Ablässe und Wallfahrten in Braunschweig und Königslutter. (original) (raw)

"Bedenke, dass es nicht Fragen der Neugier sind, sondern solche, die dem Seelenheil dienen." 1 So schließt der Brief des Braunschweiger Lateinschulrektors Heinrich Hanner an Thomas Müntzer, Propst des Kanonissenstiftes Frose, verfasst wahrscheinlich im Juni 1517. Der Adressat des Briefes, der seit 1514 auch eine Altarpfründe an der Braunschweiger Michaeliskirche besaß, hielt sich damals im Haus des Braunschweiger Fernhändlers Hans Pelt auf, der später in der Reformationsgeschichte seiner Heimatstadt eine wichtige Rolle spielen sollte. 2 Das an Müntzer gerichtete Schreiben betraf grundlegende Probleme der Ablasspraxis: So die Frage, wie der Ausdruck "Ablass von Strafe und Schuld" zu verstehen sei, wie weit die Vollmacht des Papstes zur Sündenvergebung reiche, ob der Schatz der Kirche, aus dem der Ablass fließe, durch die Verdienste der Heiligen irgendwie vermehrt werde etc. Am Ende des Briefes wechselt der Schreiber die Perspektive von den grundsätzlichen theologischen Anfragen auf zwei konkrete Fälle. Er bittet Müntzer um Auskunft darüber, was er von den Ablässen halte, "die die Brüder des Predigerordens uns neulich öffentlich anpriesen, wobei sie von den Geistlichen scharf angegriffen wurden, wie bekannt ist", und was er "zugleich von den Ablässen in Königslutter [halte], die schon vor vielen Jahren gepredigt wurden, ob sie widerrufen sind, wie einige Leute zu behaupten wagen, oder nicht?" 3 Diese Fragen führen mitten hinein in die Ablassdebatte, an der sich die deutsche Reformation nur wenige Monate später entzünden sollte. Im Hinblick auf die folgenden Ereignisse macht die briefliche Äußerung deutlich, dass in Braunschweig bereits vor den Wittenberger Ablassthesen Luthers ein Potential an Unklarheiten und Zweifeln an der gängigen Ablasspraxis entstanden war, an das der reformatorische Einspruch anknüpfen konnte. 1 "Recordare, quod non sunt curiosa, sed que saluti consulunt, quesita." zitiert nach Bubenheimer, Ulrich: Thomas Müntzer. Herkunft und Bildung. Leiden -New York -Kopenhagen -Köln 1989, Quelle 1.5, S. 247-249, hier S. 249. 2 Bräuer, Siegfried: Der Beginn der Reformation in Braunschweig. Historiographische Tradition und Quellenbefund. In: Braunschweigisches Jahrbuch 75 (1994), S. 85-116 wieder abgedruckt in: Ders.: Spottgedichte, Träume und Polemiken in den frühen Jahren der Reformation. In: Goertz, Hans-Jürgen und Wolgast, Eike (Hgg.): Abhandlungen und Aufsätze, Berlin 2000, S. 169-206, hier S. 185-189. 3 "...quid ipse teneat de indulgentiis, quas nuper fratres ordinis predicatorum nobis publicabant, prelatis satis acriter repugnantibus, ut notum est. Similiter de indulgentiis in Regali Lutter iam ante multos annos predicatis, an sint revocate, [ut] quidam presumunt dicere nec non." zit. Hans Pelt für einen Ascherslebener Bürger und glaubte, Müntzer sei an der Braunschweiger Lateinschule als Lehrer tätig gewesen. Die Präsentationsurkunde des Braunschweiger Rates für das Altarlehen der Michaeliskirche wurde erst 1931 durch die Edition des Briefwechsels Müntzers von Heinrich Böhmer und Paul Kirn bekannt. 5 Vgl. seine eigene Darstellung in: Bräuer: Beginn (Anm. 2), S. 266f. 6 Bräuer, Siegfried: Thomas Müntzers Beziehungen zur Braunschweiger Frühreformation.