Klatsch, Gerüchte und fama als moralisches Kapital im spätrepublikanischen und frühkaiserzeitlichen Rom, in: E. Hartmann, S. Page und A. Thurn (Hrsg.), Moral als Kapital im antiken Athen und Rom, Stuttgart 2018, 95–116 (original) (raw)
War Plinius eine ‚Klatschbase'? Die Frage ist nicht so absurd, wie sie scheinen mag. Denn in einem gewohnt elaborierten Kunstbrief führt Plinius aus, welche Freuden ihm das Landleben bereitet, und kontrastiert dabei in geradezu idealtypischer Weise die antike Konzeption des ländlichen otium mit dem negotium, das einen in der Stadt erwartet. Eine der lästigen Aufgaben, von denen man auf dem Land befreit ist, charakterisiert Plinius wie folgt: "Nichts höre ich, was zu hören, nichts sage ich, was zu sagen ich bereuen würde; niemand verleumdet irgendwen bei mir mit bösen Reden und ich selbst tadle niemanden, außer mich selbst, wenn ich weniger schreibe, als ich sollte; keine Hoffnung, keine Angst bewegt mich, von keinen Gerüchten werde ich beunruhigt: so sehr unterhalte ich mich mit mir selbst und meinen Büchern." 1 Es lohnt sich, diese Aussage genauer zu betrachten. Das Sammeln, Weitergeben und Beobachten von Gerüchten stellt für Plinius offenbar einen integralen Bestandteil dessen dar, was ein Aristokrat in der Stadt zu tun hat. Das ist nicht selbstverständlich: Wie PASCAL FROISSART in einer Geschichte zur Erforschung und Diskursivierung von Gerüchten im 20. Jh. gezeigt hat, werden in der Moderne Gerüchte vor allem als Phänomen erstens von Unterschichten und zweitens von Frauen angesehen. 2 Nicht dass das der Realität entspräche, die sieht-das macht FROISSART sehr deutlich 3-ganz anders aus, zentral ist die Selbstbeschreibung, die damit, ob treffend oder nicht, gemacht wird. Da ist es doch interessant, dass im antiken Rom der Umgang mit Gerüchten als zentraler Bestandteil des aristokratischen negotium angesehen wird. Oder anders formuliert: Ja, Plinius war eine