Individualisierung und soziologische Theorie — Einleitung (original) (raw)

2000, VS Verlag für Sozialwissenschaften eBooks

Ethics of Individuals "Private Sprache" , so Ludwig Wittgenstein, ist ein Oxymoron-oder, wenn man das Lateinische dem Griechischen vorzieht, eine contradictio in adiecto. Sprache setzt eine Sprachgemeinschaft voraus; Sprache ist eine "Form des Lebens"-und zwar des miteinander geteilten Lebens, des Zusammenlebens. Offensichtlich lasst sich ahnliches von der Ethik sagen. Gabe es nicht ein Netz wechselseitiger Abhangigkeiten zwischen Individuen, wiirde die Vorstellung einer Ethik keinen Sinn ergeben. Ein Einzelwesen, dessen Leben von anderen unberiihrt ist und das selbst kein anderes Leben beeinflusst, ware ein nicht-ethisches Wesen. Es ware weder gut noch bose, weder moralisch noch unmoralisch, denn es geht bei der Ethik nicht darum, was ein Einzelwesen sich selbst, sondern was menschliche Wesen einander antun. Allerdings konnte ein "Einzelwesen" auch kein menschliches Wesen sein. Wie schon Aristoteles bemerkte, sind nur Bestien oder Engel fahig, ein Leben in Vereinzelung fUhren. Bei einem Sein*, das nicht (wie Martin Heidegger es ausdriickte) urspriinglich Mitsein* ist, handelt es sich urn eine Widersinnigkeit. Es ist das Mitsein, das jenes Sein konstituiert, und es gibt kein Sein, das nicht schon Mitsein ist. Man kann daher sagen, dass potentiell alles ethisch ist: Die notwendige Bedingung fUr die Moralitat des Menschen-in-der-Welt war-ist-erfiillt, unabhangig davon, wann (und ob iiberhaupt) Konzepte von "gut" und "bose" entwickelt und ein Moralkodex schriftlich fIxiert wurden. Tatsachlich ist Mitsein die notwendige-aber nicht hinreichende-Bedingung fUr Moralitat. Mitsein, wie Emmanuel Levinas bemerkte, mag nicht mehr bedeuten als bloBes Zusammenmarschieren*. Die Tatsache, dass "wir alle im selben Boot sitzen" , Zeit und Raum teilen, uns von Angesicht zu Angesicht begegnen und voneinander hOren, macht uns nicht automatisch zu moralischen Wesen. Ethik, betont Levinas, kommt vor der Ontologie. Diese Reihenfolge gilt jedoch nicht fiir das moralische Selbst. Wir konnen sagen, dass * im Original deutsch * im Original deutsch * im Original deutsch T. Kron (ed.), Individualisierung und soziologische Theorie