellschaften westlicher Industriestaaten sind seit Beginn des 20. Jahrhunderts von der Vorstellung geprägt, wissenschaftliches Wissen könne umfassende Erklärungen für Prozesse und Zusammenhänge in der Natur liefern und damit Entscheidungen sicherer machen. Nur selten sind jedoch Entwicklungen genau vorherzusehen, sodass den Möglichkeiten der Umweltgestaltung Grenzen gesetzt sind. Angesichts der Komplexität von Prozessen und Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Ökosystemen wird mehr und mehr anerkannt, dass auch die Wissenschaft nicht in der Lage ist, vollständige und endgültig gesicherte Erklärungen zu liefern. Wissenschaftliche Erklärungen sind vielmehr häufig widersprüchlich und neues Wissen wirft immer auch neue Fragen auf (vgl. Lau 1989; Faber et al. 1993; Smithson 1993; Dovers et al. 2001; Liskog 2011). Entschieden werden muss dennoch und es stellt sich die Frage, wie vor diesem Hintergrund sichere Entscheidungen getroffen werden können. Ein Themenfeld, in dem der Unvollständigkeit des Wissens im Entscheidungsmoment von den Akteuren offenbar eine gewisse Normalität eingeräumt wird, ist die Sanierung kontaminierter Flächen. In einem Handbuch zur Altlastensanierung schreibt der Ingenieur Edmund Brandt (1993: 14): "Typisch für die Altlastendiskussion ist, dass ständig neue Problemfelder sichtbar werden, sich insgesamt die Fragestellung ausweitet und Bereiche einzubeziehen sind, die zuvor nicht für einschlägig erachtet wurden." Flächen, auf denen sich durch industrielle Produktionen in der Vergangenheit Schadstoffe anreicherten, werden als Altlastenflächen bezeichnet und sind in allen industrialisierten Ländern zu finden. In den westlichen Industrieländern entstanden sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die negativen Wirkungen bestimmter Substanzen auf Ökosysteme und die 1 Ich danke den beiden anonymen Gutachtern für ihre wertvollen Hinweise zum Manuskript