Akademische Freiheit als Freiheit akademischen Unternehmertums? (original) (raw)

2023, Akademische Freiheit

1. Einleitung: Transformation akademischer Freiheit Wo von akademischer Freiheit die Rede ist, denkt man üblicherweise zuerst an das Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Einem traditionellen Verständnis zufolge ist diese Freiheit dort zu finden, wo die wissenschaftliche Tätigkeit von politischer Einflussnahme geschützt bleibt und sich allein an der Wahrheit orientieren darf. Wissenschaft ist demzufolge wesentlich auf einen Schutzraum angewiesen, in dem das freie, sachliche Urteil die alleinige Regie führt. Dieses Verständnis von akademischer Freiheit behält bis heute seine Gültigkeit; für wissenschaftliche Diskurse in demokratischen Gesellschaften ist es normativ verbindlich. Die Bedingungen solcher Freiheit wollen ständig gepflegt und kultiviert werden. 1 Vergegenwärtigt man sich jedoch die konkrete Situation der Universitäten und Hochschulen im 21. Jahrhundert, erscheint es ebenso offensichtlich, dass in dieser Sache eine aktualisierende Revision erforderlich ist: Die Frage der akademischen Freiheit wird man inzwischen nicht mehr allein mit Blick auf das Verhältnis von Wissenschaft und Politik, sondern vor allem auf das von Wissenschaft und Ökonomie behandeln müssen. Dass das Wissenschaftssystem der Gegenwart verstärkt einer ökonomischen Logik unterworfen ist, wird kaum jemand bestreiten. Was wird aber unter diesen Voraussetzungen aus der Freiheit der Wissenschaft? Was wird aus dem geschützten Raum der wahrheitsorientierten Diskurse? Diese Fragen sollen hier nicht mit Blick auf die offensichtlichen Gefahren einer Abhängigkeit des Wissenschaftssystems von Wirtschaftsinteressen diskutiert werden, sondern mit Blick auf die weniger offensichtlichen Folgen, die die Ökonomisierung für die Freiheit des Denkens, Urteilens und Sprechens hat. Was wird aus der akademischen Freiheit und insbesondere der akademischen Redefreiheit-verstanden nicht nur als Freiheit zu sagen, was man will, sondern vor allem auch als Freiheit zu sagen, was man wirklich denkt? Die folgenden Überlegungen werden keine besonders optimistischen Antworten auf diese Frage geben. Ökonomisierung lässt den wissenschaftlichen Diskurs keineswegs unberührt; der akademische Raum des freien Urteilens und freien Redens gerät durch sie in Schwierigkeiten. Dennoch wäre es zu einfach, eine simple Zerstörung von akademischer Freiheit zu behaupten. Um deutlich zu machen, wie verfahren die Situation wirklich ist, muss die Diagnose differenzierter ausfallen: Das Programm der Ökonomisierung, unter dessen Einfluss die akademische Freiheit mehr und mehr gerät, zielt nicht etwa auf Aufhebung von Freiheit. Als Programm eines ökonomischen Liberalismus versteht es sich selbst als Freiheitsprogramm. Die akademische Freiheit, so könnte man es in erster Näherung formulieren, steht unter den Bedingungen ökonomisierter Wissenschaft in Konkurrenz zu einer anderen Freiheitsvorstellung. Diese Freiheit lässt sich, so möchte ich zeigen, als ‚unternehmerische Freiheit' beschreiben. Die eigentliche Frage muss dann sein, wie sich beides zueinander verhält. Wie verträgt sich eine unternehmerisch interpretierte akademische Freiheit mit dem, was man gewöhnlich akademische Freiheit nennt und in demokratischen Gesellschaften nicht missen will: mit dem freien Sprechen und Urteilen im geschützen Raum der Wissenschaft? Die generelle Richtung der Antwort, die hier gegeben wird, überrascht nicht: Die Reinterpretation akademischer Freiheit im Zuge der Ökonomisierung wirkt sich in der Tat höchst problematisch aus. Wo Forscherinnen und Forscher dazu gedrängt werden, sich als unternehmerische Subjekte zu verhalten-wo sie die entsprechenden Verhaltensformen einzuüben gezwungen sind-, dort wird es mit der freien, vom sachorientierten Urteil geleiteten Rede unweigerlich schwieriger. Unternehmerische Freiheit ist durchaus Freiheit; sie ist aber von grundsätzlich anderer Art als die Freiheit des freien Urteilens, die auf Entlastung von strategisch-ökonomischen Erwägungen angewiesen ist. Daher ist der Ökonomisierungsprozess für die akademische Freiheit zweifellos eine Gefahr. Will man allerdings genauer angeben, worin diese Gefahr besteht, muss man genauer hinschauen. Man muss dann fragen, wie der soziale Raum, in dem sich akademische Praxis vollzieht, im Zuge der Ökonomisierung transformiert wird. Wie verändern sich die Bedingungen wissenschaftlicher Das Augenmerk gilt den eher subtilen Veränderungen, die die Bedingungen der akademischen Rede betreffen. Die zentrale These wird sein, dass die Konkurrenz von akademischer und unternehmerischer Freiheit zu paradoxen Anforderungen an akademische Akteure und damit zu inneren Spannungen in ihrem Urteilen und Sprechen führt. Insbesondere werden es sich Forscherinnen und Forscher, deren berufliche Existenz eine unternehmerische Form angenommen hat, nicht leicht erlauben können, was für die freie und offene Rede zentral ist: größtmögliche Redlichkeit. Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem sorgfältigen, gewissenhaften Arbeiten, das wissenschaftliche Integrität ausmacht, und der Notwendigkeit der Marktwertsteigerung, dem rationalen Einsatz von begrenzten Ressourcen, dem Imperativ der Selbstvermarktung. Für das akademische Subjekt der Gegenwart ist Integrität schwieriger, weil es diesen widerstreitenden Anforderungen nicht entgehen kann. Einige Aspekte dieses Spannungsverhältnisses herauszuarbeiten, ist die leitende Absicht der folgenden Überlegungen. Zugrunde liegen wird die Prämisse, dass die Macht, die die gegenwärtig dominante, gewöhnlich als ‚neoliberal' etikettierte ökonomische Praxis über die wissenschafliche Sphäre ausübt, unverständlich bliebe, wollte man sie an direkten, autoritären Eingriffen festmachen. Die moderne Ökonomie herscht nicht diktatorisch, durch Verordnungen und Verbote. Sie regiert vielmehr indirekt, auf dem Wege der Gestaltung von Rahmenbedingungen und Setzung von Anreizen. Mit Michel Foucault könnte man auch sagen, dass der Neoliberalismus sich durch eine besondere Regierungstechnik, durch eine eigene Form der ‚Gouvernementalität' auszeichnet, welche als eine Form des ‚Freiheitsmanagements' beschrieben werden kann. 2 Die neoliberale Ökonomie regiert nicht gegen, sondern gerade mit der Freiheit. Welches eigentümliche Freiheitsverständnis dabei leitend ist, lässt sich exemplarisch an Friedrich von Hayek zeigen: Akademische Freiheit läuft hier, wie im zweiten Abschnitt gezeigt wird, letztlich auf eine ‚Eigenverantwortung' im akademischen Wettbewerb hinaus (2). Der dritte Abschnitt buchstabiert dieses alternative Verständnis von akademischer Freiheit dann weiter aus, und zwar im Sinne einer ‚Freiheit des akademischen Unternehmertums'. Im Zentrum steht dabei ein akademisches Subjekt, das existentiell gezwungen ist, sich unternehmerisch zu verhalten, nämlich findig, innovativ, risikofreudig und effizient zu agieren. An die Stelle der akademischen Freiheit im üblichen Sinn tritt dabei die Freiheit des ungeschützten unternehmerischen Agierens. So beginnt sichtbar zu werden, wie akademisches Unternehmertum in Spannung gerät zur Idee eines freien, von strategischen Erwägungen entlasteten Denkens und Redens (3).