Exempla: Der Lebenslauf als Bildungsgang (original) (raw)
2020, Kindheit – Bildung – Erziehung. Philosophische Perspektiven
Die Bedeutung und Geltung der Zuschreibungen, die sich für Bildungsprozesse bei Goethe wie Platon gleichermaßen finden, bewahrheiten sich schon in und mit der Geburt, sicht-und hörbar u. a. in der eigenartigen, durchaus interpretationsfähigen Artikulation des Neugeborenen: "Das Geschrei, welches ein kaum geborenes Kind hören läßt, hat nicht den Ton des Jammerns, sondern der Entrüstung und aufgebrachten Zorns an sich; nicht weil ihm etwas schmerzt, sondern weil ihm etwas verdrießt: vermutlich darum, weil es sich bewegen will und sein Unvermögen dazu gleich als eine Fesselung fühlt, wodurch ihm die Freiheit genommen wird." 1 Kants hier aus der pragmatischen Anthropologie (und dem Kapitel zum "Charakter des Geschlechts") zitierte Beobachtungen und Vermutungen werden bei ihm durch Tier-Mensch-Vergleiche weitergeführt (und in ihren teleologischen Spekulationen kann man das hier auf sich beruhen lassen). Aber Kant öffnet den Blick auf ein "kaum geborenes Kind", dem er selbst schon Gefühle zuschreibt und spezifische, offenbar dem Alter und der Situation angemessene Formen der Kommunikation, z. B. "Geschrei". Kant sieht auch Muster der Selbstwahrnehmung, zwischen "Fesselung" und "Freiheit", die höchst überraschend sind. Standardbilder des hilflosen, von den Eltern nur abhängigen, zur Kommunikation unfähigen kleinen Kindes werden jedenfalls von Kant nicht bestätigt oder gar erzeugt. Ist das ein Indiz für falsche philosophische Spekulationen des kinderlosen Philosophen, der fern der Realität Beschreibungsbegriffe für das Kind benutzt, die ihm noch gar nicht angemessen sind, oder ein Kapitel 17