Demokratisierung der Muße?: Das bedingungslose Grundeinkommen aus bildungstheoretischer Sicht (original) (raw)

2020

Abstract

Uber viel „Muse“ zu verfugen war und ist gesellschaftlich ein Privileg, das hochst ungleich verteilt ist. Manchen erscheint sie vor diesem Hintergrund als ein „Luxus“, auf den man notfalls verzichten kann und der eher hedonistischen Charakter hat. Einige glauben sogar, dass „Musiggang aller Laster Anfang“ ist. Aus einer bildungstheoretischen Perspektive stellt es sich jedoch fur Einige genau umgekehrt dar. Ihnen erscheint Muse als Anfang jedes genuinen Bildungs- und Autonomisierungsprozesses, eine wissenschaftliche Auffassung, die schon der beruhmteste deutsche Bildungstheoretiker Wilhelm von Humboldt vertreten hat. „Muse“ ist kultursoziologisch gesehen zunachst einmal diejenige Sphare menschlicher Praxis, in der frei produziert (oder auch rezipiert) wird, d. h. um seiner selbst willen bzw. allein um der Sache willen, mit der man beschaftigt ist. Insoweit ist sie geradezu der Inbegriff von Autonomie und unterscheidet sich grundsatzlich von jener gesellschaftlichen Sphare der Entfremdung und Fremdbestimmung, der Erwerbsarbeit, Freizeit und Arbeitslosigkeit im klassischen Sinn gleichermasen angehoren. Ein zum wurdigen Leben ausreichendes, bedingungslos gewahrtes Grundeinkommen wurde allen Burgern „Muse“ auf eine Weise verfugbar machen, die bisher nur privilegierten, sehr vermogenden Kreisen vorbehalten war, wie etwa historisch den beruhmten „britischen Gentlemen“, deren Lebensmaxime darin bestand, zu leben, um (frei und selbstbestimmt, in Muse) zu arbeiten (bzw. sinnvoll tatig zu sein) im Unterschied zur Maxime, zu arbeiten, um zu leben (den Lebensunterhalt zu verdienen). Man kann die Einfuhrung eines zum wurdigen Leben ausreichenden bedingungslosen Grundeinkommens daher auch als „Demokratisierung der Muse“ bezeichnen. Dieser Gesichtspunkt des bedingungslosen Grundeinkommens bildet in der gesellschaftlichen Debatte ganz ohne Zweifel das Hauptskandalon auf der Seite seiner Kritiker. Denn auch die ebenso notorisch diskutierte Finanzierungsfrage hangt am Ende vor allem davon ab, ob man den Burgern insgesamt einen vernunftigen Umgang mit derart grosen Muse- bzw. Autonomiespielraumen zumuten und zutrauen konnte. Allein der Gedanke einer „Demokratisierung der Muse“ erscheint vielen Kritikern unmittelbar als abwegig, als realitatsfremde, abgehobene sozialromantische Spinnerei. Jedoch wird man die offensichtlich gegebene starke Attraktivitat der Grundeinkommensidee erst angemessen verstehen konnen, wenn man nicht bei einer solchen reflexhaften Abwehr der Idee stehen bleibt, sondern sich insbesondere mit der Frage auseinandersetzt, welche Bedeutung die Verfugbarkeit von Muse in der individuellen Lebensfuhrung nicht zuletzt in Zeiten eines beschleunigten gesellschaftlichen Strukturwandels hat. Deswegen diskutiert der Vortrag den Gesichtspunkt einer Demokratisierung der Muse insbesondere aus bildungstheoretischer (ebenso -empirischer) Perspektive.

Manuel Franzmann hasn't uploaded this paper.

Let Manuel know you want this paper to be uploaded.

Ask for this paper to be uploaded.