Die Literaturströmung des Sturm und Drang aus evolutionärer Perspektive (original) (raw)

Literatur und Kognition aus evolutionspsychologischer Perspektive

Will man das Phänomen Literatur mit Hilfe kognitionspsychologischer oder allgemein kognitionswissenschaftlicher Konzepte und Erkenntnisse fundieren, bedarf es einer Metatheorie, die einerseits menschliche Kognition (kognitive Fertigkeiten, Informationsverarbeitung usw.) sowie Motivation und Emotion zu erklären vermag und andererseits, auch unabhängig von einer expliziten kognitiven Ausrichtung, einen Zugang zum Medium Literatur ermöglicht. Als solche Metatheorie bietet sich das evolutionspsychologische Paradigma an, das in den vergangenen Jahrzehnten, theoretisch wie empirisch, viel zum Verständnis menschlicher Kognition, Motivation und Emotion beigetragen hat und seit vergleichbar langer Zeit auch vielfältig fruchtbar auf Literatur angewendet wird (z.B. in Form des sog. Literary Darwinism bzw. der sog. Darwinian Literary Studies). Der vorliegende Aufsatz gibt einen Überblick über neueste empirische Forschung aus diesem Bereich und fokussiert dabei auf das soziale Tier Mensch, das Literatur produziert und konsumiert. Überdies zeigt der vorliegende Aufsatz Wege auf, wie ein moderner konsequent evolutionspsychologischer Zugang, einschließlich quantitativ-empirischer Methodik, auf Literatur aussehen könnte.

Telling Stories / Geschichten Erzählen Evolution and Literature / Literatur und Evolution

2012

The essays collected in this volume highlight the narrative as a phenomenon inherent in human nature. They examine the likely purpose of artistic and literary expression and its contribution to survival in an early human environment. They also consider the developing interest in shaping experience through the narrative, and investigate the consequent significance of traits acquired throughout the ages for the production and reception of texts. In doing so, the book provides a highly diverse overview of the latest research and debates in this innovative field of research. Die Untersuchung möglicher evolutionärer Ursprünge menschlichen Verhaltens und dabei auch der Kunst und Literatur hat sich in den letzten Jahren zu einem fruchtbaren, aber auch umstrittenen Arbeitsfeld entwickelt. Galt noch vor wenigen Jahren das Paradigma, dass ausschließlich Kultur die menschliche Lebenswirklichkeit bestimmt, so werden inzwischen alternative Modelle diskutiert, nach denen auch evolutionär erworbene Faktoren eine wesentliche Rolle spielen können. Daraus ergeben sich spannende Fragestellungen für die Untersuchung der Funktionalität des Erzählens in der frühmenschlichen Umwelt, der Entwicklung narrativer Strukturen sowie auch der Rolle bei der Produktion und Rezeption fiktionaler Texte. Die in diesem Band versammelten Aufsätze diskutieren diese Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven und geben damit einen umfassenden Überblick über den aktuellen Forschungsstand in diesem wesentlichen interdisziplinären Forschungsgebiet.

Das Leben ein Schwarm. Emergenz und Evolution in moderner Science Fiction

Eva Horn, Lucas Gisi (eds.): Schwärme. Kollektive ohne Zentrum zwischen Information und Leben, Bielefeld: Transcript 2009.

Qui est-ce qui règne ici? Qui est-ce qui donne les ordres, prévoit l'avenir, trace les plans, équilibre, administre, condamne à mort? Maurice Maeterlinck: La vie des termites (1928) 1 Der Schwarm erscheint Eine Frau sitzt wartend vor einem Schulhaus in einem kleinen Ort an der Küste Kaliforniens. Hinter ihr sieht man -in einer leicht entfernten Kameraeinstellung jenes Films, der wohl die wichtigste visuelle Etüde zum Schwärmen darstellt, Hitchcocks The Birds (1963) -das Klettergestell eines Spielplatzes. Eine Krähe landet auf den Stangen des Gestells. Dann eine Nahaufnahme: Man sieht Melanie Daniels' (Tippi Hedren) angespanntes Gesicht beim Rauchen, im Hintergrund ertönt der Gesang der Schulkinder wie ein akustisches Maß für die verfl ießende Zeit. Wieder ein Blick auf den Hintergrund: Vier Krähen sitzen da, eine fünfte landet. Schließlich folgt Melanies Blick dem Flug eines einzelnen Vogels -und als man sieht, wo er landet, bemerkt der Zuschauer im gleichen Moment wie die Figur, dass das ganze Klettergestell nun übersät ist mit Vögeln. -Was dann folgt, ist nur der gleichsam bewegte Ausbruch dieses Erschreckens über die schiere 1 | Maurice Maeterlinck: La vie des termites, Paris: Eugène Fasquelle 1928, S. 137. 102 | EVA HORN Menge und die Geschwindigkeit, mit der sie zusammengekommen ist: der Angriff der Vögel auf die Schulkinder, ein das Sichtfeld verdunkelndes, fl ackerndes Flattern, ein Schwärmen, das zugleich diff uses Bewegungsmuster und taktisches Manöver ist. Dieses Schwärmen inszeniert Hitchcock gerade nicht als Naturereignis mit ›natürlich‹ aussehenden und klingenden Vögeln, sondern als eine Bild-und Tonstörung. Ihr Schwirren und Zwitschern sind elektronische Töne zwischen Naturgeräusch und technischem Summen; ihr Flattern, Zusammenströmen und Schwirren ist ein Flackern des Bildes selbst, eine Bildstörung, die in einem Feld zwischen Betrachter und Betrachtetem stattfi ndet, gleichsam vor dem Gesehenen. Das Schwärmen ereignet sich damit nicht so sehr im Bild, sondern am Ort des Blicks selbst, als Verwirrung und Störung der Möglichkeit, überhaupt zu sehen. 2 Hitchcocks Vögel sind der Schwarm und das Schwärmen, mithin die Essenz von etwas, dessen »Seinslosigkeit« 3 es eigentlich der Bebilderung und dem Narrativ entzieht. In schlagender Prägnanz führt die Szene vor, was der Schwarm ist: ein reines Erscheinen, ein Moment des Umschlagens von einer bloßen Mehrzahl zu einem multiplen Ganzen, eine zugleich kompakte und diff use Vielheit, von der nicht klar ist, woher sie gekommen ist und was ihr Auslöser, ihr Grund und ihr Ziel sein könnte. Der Schrecken, jener Moment, an dem nicht mehr einige Vögel, sondern ein Schwarm auf dem Geländer sitzt, die plötzliche Emergenz eines komplexen und rätselhaften Ganzen, ist der wesentliche Modus, in dem Schwärme im kollektiven Imaginären in Erscheinung treten. Ihnen eignet ein Horror, der »epistemische Horror vor dem, was nicht Gestalt werden kann«. 4 Nicht zufällig sind darum Schwärme von Insekten oder Vögeln, aber auch diff use Aggregationen von Partikeln oder Einzellern in modernen Fiktionen zu einem Inbegriff des Feindlichen, der Bedrohung und der Katastrophe geworden. So wie das Schwirren der Vögel nicht nur einen Angriff auf die Menschen im Film darstellt, sondern eine Störung des Blicks und der Sichtbarkeit schlechthin, so sind die Schwärme in modernen Fiktionen eine Bedrohung und ein Anderes des Menschen, eine Ungestalt -und doch auch eine Grundlage seiner Existenz. Nicht zufällig nämlich wirft alles Erscheinen von Schwärmen die Frage nach dem Grund dieses Erschei-2 | Vgl. dazu Joseph Vogl: Lovebirds, in: Claudia Blümle/Anne von der Heiden (Hg.): Blickzähmung und Augentäuschung. Zu Jacques Lacans Bildtheorie, Berlin, Zürich: Diaphanes 2005, S. 51-64. 3 | Sebastian Vehlken: Schwärme. Zootechnologien, in: Anne von der Heiden/Joseph Vogl (Hg.): Politische Zoologie, Berlin, Zürich: Diaphanes 2007, S. 235-257, S. 238. 4 | Ebd., S. 241.

Literatur als emotionale Attrappe. Eine evolutionspsychologische Lösung des "paradox of fiction"

Uta Klein, Katja Mellmann & Steffanie Metzger (Hg.): Heuristiken der Literaturwissenschaft. Disziplinexterne Perspektiven auf Literatur, Paderborn: Mentis (Poetogenesis. Studien und Texte zur empirischen Anthropologie der Literatur 3), 2006

Ausgehend von der Beobachtung, dass die emotionale Reaktion auf fiktionale Stimuli einigen alltagspsychologischen Vorannahmen widerspricht, wird ein psychologisches Emotionsmodell entwickelt, das Theorieangebote der Verhaltensforschung und der biologischen Evolutionstheorie aufgreift und erklären kann, warum wir überhaupt Emotionen in Bezug auf Literatur erleben. Emotionale Wirkungen von Literatur werden dabei heuristisch gleichgesetzt mit der Wirkung von Attrappen. Anschließend wird die Primärunterscheidung realer und fiktionaler Stimuli an Hand typisierter Beispiele aufgelöst zugunsten einer emotionsspezifischen Betrachtungsweise, die nach der jeweiligen emotionalen Qualität bestimmter Textstimuli fragt und aus ihr eine entwicklungsgeschichtlich plausible, adaptive Verlaufswahrscheinlichkeit des jeweiligen Emotionsprogramms ableitet. On observing that our emotional response to fictional stimuli is not in accordance with certain psychological 'folk beliefs', I sketch out a psychological theory of emotions which rests on several propositions from ethology and evolutionary theory and helps explain how at all we can experience emotions in response to literary texts. The emotional effects literature has on readers can thus be heuristically described as a kind of 'dummy effects'. With the help of typified examples I dismiss the distinction of real and fictional stimuli as a primary one and replace it by an emotion-specific analysis that investigates the particular emotional quality of a given textual stimulus and thus allows for deducing an evolutionarily plausible, adaptive pattern of progression for the emotion program in question.

Dürre in Theodor Storms "Regentrude". Ressourcenkonflikte aus gattungspoetologischer Perspektive

Jahrbuch für Internationale Germanistik – Beihefte: Wege der Germanistik in transkultureller Perspektive. Akten des XIV. Kongresses der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG), 2022

Als einer der wenigen Texte der deutschsprachigen Literatur handelt Theodor Storms "Die Regentrude" von einer Dürre und den damit verbundenen Ressourcenkonflikten. Aus gattungspoetologischer Perspektive wird analysiert, welche märchenhafte und zugleich dramatisch-novellistisch zugespitzte Lösung der Text für diese Konfliktlage anbietet. Das marginalisierte Wissen über das Wirken mythischer Naturwesen wird kurz vor dem Vergessen wieder ins Gedächtnis gerufen und in den Erinnerungsdiskurs reintegriert. Die märchentypische Bestrafung von Habgier und Kaltherzigkeit unterbleibt zugunsten der Vorstellung eines Gemeinschafts- und Gleichgewichtsgedankens, der zwar von der gerahmten Erzählkonstruktion her in die Vergangenheit verlegt ist, der aber dennoch die Frage nach der Relevanz für die Zukunft aufwirft.

Literaturauszug aus: Werner Leinfellner: Das Konzept der Kausalität und der Spiele in der Evolutionstheorie

1983

Zuerst soll die klassische Kausalität, hier Kausalität2 genannt, die den Stein des Anstosses für alle Evolutionisten darstellt, in einem Minimodell definiert werden. Dieses wiederum erlaubt in einfacher Weise einen Vergleich mit dem Modell der statistischen Verursachung (Kausalität1). Unter Benutzung von systemtheoretischen Bedingungen wird gezeigt, daß sich dieses Modell besonders gut zur Erklärung von evolutionären Verursachungsketten und von gegen-seitiger Verursachung eignet. Der entscheidende Unterschied zwischen Kausalität1 und Kausalität2 zeigt sich klar, wenn man die klassische Kausalität (Kausalität2) wie sie der Newtonschen Theorie zugrunde liegt, einfach ohne Zufallserscheinungen zu berücksichtigen, auf biologische oder soziale Theorien überträgt. Immer dann, wenn wir den Zufall (Zufallsereignisse) in ein streng deterministisches System einführen, wird es, gemäß den alten Vorstellungen von Epikur und Karneades, indeterminis-tisch. 'Indeterministisch' heißt einfach, daß wir das zukünftige Verhalten eines bestimmten Individuums nicht mit einer definitiven Ja-oder Nein-Aussage ausdrücken können, sondern nur mit einer Wahrscheinlichkeit p(e l). In typisch biologischen Systemen ist dieser Unbestimmtheitsspielraum der Einzelindividuen durch gegenseitige Beeinflussung, durch Zufall oder durch den Einfluß von übergeordneten Systemen ihrer Umgebung verursacht. Die Kausalität1 erklärt so, wenn sie zu zeitinvarianten, d.h. über Raum und Zeit ihren Zustand oder ihre Form erhaltenden Systemen führt, wie Naturgesetze als 'Invarianzen' verstanden werden können, wie noch eingehend in den nächsten Abschnitten gezeigt wird. Die Annahme einer Kausalität1 führt, wenn sie global gilt, zu einem einzigen kausal1 zusammenhängenden holistischen System (Bio-und Ökosysteme eingeschlossen), dessen Sub-systeme, Systeme und Supersysteme ein einziges offenes, nicht notwendigerweise linear hierarchisches, mit dazwischenliegenden Kausalschlingen, kybernetischen Zyklen etc. zusammengesetztes, kausales Wirkungssystem bilden. Diese Annahme wurde systemtheoretisch zum Aufbau einer Ontologie verwendet (Leinfellner-Leinfellner 1978). Die Annahme, daß das Universum ein kausal1-zusammenhängendes Wirkungssystem ist, kann als Konsequenz des berühmten Bell-Theorems angesehen werden, das hier in einer einfachen, analogen Formulierung benützt wird.

Literaturauszug aus: Markl, Hubert: Evolution und Freiheit - Das schopferische Leben

1986

Literaturauszug aus: Markl, Hubert: Evolution und Freiheit - Das schöpferische Leben in: Maier-Leibnitz, H.(Hg): Zeugen des Wissens, Mainz 1986, S.433f Disclaimer: The literaure extract was gathered purely and subjective according the interests of the author (Manfred Bundschuh). Usually there were complete sentences from the original transferred. There's no guarantee for correctness. In dieser letzten Vorlesung wollen wir zuerst versuchen, in einer knappen und für alle verständlichen Weise das Bild zusammenzufassen, das sich uns von den Naturdingen - von der Mathematik bis zum Menschen - ergeben hat. Es mag Sie gewundert haben, daß ich die Mathematik unter den Naturdingen genannt habe. Mathematik hat ihr Wesen in einer geistigen Welt. Ein Punkt, ein Kreis, eine irrationale Zahl exi¬ stieren nicht materiell. Die Frage ist: Existieren sie nur in unserem Geiste, sind sie etwa menschliche Erfindungen - oder haben sie auch eine objektive, reale Existenz in einer Welt der Transzendenz, d.h. einer vom Menschen im wesentlichen unabhängigen geistigen Welt? Plato schon hat die mathematischen Begriffe als "Ideen", d.h. geistige Urbilder in einer transzendenten Welt aufgefaßt, die materiell nur sehr unvollkommen (ein gezeichneter Kreis ist eine Serie von Graphitklumpen) realisiert werden können. Die menschliche Begriffsbildung dieser reinen Begriffe beruht auf einem Wahrnehmen der Urbilder, einem Einblick in die transzendente Welt (sonst "Einfall" oder "Intuition" genannt).