Thomas Dorfner / Giuseppe Cusa, Einleitung, in: Genealogisches Wissen in Mittelalter und Früher Neuzeit. Konstruktion – Darstellung – Rezeption, hrsg. v. dens., Berlin / Boston 2023 (Cultures and Practices of Knowledge in History 16), S. 1-23. (original) (raw)

Rezension zu: Kenzler, H., Scholkmann, B. & Schreg, R. (Hrsg.) (2016). Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. Grundwissen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Archäologische Informationen 40, 443-446, 2017

Review of Kenzler, H., Scholkmann, B. & Schreg, R. (Hrsg.) (2016). Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. Grundwissen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Friedrich, Markus (2023): Sammlungen, Genealogie und Lokalhistorie. Archiv- und Geschichtskultur im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts – das Beispiel Armin Tilles (1870–1941). In AA VV (Eds.): Archivare zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik, 177–213.

Am 8. November 1905 erhielt das Archiv der Stadt Mühlhausen in Thüringen eine neue Archivordnung. Diese enthielt in Paragraf 6 eine Regelung, die etliche Beobachter damals stark beunruhigte. Armin Tille, zu dieser Zeit als Herausgeber historischer Schriften in Leipzig tätig und Gegenstand des vorliegenden Aufsatzes, fand diese Bestimmungen "durchaus unberechtigt". 1 Für diese Regelung stark gemacht hatte sich dagegen vor allem Hermann Grotefend, seines Zeichens Geheimer Archivrat am Geheimen und Landeshauptarchiv Schwerin. Der umstrittene Abschnitt betraf die "Archivbenutzung zu genealogischen Zwecken". In fünf Unterpunkten wurde die Zulassung von genealogischer Archivbenutzung strikt davon abhängig gemacht, dass anfragende Interessenten vorab die gesamte Literatur gelesen hatten, eine exakte Zweckbestimmung ihrer Forschung formulierten, eine Vorabübersicht über schon vorhandenes Wissen einreichten und "nicht aufs Geratewohl" nach fantastischen Familienursprüngen suchten. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass dieser Passus, der in der nur kurzen Ordnung unverhältnismäßig viel Platz einnahm, insgesamt als Maßnahme zur Beschränkung oder, wie Tille das wohl empfand, Gängelung der Familienforschung gedacht war. Tatsächlich hatte Grotefend derartige Regelungen auf dem fünften deutschen Archivtag in Bamberg von 1905 als notwendige "Abschreckungsmittel für nicht ernsthafte Forscher" verteidigt. 2 Gegen diese pauschale Verdächtigung einer ganzen Gruppe nicht-akademischer Archivbenutzer opponierte

J. Lüning, Zwischen Alttagswissen und Wissenschaft im Neolithikum. In: T.L. Kienlin (Hrsg.), Die Dinge als Zeichen: Kulturelles Wissen und materielle Kultur. Internat. Fachtagung an der Goethe-Universität FrankfurtM. 2003. Universitätsforsch. Prähist. Arch. 127 (Bonn 2005) 53-80.

Außer dem "schweigenden Alltagswissen" gab es Experten- und Geheimwissen, das reflektiert und in Fachbegriffen weitergegeben wurde. Lernprozesse in oralen Gesellschaften dienen zur Rekonstruktion der neolithischen Wissensstrukturen. Beispiele sind: "Ötzi", Göbekli Tepe, Nevali Cori, der europäische Grabgigantismus ab dem 5. Jahrtausend und die ersten Pyramiden (Wissenschaft und soziale Hierarchien), Sakkara und Imhotep, bandkeramische Hausgrundrisse, kreisförmige Erdwerke und das ellipsenförmige Erdwerk von Meisternthal, die Orientierung endneolithischer Bestattungen ("Indischer Kreis"): Mathematik, Geolmetrie, Statik und Astronomie als wissenschaftlich erworbene, neolithische Errungenschaften.

Solveig Möllenberg: Tradition und Transfer in spätgermanischer Zeit. Süddeutsches, englisches und skandinavisches Fundgut des 6. Jahrhunderts, Berlin, Boston 2011 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskund; Bd. 76), in: Futhark 3 (2012 [2013]), S. 215–218.

ange nommene Dissertation trägt einen wohlklingenden und vielver sprechenden Titel. Gleichwohl sorgt er terminologisch für Irritation: Die Begriffe "Tradition" und "Transfer" werden nämlich in der "Einleitung" S. 1 kurz erläutert, anschließend spielt aber zumindest der Begriff "Transfer" in der ganzen Arbeit keine Rolle mehr. Der Terminus "spät germanisch" - er mag vielleicht unter Archäologen gebräuchlich sein und eindeutig das 6. Jahrhundert benennen - erscheint im Text sogar überhaupt nie. Nun mag man einwenden, dass der Titel vielleicht nur der findigen Feder eines Verlags verantwortlichen entstammt, oder dass es auf Titel ja nicht so sehr ankommt. Dem sei stattgegeben, denn der Autorin geht es tatsächlich sehr zentral um die im Untertitel formulierte Frage, in welchem Verhältnis vergleichbares süddeutsches, skandinavisches und englisches Fundgut des 6. Jahrhunderts zu einander steht, und wie dieses "Vergleichbare" zu seinem sonder baren Status kommt. Aber jenes Manko des Unverbindlichen, das sich schon im Titel abzeichnet, bleibt unterschwellig kennzeichnend für die ganze Arbeit: Dem intelligenten und anspruchsvollen Fragenkomplex rund um die Interpretation vergleichbarer archäologischer Kulturausprägungen folgen kaum prägnant formulierte Antworten. Vielleicht liegt dies daran, dass die Dissertation im wesentlichen als Literaturarbeit konzipiert ist, und als solche gelangt sie nur punktuell zu wirklich operationalisierbaren Ergebnissen, etwa in den prägnanten "Schluss betrachtungen" oder "Zusammenfassungen" am Ende der jeweiligen (Unter-)Kapitel. Da runologische Fragen (insbesondere übergreifend-theoretischer Natur) einen zentralen Aspekt der Untersuchung ausmachen und die Runen funde auch im Katalog-und Tafelteil prominent hervortreten, sind die Lücken in der runologischen Literaturauswahl jedoch etwas störend. Beispielsweise kommt heute keine Beschäftigung mit den südgermanischen Runeninschriften mehr um die (von Möllen berg nicht zurate gezogene) Habilitationsschrift von Robert Nedoma (2004) herum. Dass der allgemeine Eindruck der Studie ein zunächst etwas befremdlicher ist, mag auch daran liegen, dass sie sprachlich nicht so recht überzeugt: Viele grenzwertige Erscheinungen im Satzbau sowie ungezählte Interpunktionsfehler stimmen den Leser nicht gerade wohlwollend.