Das Herzogtum Mailand, die italienischen Staaten und die aktuelle Forschungsdiskussion – eine historiographische Bilanz, in Kulturtransfer im Spätmittelalter: Die Visconti und der deutsche Südwesten. (Hgg.) P. Rückert, S. Lorenz, R. Kretzschmar, Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern, 2008, pp. 89-102 (original) (raw)
1 Die Debatte, die in den vergangenen Jahrzehnten in Italien geführt wurde Suchte man einen Wendepunkt in der Debatte um die politischen Formierungen in Italien am Ende des Mittelalters auszumachen, könnte man diesen leicht auf den Beginn der Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts datieren, auf den Zeitpunkt nämlich, an dem das damalige spezifische kulturelle und politische Klima -es waren eben jene Jahre, in denen tief greifende Überlegungen über den Staat angestellt wurden, dessen Krise Politologen ebenso wie soziale Kräfte deutlich wahrnahmen 1 -die Reflexion der tatsächlichen Ursprünge des Staates sowie der weit zurückliegenden, seine Entstehung bedingenden Entwicklungen nahe legte 2 . Insbesondere den Forschungsarbeiten von Giorgio Chittolini und Elena Fasano Guarini ist es zu verdanken, dass einige Errungenschaften der deutschen Verfassungsgeschichte -wie zum Beispiel der Dualismus Fürst -Stände -als tragendes Element in der institutionellen Struktur der Fürstentümer auch unter den italienischen, mit dem Spätmittelalter befassten Historikern zu zirkulieren begannen und somit neue Hilfsmittel lieferten, um die politischen Gebilde zu analysieren und einer neuartigen Betrachtung zu unterziehen, die bis dahin noch, gemäß des * In der vorliegenden Abhandlung werden Themen und Reflexionen vorgestellt, die bei Andrea Gamberini: Lo stato visconteo. Linguaggi politici e dinamiche costituzionali. 2005, fortgeführt und vertieft werden. 1 Vgl. Roberto Ruffilli: Istituzioni, società e Stato. Hrsg. M.S. Piretti. 1989-1991. 2 Lo stato moderno. Hrsg. Ettore Rorelli, Pierangelo Schiera. I-III. 1973-74; Crisi dello stato e storiografia contemporanea. Hrsg. Roberto Ruffilli. 1979. von Burckhardt im 19. Jahrhundert entworfenen Bildes vom "Staat als Kunstwerk" 3 dargestellt worden waren: ein Staat somit, von dem man sich vorstellte, dass er einzig und allein durch die Schöpferkraft und den Willen des Fürsten gestaltet worden sei und dass er in sich alle Merkmale der Moderne vereine, gemäß eines wieder aufgegriffenen und von der Rechtsgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts untermauerten Paradigmas, das glauben ließ, dass man schon den Staaten des 14. und 15. Jahrhunderts die Disziplinierung des dominatus loci, das Auferlegen der Einheitlichkeit in der territorialen Rechtssprechung, die Aufhebung der Steuerungleichheit zwischen Armen und Reichen etc. zuerkennen könne 4 . In Wirklichkeit, so Chittolini, ist das beruhigende Bild, das uns die Geschichtsatlanten von diesen Formierungen liefern, die mit gleichmäßigen Farbflächen dargestellt werden, völlig verfälscht und irreführend, da im Inneren der Gebiete die Partikulargewalten, mit denen der Fürst oder die vorherrschende Macht die Vorrechte der Regierung, die Steuereinnahmen etc. teilen musste, aktiv und lebendig geblieben waren. Infolge dieser Betrachtungen begann man nun die in dieser langen und illustren Tradition stehenden Studien scharf und unnachgiebig zu kritisieren, die in den Regionalstaaten und Territorialstaaten (dem Herzogtum Mailand, der Republik Venedig, dem Florentinischen Staat, dem Königreich Neapel etc.) die Vorwegnahme des modernen Staates sahen. Hieraus resultierte an erster Stelle die Anerkenntnis der politischen Potenz einer Reihe von Rechtssubjekten -Städten, Landgemeinden, Adelsgeschlechter, Burgherrn, Faktionen -die dazu in der Lage waren, mit dem Fürsten einen lebhaften und konstitutionell fruchtbaren dialektischen Austausch zu etablieren. Es handelte sich hierbei also um Rechtssubjekte, die 3