Spiritualität im Alltag - Matrix für berufliches Profil? (original) (raw)

Spiritualität im Alltag-Matrix für berufliches Profil? "Wenn ich in diesem Moment nicht die Ruhe behalten hätte, wäre die Situation völlig eskaliert"-so berichtet eine Pastoralreferentin in einer Supervisionsgruppe. Sie war mit einigen Jugendlichen nach einem Fußballspiel unterwegs als eine Gruppe gewaltbereiter Hooligans ihnen auf der Straße den Weg versperrte, und mit grölenden Rufen und aggressiven Signalen drohend, auf sie und die Gruppe zukam. Die Jugendlichen in ihrer Gruppe bekamen große Angst, es waren Hooligans des gegnerischen Vereins, schwer angetrunken und randalierend. Die Pastoralreferentin stellte sich einfach mit Präsenz, Selbstbewusstein und innerer Ruhe diesen Jugendlichen in den Weg, und bewegte sie mit wenigen, aber klaren Worten dazu, ohne weitere Aktion einfach weiter zu gehen. Was sie erzählte, beeindruckte die ganze Supervisionsgruppe. Nun müssen es nicht solche prekären Situation sein, in denen wir alltäglich stehen. Hier geht es um diese Haltung der Pastoralreferentin, die verdeutlicht, was es heißen kann Spiritualität im Alltag zu leben. Präsenz, Bewusstsein seiner selbst und innere Ruhe sind Kennzeichen einer inneren Kraft, die aus Quellen speist, die auf spirituelle Kompetenzen verweisen und diese gleichzeitig realisieren. Am Beispiel der Pastoralreferentin wird jedoch bereits eine Grundannahme deutlich: geistlich-spirituelles Bewusstsein geht Hand in Hand mit menschlichanthropologischer Reife. Geistlich-spirituelle Prozesse korrespondieren stets mit dem menschlichen Wachstum der einzelnen Person. Es geht also bei der Analyse geistlicher Prozesse immer auch um Dynamiken in psychischen und existenziellen Bereichen, einschließlich der Reifungsschritte und Krisen, die damit zusammenhängen. In der Spiritualitätsforschung ist es heute Konsens, dass "die meisten Definitionen von Spiritualität Varianten eines anthropologischen Verständnisses darstellen. Der anthropologische Zugang zum Gegenstandsbereich kann als grundlegend betrachtet werden". 1 Garrido spricht konsequenterweise von der Notwendigkeit einer "Simultanen Pädagogik". um dieser komplexen Dynamik in geistlicher Förderung und Begleitung gerecht zu werden. "Die `Simultane Pädagogik´ beruht auf der Grundannahme, dass Menschliches von Geistlichem nicht zu trennen ist, denn der Mensch reift nicht in verschiedenen Ebenen (zuerst die psychoaffektive, dann die soziale, die ethische, schließlich die Beziehung mit Gott), sondern in einer einzigen Dynamik, die sich ausdifferenziert." 2 Infolgedessen sind Spiritualität und Alltag auf innigste verschränkt. In diesem Beitrag geht es 1. um die Frage, was unter Spiritualität zu verstehen ist, um dann, als 2. spirituelle Lebenshaltungen im Alltag zu identifizieren und diese dann 3., an einem Beispiel aus dem Evangelium zu verifizieren. Anschließend geht es 4. um die Frage der Relevanz von Spiritualität angesichts alltäglicher Spannungen, und 5. um existienzielle Krisen. 1 Baier 2006, S. 14. 2 Garrido 2009, S. 87 "la `pedagogía simultánea´ implica los siguientes criterios: […] No separar lo humano y lo espiritual, puesto que la persona no crece por pisos (primero, lo psicoafectivo; luego, lo social; luego, lo ético; luego, la relación con Dios), sino en dinámica unitaria y diferenciada." Übertragung Ortega V. 1. Spiritualität-ein Begriff im Wandel Der Begriff Spiritualität ist seit jeher ein schillernder Begriff. Sein Verstehenshorizont reicht heute von monastischen Regularien, streng kirchlichen Traditionen, bis hin zu esoterischokkulten Praktiken. Hier jedoch geht es um eine Grundhaltung, die auf einem christlichen Personenbegriff basiert und Spiritualität als Schnittpunkt geistgewirkten Lebens und existenziellen Wachstums begreift. Dabei ist zu bedenken, dass der "Begriff der Spiritualität […] durchaus einem akademischen Diskurs [entstammt]."¹ 3 Konturiert wird der Begriff Spiritualität durch die Betonung von Erfahrung und individueller Deutung. Mit gegeben ist ferner das Bewusstsein einer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder Ordnung, die nicht selten jenseitig, Gemeinschaft der Heiligen, oder diesseitig Kirche, Orden, Welt ist, nicht jedoch unbedingt persönlich im Alltag erlebbar. "Vor allem aber ist die Spiritualität im Erfahren verankert, das um eine unsichtbare Gemeinschaft, eine unsichtbare Kirche weiß." 4 Die Genese des Begriffes Spiritualität reicht hinein bis in das alttestamentliche "nishmatruah", was "menschliche Lebenskraft" oder "göttliche Durchdringung" bedeutet. Im Neuen Testament wird es mit dem griechischen Wort "pneumatikos" übersetzt und schließlich in das lateinische "spiritualis". Die Wurzel spiritus-Geist, weist somit auf das hebräische ruach, und ist wie dieses konnotiert mit atmen, hauchen, beseelt sein. 5 Neben der paulinischen Tradition, in der die vom Geist des Auferstandenen erfüllten Christen aus dem `pneuma´ leben, findet sich im 5. Jahrhundert ein Schreiben, "in dem ein neugetaufter Christ ermahnt wird, eifrig in der Heiligen Schrift zu lesen und nach ihren Geboten zu leben, um in der `Spiritualität´ fortzuschreiten." 6 In den folgenden Jahrhunderten wurde Spiritualität Kennzeichen für Mönche und Kleriker, und erfuhr eine wesentliche Deutungsverschiebung auf den `geistlichen Stand´. "Im Mittelalter bezog sich spiritualis auf geistliche im Gegensatz zu weltlichen oder zeitlichen Dingen sowie auf monastische und laienspezifische Lebens-und Glaubensformen." Damit einher ging eine immer stärkere Trennung von Geistlichkeit und Welt. "Um das 12. Jahrhundert im Umfeld der aufkommenden Scholastik, bürgert sich die Rede von der `spiritualitas´ ein als ontologisch-anthropologisch Kontrastbegriff zu `corporalitas.´" 7 Für McGinn gehört dies zu den "zu den am wenigsten glücklichen Folgen der Scholastik." 8 Ausgerechnet in dieser Zeit, in der die Kirche zunehmend in Auseinandersetzung mit weltlichen Mächten verwickelt war, (erinnert sei an die Jahre des Investiturstreites und zunehmender Stärkung der Macht Roms unter Gregor VII.), "wird die `Metapher´ von den `geistlichen Gütern´ ins Rechtliche übertragen: `Spiritualitas ist forthin auch der Überbegriff für den Bereich der kirchlichen Rechtssprechung. Es ist diese Bedeutung, die die Volkssprachen aufnehmen. […] In der gleichen juristisch orientierten Sinnrichtung ist die Rede von der `Geistlichkeit´ zu verstehen, die sich spätmittelalterlich im Deutschen als Bezeichnung