Die Uhr schlägt 12. Nachhaltigkeit in einer biographischen Perspektive (original) (raw)

Nachhaltigkeit ist die Jutetasche des 21. Jahrhunderts

Klimawandel in der Wirtschaft, 2020

Können Sie sich noch daran erinnern, wann Sie das erste Mal mit dem Begriff Nachhaltigkeit in Berührung kamen? Stefan Bonner: Das muss irgendwann Ende der Achtzigerjahre, Anfang der Neunzigerjahre gewesen sein. Ich war damals in der sechsten Klasse und wir bekamen Besuch von Mitgliedern der Organisation Robin Wood, die uns etwas über Nachhaltigkeit erzählten. Die Verwendung des Begriffs im Sinne des Prinzips, dass nicht mehr verbraucht werden sollte, als nachwachsen oder zukünftig bereitgestellt werden kann, war noch neu. Und ganz ehrlich: Außer dem Klassenprimus verstand kaum einer von uns, was das nun genau bedeutete-am wenigsten unser Lehrer, für den Nachhaltigkeit vor allem eine Frage der richtigen Forstwirtschaft war. Anne Weiss: Lustigerweise hat das bei mir auch was mit Bäumen zu tun. Unser Lehrer hat uns Ende der Achtzigerjahre auf einen Waldeinsatz geschleppt, wo wir eine Woche lang im sehr feuchten Forst rumlaufen, Äste sammeln und langweilige Vorträge über den gemeinen Borkenkäfer hören durften. Da kam auch das Stichwort nachhaltige Forstwirtschaft vor. Noch besser erinnere ich mich an den Moment aus meinem Erwachsenenleben, als ich mit dem Thema Nachhaltigkeit nur Kopfschütteln auslöste: Als frisch gebackene Abteilungsleiterin war ich damals zum ersten Mal auf einer Führungskräftekonferenz mei

Nachhaltigkeit in der Geschichte

2019

Nichts im Übermaß? Religion und Nachhaltigkeit im antiken Griechenland 15 Die unklaren Einzelheiten zur Herkunft der Sprüche können hier nicht im Detail erörtert werden. 8 Von Bedeutung ist aber das Zeugnis der antiken Quellen, welches ihnen weite Verbreitung in klassischer Zeit bescheinigt. Der athenische Philosoph Platon bemerkt jedenfalls in seiner Schrift Protagoras, 9 die Sieben Weisen hätten die Sprüche als "Erstlingsfrüchte der Weisheit" schlechthin "dem Apollon in Delphi geweiht und aufgeschrieben." 10 Diese Sprüche führt offenbar zu Platons Zeit "jedermann im Munde". Was also stand am Apollontempel von Delphi, so berühmt, dass es schon im späten 5. Jh. v. Chr. oder im frühen 4. Jh. für jedermann sprichwörtlich geworden war, und so lange sichtbar blieb, dass man es noch in der römischen Kaiserzeit lesen konnte? Neben der warnenden Feststellung "Bürgschaft, schon ist Schaden da" und dem vieldiskutierten "Erkenne Dich selbst!", lautete der dritte Spruch "Nichts im Übermaß!" 11 Wer diesen Spruch am delphischen Tempel las, musste ihn nicht als verbindliches religiöses Gebot anerkennen. Delphi galt allerdings in der griechischen Welt als ein besonders wichtiger religiöser Ort größtmöglicher Öffentlichkeit. 12 Weisheitssprüche, die an diesem Ort sichtbar waren, hatten eine prominente Bühne, die nicht nur auf ein griechisches Publikum beschränkt war. Schrieb man die Äußerungen dann noch berühmten Sprechern aus grauer Vorzeit zu, die sich als Gesetzgeber, Schiedsrichter und Krisenmanager in griechischen Poleis bewährt haben sollten, oder aber dem Gott selbst, dann verlieh das diesen Sprüchen eine ungewöhnliche und überregionale Autorität. Apollon und die Weisen legten den griechischen Polisbewohnern also maßvolles, angemessenes Handeln ans Herz: Nicht so viel wie möglich-sondern so viel wie richtig, war die Devise. Schlug sich dies auch im Umgang mit den natürlichen Ressourcen nieder? Zunächst soll kurz untersucht werden, um welche Ressourcen es sich in griechischen Polisstaaten der Antike überhaupt handeln konnte und ob man den Griechen im Hinblick auf diese Ressourcen Problembewusstsein als Grundlage nachhaltigen Handelns unterstellen kann. In einem zweiten Schritt wird die Rolle

Das gute Leben. Nachhaltigkeit und Ästhetik

Leitbilder für eine erneuerbare Energieversorgung, 2016

The discussions about the „turnaround in energy policy“ and „sustainability“ mainly revolve around technical and economic considerations, as well as the question of feasibility and acceptance of a political implementation of consensual or at least majority-capable insights, in this regard. However, according to this thesis, it seems that day-to-day anchoring of sustainable lifestyles requires above all a „sustainability culture“, to serve as the link between climate change prevention and an aesthetically-oriented optionalisation of lifestyles. Therefore, the decision on a sustainable lifestyle would mean, in the context of culture, making and communicating on an aesthetic choice that individually answers the question: what will the "good life“ look like in the face of climate change?

Und was bleibt? Analyse von Nachhaltigkeitsfaktoren

2019

Der vorliegende Artikel beleuchtet das Thema Nachhaltigkeit im Bereich der mediengestützten Weiterbildung. Ausgehend von der Frage, wie sich die durch den Europäischen Sozialfonds geförderten Bildungsangebote langfristig fortführen lassen, werden anhand einer qualitativen Studie Nachhaltigkeits-faktoren identifiziert und charakterisiert. Befragt wurden Projektkoordinatoren und Projektkoordinatorinnen (n=6) ESF-geförderter Weiterbildungsprojekte sächsischer Hochschulen. Die Befunde verweisen auf einzelne Maßnahmen zur Nachhaltigkeitssicherung innerhalb der Handlungsfelder Didaktik, Organisation, Technologie und Ökonomie. (DIPF/Orig.)

Nachhaltigkeit in der Geschichte - Argumente – Ressourcen – Zwänge

Universitätsverlag Göttingen eBooks, 2019

Nichts im Übermaß? Religion und Nachhaltigkeit im antiken Griechenland 15 Die unklaren Einzelheiten zur Herkunft der Sprüche können hier nicht im Detail erörtert werden. 8 Von Bedeutung ist aber das Zeugnis der antiken Quellen, welches ihnen weite Verbreitung in klassischer Zeit bescheinigt. Der athenische Philosoph Platon bemerkt jedenfalls in seiner Schrift Protagoras, 9 die Sieben Weisen hätten die Sprüche als "Erstlingsfrüchte der Weisheit" schlechthin "dem Apollon in Delphi geweiht und aufgeschrieben." 10 Diese Sprüche führt offenbar zu Platons Zeit "jedermann im Munde". Was also stand am Apollontempel von Delphi, so berühmt, dass es schon im späten 5. Jh. v. Chr. oder im frühen 4. Jh. für jedermann sprichwörtlich geworden war, und so lange sichtbar blieb, dass man es noch in der römischen Kaiserzeit lesen konnte? Neben der warnenden Feststellung "Bürgschaft, schon ist Schaden da" und dem vieldiskutierten "Erkenne Dich selbst!", lautete der dritte Spruch "Nichts im Übermaß!" 11 Wer diesen Spruch am delphischen Tempel las, musste ihn nicht als verbindliches religiöses Gebot anerkennen. Delphi galt allerdings in der griechischen Welt als ein besonders wichtiger religiöser Ort größtmöglicher Öffentlichkeit. 12 Weisheitssprüche, die an diesem Ort sichtbar waren, hatten eine prominente Bühne, die nicht nur auf ein griechisches Publikum beschränkt war. Schrieb man die Äußerungen dann noch berühmten Sprechern aus grauer Vorzeit zu, die sich als Gesetzgeber, Schiedsrichter und Krisenmanager in griechischen Poleis bewährt haben sollten, oder aber dem Gott selbst, dann verlieh das diesen Sprüchen eine ungewöhnliche und überregionale Autorität. Apollon und die Weisen legten den griechischen Polisbewohnern also maßvolles, angemessenes Handeln ans Herz: Nicht so viel wie möglich-sondern so viel wie richtig, war die Devise. Schlug sich dies auch im Umgang mit den natürlichen Ressourcen nieder? Zunächst soll kurz untersucht werden, um welche Ressourcen es sich in griechischen Polisstaaten der Antike überhaupt handeln konnte und ob man den Griechen im Hinblick auf diese Ressourcen Problembewusstsein als Grundlage nachhaltigen Handelns unterstellen kann. In einem zweiten Schritt wird die Rolle

Welche Nachhaltigkeit? Warum die ‚Soziologie der Nachhaltigkeit‘ weder in menschlichen Überlebensfragen begründet werden kann, noch neu erfunden werden muss

2019

Soziologie und Nachhaltigkeit-Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung SuN Zusammenfassung: Der Beitrag liefert eine kritische Bewertung der bisherigen programmatischen Beiträge der neuen ‚Soziologie der Nachhaltigkeit'. Auch wenn der Versuch, der Soziologie in der Nachhaltigkeitsdebatte ein größeres Gewicht zu verleihen, grundsätzlich zu begrüßen ist, so weist er doch eine Reihe von Defiziten auf. Ein erstes zentrales Defizit ist, dass weder der spezifische Gegenstandsbereich noch der normative Bezugspunkt der ‚Soziologie der Nachhaltigkeit' geklärt werden. Der von den Autoren gewählte Bezugspunkt der ‚langfristigen Sicherung der menschlichen Existenz' hat mit dem internationalen Leitbild der ‚nachhaltigen Entwicklung' und den bisher davon angestoßenen gesellschaftlichen Transformationen wenig zu tun. Ein zweites zentrales Defizit ist, dass die Mitte der neunziger Jahre auch in Deutschland aufblühende soziologische Nachhaltigkeitsforschung wenn überhaupt, dann nur hochgradig selektiv wahrgenommen wird. Die Soziologie der Nachhaltigkeit muss aber nicht neu erfunden werden. Sie ist heute nur in andere gesellschaftliche Kontexte eingebettet. Zu klären wäre somit, worin das Neue der aktuellen, zweiten Welle der soziologischen Nachhaltigkeitsforschung besteht.

Gesellschaftstheoretische Reflexion der Nachhaltigkeit

2017

In den Debatten um Nachhaltigkeit wird die Gestaltung einer Gesellschaft thematisiert, in der menschliche Existenz dauerhaft gesichert ist. Obwohl damit Konzepte von Gesellschaft aufgerufen werden, haben sich soziologische Auseinandersetzungen bislang vor allem Teilphanomenen oder einzelne Problem- und Fragestellungen zugewandt. Gewohnlich werden dabei bestimmte Verstandnisse von Nachhaltigkeit vorausgesetzt oder postuliert, ohne dass die gesellschaftstheoretische Bedeutung solcher Annahmen reflektiert wurde. Vorgeschlagen wird deshalb, gesellschaftliche Entwicklungen, die im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit stehen, aus einer explizit gesellschaftstheoretischen Perspektive zu beleuchten. Dabei gehen wir von den Annahmen der Theorie funktionaler Differenzierung aus. In einem ersten Teil wird beleuchtet, wie Nachhaltigkeit aus Sicht der Theorie funktionaler Differenzierung als ein Phanomen beschrieben werden kann, dass eine stabilisierende Funktion fur gesellschaftliche Ausdifferenzier...

Blühdorn, Ingolfur, Felix Butzlaff, Michael Deflorian, Daniel Hausknost, und Mirijam Mock (2019): Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit. Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet

Politische Vierteljahresschrift, 2020

Ingolfur Blühdorn hat sich in der Vergangenheit einen Namen als ebenso notorischer wie scharfsinniger Kritiker von Demokratisierungsideen und ökologischen Modernisierungsprogrammen gemacht. Sein neues Buch, zu dem auch vier seiner Mitarbei-terInnen aus Wien mit eigenen Kapiteln beigetragen haben, bietet eine in Teilen wiederholende Zusammenfassung vorheriger Arbeiten und versucht eine "gesellschaftsdiagnostische und-theoretische" (S. 314) Ausweitung seiner bisherigen kritischen Einwürfe. Laut Blühdorn dokumentiert das Buch die Entwicklung seiner Überlegungen zu einem eigenständigen "sozialwissenschaftlichen Forschungsansatz" (S. 11), zu einem "Konzept der Gesellschaft der Nicht-Nachhaltigkeit" (S. 67). Das Buch besteht aus neun Kapiteln. Vier stammen aus der Tastatur von Blühdorn. Er legt darin eingangs die für das Buch titelgebende Grundthese ausführlich dar und schließt den Band mit scharfer Kritik an gegenwärtigen demokratietheoretischen Diskursen ab. Den Co-AutorInnen bleibt es vorbehalten, innerhalb des dadurch gesetzten Rahmens diese Generalthese für die Bereiche staatliche Handlungskompetenz, Zivilgesellschaft, politische Parteien, gesellschaftlicher Wertewandel sowie individuelles Konsumverhalten zu illustrieren und zu plausibilisieren. Die Generalthese lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Die gegenwärtige moderne Gesellschaft ist eine Gesellschaft der nachhaltigen Nicht-Nachhaltigkeit. Das emanzipatorische Potenzial der bürgerlichen Aufklärung sowie ihre Aktualisierung in der linken Protestbewegung der 1960er-Jahre habe sich zu einer "Emanzipation zweiter Ordnung" (S. 103) fortentwickelt. Damit wurde der ursprünglich einmal avisierte Auszug aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit ersetzt durch die "Befreiung aus der Mündigkeit" (S. 103) und die Anpassung an die Gegeben

Nachhaltiger Konsum. Neoliberale Subjekte zwischen grünem Lifestyle und gesellschaftlicher Verantwortung. In: Gäbler, Karsten (ed.): Gesellschaftliche Ökologie. Beiträge zur Konstruktion geographischer Wirklichkeiten. Sozialgeographische Manuskripte Bd. 12. Jena , pp. 101 - 124.

Gewöhnliche Gesten verbinden jeden unversehens mit dem Kohlenstoffkreislauf, der die globale Erwärmung bewirkt. Im Alltag von Frau Müller fällt zum Beispiel bei den kleinsten Handlungen ein winziger, aber sich aufsummierender CO 2 -Ausstoß an. Sie wacht auf mit Hilfe ihres netzbetriebenen Radioweckers (CO 2 -Ausstoß: 22g/Tag). Sie schaltet das Licht an (286g bei 60-Watt/Lampe) und begrüßt in gemütlicher Wärme den Wintertag (10000g). Sie putzt sich mit der elektrischen Bürs te die Zähne (48g), duscht (2885g bei 54l) und setzt das Teewasser auf (138g beim Elektroherd). Sie fährt mit dem Auto acht Kilometer zur Arbeit (3600g Hin und Rück mit 80 PS) und gönnt sich zum Mittag eines schönes Rindersteak (1300g). Zum Nachtisch gibt es Erdbeeren aus Südafrika (11670g, eingeflogen). Wie der daheim, wird Wäsche gewaschen (500-1000g) und mit der Maschine getrocknet (2300g), die Geschirrspülmaschine eingeschaltet (870g), zehn Minuten Staub gesaugt (100g) und zum Ausspannen ein Spielfilm angesehen (40g/h). Das Gerät bleibt wie auch der DVD-Spieler im standby-Betrieb (150g). Wenn Frau Mül ler zu Bett geht, hat sie alles in allem 38000g CO 2 emittiert. Ohne viel in ihrem Leben zu ändern, könnte Frau Müller ihren persönlichen CO 2 -Ausstoß auf ein Drittel reduzieren, etwa durch regionales Schweinefleisch, Freilufttrocknen der Wäsche, saisonales Obst und Ökostrom« (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland et al. 2008:579). Frau Müller, das weibliche Pendant zu Otto Normalverbraucher. Offensichtlich eine Frau, der es gelingt, ein geregeltes Arbeitsleben zu führen, ohne ihre Pflichten als Haus frau zu vernachlässigen. Souverän im Umgang mit den technischen Errungenschaften des Fortschritts und aufgeschlossen gegenüber den kleinen Freuden des Alltags. Eigentlich ein Musterbeispiel für eine moderne Frau. Sie erfüllt die an sie gerichteten gesellschaftlichen Erwartungen nach bestem Wissen und Gewissen. Und doch stimmt etwas nicht mir ihr. Es sind ihre CO 2 -Werte. Ihr ökologischer Fußabdruck ist einfach zu groß! Trotz ihres vorbildlichen Lebenswandels hat sie eines nicht bedacht: den Klimawandel. Nicht dass sie vorsätzlich handelt. Eher könnte man ihr fahrlässiges Verhalten vorwerfen. Selbstverschuldete ökologische Unmündigkeit. Aber worum es geht, ist weniger eine Schuldzuschreibung. Der Sinn einer solchen persönlichen CO 2 -Bilanz ist konstruktive Kritik. Ein wenig mehr Regionalität und Saisonalität hier, etwas Verzicht dort und schon wäre das Problem gelöst. Eben die kleinen Gesten mit großer Wirkung. Im Folgenden soll es allerdings nicht darum