I. Polnische Juden in Deutschland – eine Randgruppe innerhalb einer Minderheit (original) (raw)
Die junge Generation der Juden im heutigen Deutschland bildet eine in kultureller sowie sprachlicher Hinsicht ausgesprochen heterogene Gruppe. Die überwiegende Zahl der Vertreter dieser Generation gehört zu den Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion, die zwischen den Jahren 1991 und 2005 im Rahmen des Kontingentflüchtlingsgesetzes nach Deutschland gekommen sind. Zusammen mit den Enkelkindern der überlebenden deutschen und osteuropäischen Juden, die sich unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland niederließen, bildeten sie noch vor Kurzem den Kern der jungen jüdischen Gemeinschaft des gegenwärtigen Deutschlands. Vor einigen Jahren begann zudem der Zuzug von hauptsächlich jungen Israelis in die Bundesrepublik. Sie kamen in erster Linie nach Berlin, in eine Stadt, die sie mit ihrem internationalen Flair, der friedlichen Koexistenz zwischen Juden und Muslimen und den guten Bedingungen für Start-Up-Unternehmen anzog. Außerdem sind in den letzten Jahren Deutschlands Großstädte wie Berlin, München, Frankfurt und Hamburg zu Magneten für junges jüdisches internationales Publikum geworden, das aus New York, Los Angeles, London oder Buenos Aires zum Studium oder als Volontäre für jüdische Organisationen nach Deutschland zogen. Während die ersten beiden Gruppen permanent in Deutschland zuhause sind, halten sich israelische und andere internationale Studierende oft nur einige Jahre.
Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust
Anfang 1936 erhielt das Büro Alfred Rosenbergs, des Ideologen der NSDAP, ein von einer "treuen" Deutschen verfaßtes Schreiben über ihre Erlebnisse auf einer Reise nach Lodz, der Geburtsstadt der Verfasserin. Darin hieß es unter anderem: "... Kaum hatten wir die Grenze Drachenberg-Rawicz hinter uns, erlebten wir auch schon etwas und zwar mit einem Juden, welcher aus Deutschland kam, nach Warschau fahren wollte und in Posen in (unseren) Zug stieg. Er tat ganz erschöpft, und erzählte mit leiser und matter Stimme, wie man ihn in Deutschland geschlagen und getreten hätte, er sei am ganzen Körper grün und blau. Wir waren sprachlos, da sprang aber mein junger Schweizer Begleiter auf, verbat sich ganz energisch diese Märchen und sagte, es sei doch merkwürdig, daß man immer diese Greuelnachrichten erst jenseits der Grenze höre und in Deutschland davon nichts sehe, denn wir kämen auch aus Deutschland. Darauf schwieg der Jude, saß eine Zeitlang still in seiner Ecke und entfernte sich dann. Wir ärgerten uns, daß wir so voreilig die Erzählung des Juden unterbrachen, ohne nach seinen Personalien zu fragen, denn er hatte, wie er angab, Verwandte in Berlin. Als der Jude nach einiger Zeit zurückkam, wollten wir das Versäumnis nachholen, um in Deutschland davon Meldung zu machen. Mein junger Begleiter bat den Juden ganz freundlich, uns doch noch etwas von seinen Erlebnissen zu erzählen, da kam er aber schön an! ,Er wollte überhaupt nicht mehr von Politik reden!', schrie er, wir seien Deutsche und blieben Deutsche und er, der Jude sei ein Pole und bleibe ein Pole. Er schrie es zweimal, so laut, daß ich dachte, jetzt gibt es einen Mordskrach und uns ergeht es schlecht. Es war unser Glück, daß wir einem Polen, der während des Juden Abwesenheit noch in (unseren) Wagen kam, von der Sache erzählten und ihm auch sagten, daß alles Lug und Trug ist, was der Jude vorbrachte. Wir sagten dem Polen, wie vorbildlich und schön es jetzt in Deutschland sei, wie wir stolz sein könnten auf unser Deutschland und auf den Mann, der jetzt Deutschlands Geschicke in den Händen hat. Auch erzählten wir von der großen Liebe unseres Volkes zum Kanzler. Dieser Pole legte sich gleich ins Mittel und hat den Juden mit seinem Koffer einfach aus unserem Abteil herausgejagt und ihm mit einer Anzeige gedroht. Dann vertraute uns der Pole an, daß er im Herzen auch ein Hitlerfreund sei, obgleich er Pole sei, aber was Recht ist müsse Recht bleiben. Auch bemerkte er, daß nur ganz wenige seine wahre Gesinnung kennen, denn man müsse damit in Polen sehr vorsichtig sein ..."'
Jahrbuch der Religionspädagogik, 2020
Das jüdische Leben in Deutschland ist 75 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus so vielfältig, wie es nach Zweitem Weltkrieg und Schoa kaum vorstellbar gewesen war. Die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung jüdischen Lebens trifft hier heute auf eine dynamische jüdische Gemeinschaft. Deren Vielfalt kommt vor allem in ihrem religiösen Pluralismus zum Ausdruck. 75 years after liberation from National Socialism, Jewish life in Germany is as diverse as could hardly have been imagined after World War II and the Shoah. The memory of the expulsion and annihilation of Jewish life meets a dynamic Jewish community here today. Their diversity is expressed above all in their religious pluralism.