Die Formalisierung der Informalität: Praxistheoretische Überlegungen (original) (raw)
Durch die Erfindung eines formalen Kerns des Regierens ist die politische Welt in ihrer Gesamtheit unverständlich geworden. Zu Recht werden Regierungspraktiker nicht müde darauf hinzuweisen, dass Politikwissenschaft, wenn sie sich nur für die formalen Entscheidungsverfahren interessieren, wenig zum Verständnis des politischen Geschehens beizutragen hat. Was der reduzierte Institutionenbegriff den Politikwissenschaften (und der Politik) gestohlen hat – die zahlreichen Orte, an denen Politik stattfindet, die nicht-öffentlichen Verfahren, die Beteiligung anderer Akteure als dem des professionellen Politikers, die politischen Institutionen, die nur wenig verregelt sind, oder das politische Handeln, das weder rational noch regelgeleitet erscheint, die Vielfalt des politischen Handelns – bringt die Informalitätsforschung wieder zurück. Regierungsforschung rückt näher an den politischen Alltag, interessiert sich für die Feinheiten, die Mikrophysik politischen Entscheidens und studiert die Diversität des politi-schen Biotops. Mag diese Entwicklung zwar nicht den Beifall der Sparsamkeitstheoretiker finden, so muss sich die Informalitätsforschung dennoch der Kritik stellen, ob sie sich auf angemessener theoretischer Grundlage be-wegt. Hier zeigt sich, wie wir in diesem Beitrag deutlich machen, die Schwäche des derzeitigen Programms. Formelles Handeln und informelles, die formale Institution und die Informelle, lassen sich nicht gerecht-fertigt voneinander abspalten.