Geschichte der Krim (original) (raw)

28. Nach dem Krieg: Die Krim zwischen 1856 und 1905

Geschichte der Krim, 2020

Nachts las ich Tschechow in dem karg eingerichtetenP ensionszimmer,und wenn ich morgens vomBalkon nach Westenschaute, dachteich mir Tschechow nicht anders als mit den riesigenFelsen aufden Schultern,unterihrerLast Worteüber Ebenen aufs Papier keuchend. Ichw ar mit einer spärlich markierten Karte im Kopf hierher gekommen, aufd er neben Tschechow der unvermeidliche Puschkin verzeichnetw ar,d azu Mickiewiczʼ Krim-Sonette, Marina Zwetajewa in Feodossja (sic), Mandelstamm in Koktebel, stets befasst mit dem Bogen vond en Weißen Nächten des kalten Nordens zu diesem blauen, warmen Land, das unzerreißbare Fäden zur Antikebereithielt. An diesen Fäden ließ sich Russland vordie Wiegeder Kultur spannen, an Hellas anbinden, der Bauer im nördlichen Schnee zähmen. Mehr Licht!¹ Die Reiseerzählungdes AutorenpaarsEsther Kinsky(*1956) und Martin Chalmers (1948-2014)basiert aufeiner im Oktober 2013-alsonoch vorder Annexion 2014durchgeführten Fahrt über die Halbinsel. Geschildert wird darin kein mythisiertes, schönes Zauberland, sondern eine kaum verklärteD estination, wie bereits der Untertitel "Aufzeichnungen vond er kalten Krim" andeutet.I nd er zitierten Passages ind einigeE lemente angeführt,welchef ür die Wahrnehmungen der Krim nach 1856 typischs ind.D er Slavistin und Übersetzerin Kinsky sind diese Krim-Bilder bekannt,ist sie doch sichermit mehr als "einer spärlich markiertenK arte im Kopf" aufdie Krim gereist.Treffend wird die Halbinsel als ein Ort bezeichnet, der russische und nichtrussische Autorinnen und Autoren des 19.und 20.J ahrhunderts (wie beispielsweise den genannten Polen Mickiewicz) inspirierte. Alsdann wird aufden Stolz russischer Elitenangehöriger hingewiesen, mit der Krim ‚ihren' Teil an der hellenischen Hochkultur zu besitzen (Kapitel 23), was auch in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts nachwirkte. In den Jahrzehnten vordem Ersten Weltkrieg war die Krim-und auch daraufverweisen Kinskyund Chalmers-zu einem nachgesuchten südlichenG egenentwurf der "Weißen Nächted es kaltenNordens" geworden. Dies galtnicht nur für Künstler und Künstlerinnen, die ihren Beitrag zur Entstehungdes sog.K rim-Texts, wie es in der Literaturwissenschaft heißt,u nd zur Mythisierung (Kapitel 2) der Halbinsel als Ort russischer Kultur geleistet haben. Dass auch eine ökonomisch und gesellschaftlich gutgestellte Hautevolee in ihren Sommerhäusern und angemieteten Refugien an der malerischen, mediterranenSüdküsteeine enge, auch emotionale Verbindungzur Krim aufbaute, nimmtk aumW under.W ie ließ sich aber der vonK insky und Chalmerse rwähnte "Bauer im nördlichen Schnee" durch den russischen Besitz der Krim "zähmen",a lso vone inemv ermeintlich wilden in einenk ultivierten

Die Fiktion einer "russischen Krim"

The European , 2020

Entgegen auch im Westen populärer Kremlmythen gibt es keine tiefe Verwurzelung der Krim in der russischen Nationalgeschichte. Vor diesem Hintergrund werden die Russen immer weniger bereit sein, in einer Zeit, in der sie zunehmend unter den Auswirkungen der Coronakrise leiden, knappe nanzielle Ressourcen zur Subventionierung der entlegenen Halbinsel aufzuwenden.

Geschichtsinterpretationen als Kristallisationspunkt interethnischer Spannungen auf der Krim

Ukraine-Analysen, 2006

Die Schwarzmeerhalbinsel Krim nimmt unter den Regionen der Ukraine eine gewisse Sonderstellung ein. Sie verfügt als einzige über einen Status als "Autonome Republik" und ist stark von post-sowjetischer und russischer Kultur geprägt. Diese Faktoren haben sich zumindest zwischenzeitlich in besonderen regionalen Machtverhältnissen und einem Konfl ikt zwischen den Machthabern auf der Halbinsel und der nationalen Regierung in Kiew niedergeschlagen. Verstärkt wurde die konfl iktträchtige Situation durch den langjährigen Streit zwischen Russland und der Ukraine um die Schwarzmeerfl otte der Roten Armee in der Hafenstadt Sewastopol und durch die Agitation russischer Nationalisten in Moskau, die der Krim eine hohe symbolische Bedeutung beimessen. In der komplizierten Gemengelage versucht die Bewegung der zurückgekehrten Krimtataren, die bzw. deren Vorfahren durch das stalinistische Regime 1944 deportiert worden waren, die Position ihrer Gruppe zu verbessern. Trotz dieser Ausgangslagen bleibt fraglich, ob die Situation auf der Krim tatsächlich einen kontinuierlichen Konfl ikt und eine besondere Bedrohung für die Einheit der Ukraine darstellt. Die aktuellen Auseinandersetzungen um die Annäherung an die Nato und den Status der russischen Sprache sind eher von den Gegensätzen in der gesamten Ukraine als von regionalen Besonderheiten geprägt. Geschichte des Konfl iktes auf der Krim seit 1990

Von der Krim an die Elbe

In: Ulrich Veit/Matthias Wöhrl (Hrsg.), STEINWELTEN. Ein interdisziplinärer Rundgang – dargestellt anhand von Objekten aus den Sammlungen der Universität Leipzig (Leipzig 2020) 121.

Die Taurische Reise von 1787 als Beginn der Mythisierung der Krim

Archiv für Kulturgeschichte, 2001

Zur Fragestellung und Einbettung in einen größeren Forschungskontext Die zu Beginn des Jahres 1787 begonnene Reise der Zarin Katharina II. in die neuerworbenen südlichen Gebiete ihres Reiches war ein-in heutiger Termi-nologie-gesamteuropäisches Medienereignis. Der zu erwartende Erfolg die-ser mit großen Pomp, man power und finanziellen Mitteln vorbereiteten und durchgeführten Tour 1 war bereits im Vorfeld in der europäischen Öffentlich-keit viel diskutiert worden. Eine zentrale Frage war, ob das vielen seit Mon-tesqieu als "halbasiatisch" geltende Rußland in der Lage sei, die weiten, men-schenleeren Steppen oder das gerade erst dem Osmanischen Reich entrissene ehemalige Krim-Khanat zu zivilisieren. Zweifel daran meldeten zahlreiche westeuropäische Gazetten an, welche dem Zarenreich dezidiert ablehnend ge-genüberstanden. Einem Teilnehmer an der Taurischen Reise, dem in habs-burgischen Diensten stehenden Prinzen Charles-Joseph de Ligne, waren schon vor seiner Abreise aus Moskau entsprechende Gerüchte zu Ohren ge-kommen. Er machte dafür nicht nur eine weit verbreitete, antirussische Stim-mung in Teilen des westlichen Europas verantwortlich, sondern auch ganz menschliche Motive wie Neid und Eifersucht: "Ich weiß, daß es augenblick-lich nicht in Mode ist, Reisenden, Höflingen und all' denen zu glauben, die sich gut über Rußland äußern. Sogar einige von den Russen, unzufrieden da-mit, daß man sie nicht an unserer Reise teilnehmen läßt, sagen, daß wir uns 1 Vgl. z.B. die Darstellung des deutsch-russischen Historikers A. BRÜCKNER (d.i. A.G. Brikner), Die Reise Katharina's (sic!) II. nach Südrussland im Jahre

»Falten von Land und Meer«. Zur geokulturellen Begründung der Krim

2013

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