Geschichtsunterricht zwischen Affekt und Intellekt (2011) (original) (raw)

Einleitung: Affekt als kulturelle Kraft

Affekte, 2006

Dieser Band bietet eine Perspektive auf Kunst an, in der die zentrale Bedeutung der Repräsentation zurückgestellt wird, um das Drängen von Kunst, die Betrachterinnen emotional einzubinden, in den Blick zu nehmen. Diese Perspektive rückt den Ajfekt 1 ins Zentrum der Aufmerksamkeit und richtet sich auf die Analyse der Wechselwirkungen zwischen Rezipientirr und Kunstwerk. Statt nur davon auszugehen, was beispielsweise auf einer bemalten Oberfläche zu sehen ist, etabliert eine Affektanalyse eine Beziehung zwischen dem Sichtbaren und seinen Wirkungen auf diejenigen, die ein Kunstwerk betrachten und eben von ihm affiziert werden. Diese Perspektive ist nicht neu. So haben sich beispielsweise die Diskussionen um Pornografie immer darauf konzentriert, was pornografische Bilder bei ihren Betrachterinnen womöglich auslösen. Verleiten sie dazu, die eigenen Begierden auszuleben? Eine solche Frage setzt bereits voraus, dass das Bild tatsächlich in der Lage ist, bestimmte erregende Effekte zu erzeugen. Auch in den Debatten um Zensur wird immer schon angenommen, dass diese eine Antwort auf jene Bilder oder Texte ist, die >beschuldigt< werden, ihre Rezipenten zu verderben. Und schließlich, allerdings weniger offensichtlich, basieren die Diskussionen über einen ästhetischen Wert auf der Annahme, dass das in Frage stehende Werk, wenn es als Kunst erfolgreich ist, einen Effekt hat, der >ästhetisch< genannt wird. Wenn diese Perspektive auch nicht neu ist, so ist die Art und Weise, in der der Begriff des Affekts in letzter Zeit in den Vordergrund getreten ist, hilfreich, um die Effekte, die bisher politisch oder ethisch, ästhetisch oder sexuell genannte wurden, unter einer Rubrik zu vereinen, die nicht wie das vorangegangene Primat der Repräsentation von der figurativen Qualität eines Kunstwerks abhängig ist. Tatsächlich bietet der Begriff des Affekts den kulturwissenschaftlichen Disziplinen ein nützliches Kon-Zur Verwendung des Affekt-Begriffs im englischsprachigen Raum siehe den folgenden Beitrag von Michael Hoff in diesem Band.

Bildungen im Zeichen des Affekts

Rainer Kokemohrs »Der Bildungsprozess« und sechs Antwortversuche, 2021

erprobt in seinem Essai Der Bildungsprozess-ein »Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen«? die Vorstellung, »dass ein Bildungsprozess ein (im weiten Sinn) sprachlicher Prozess sei […]« (Kokemohr: 27). Diese Erprobung erfolgt »im Anschluss an Kants Kritik der reinen Vernunft und, vermittelt durch Nietzsches frühen Text Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, an Wittgensteins Philosophie des Sprachspiels, wie er sie in Philosophische Untersuchungen und Über Gewissheit entwickelt hat.« Kokemohr folgt dabei der Einsicht aufgeklärter Rhetorik, dass alles Seiende ein Seiendes-in-Zeichen sei, »der zufolge Zeichen vermöge ihrer Differenzbeziehungen im Feld der Signifikanten etwas bedeuten, indem sie auf etwas verweisen, das selbst Zeichen ist.« (Ebd.) Wie zumeist in Kokemohrs Texten geht es darum, bildungstheoretische Überlegungen empirisch gehaltvoll zu erproben. Die Grundzüge seines Argumentationsgangs zu rekonstruieren ist hier nicht mein Anliegen. Festhalten möchte ich vorab lediglich, was Anke Wischmann als ›Ertrag‹ dieses letzten Textes von Rainer Kokemohr formuliert: »Im Anschluss an die Überlegungen Rainer Kokemohrs kann festgehalten werden, dass Bildungsprozesse 1. theoretisch begründbar sind, 2. empirisch erforschbar sind, 3. kontextualisiert und relational sind.« (Wischmann in diesem Band: 173) Statt nun diese Einschätzungen näher zu erläutern möchte ich einen anderen Weg einschlagen. Mein Anliegen besteht darin, mich an diesen Text zu setzten, mich ›dran zu machen‹, à m'y mettre, indem ich an einen losen Faden des Textes dieses ami-maître, eines Freund-Lehrers oder Freund-Meisters, anknüpfe. Diesen Faden möchte ich aufnehmen, weiterweben, ein Stück weiterspinnen, um den Text von Rainer Kokemohr und die darin entworfene Bildungsprozesstheorie etwas weiter zu ›stricken‹.

Affekt und Politik

Philosophische Rundschau , 2017

Sammelrezension der folgenden Bücher: BRIAN MASSUMI: Politics of Affect, Cambridge 2015. Polity Press. JUDITH MOHRMANN: Affekt und Revolution, Frankfurt/M. 2015. Campus. MARTHA NUSSBAUM: Politische Emotionen, Berlin 2014. Suhrkamp. JOHN PROTEVI: Political Affect, Minneapolis 2009. University of Minnesota Press.

Affekt contra ars : Wege der Rhetorikgeschichte um 1700

Rhetorica. A Journal of The History of Rhetoric, 2006

Der Aufsatz verfolgt die These, daß es um 1700 in der Rhetorikgeschichte einen Bruch gab, bei dem die traditionelle Konzeption der Rhetorik als einer ars durch die einer Affekt-Rhetorik abgelö st wird. Die Argumentation geht dabei zurü ck auf Quintilians Vorstellung einer artificiosa eloquentia. Gezeigt wird, wie dieses ars-zentrierte Konzept von Rhetorik in der Frü haufklärung in eine Natur-Rhetorik ü berfü hrt wird, die auf die Produktivkraft des Affekts jenseits rhetorischer Traditionen setzt. Im Ergebnis wird die Gü ltigkeit der antiken Theorie nachhaltig beschnitten.

"Das Affektif – zu einem neuen Paradigma der Sozial- und Kulturwissenschaften"

in: Martina Löw (Hg.): Vielfalt und Zusammenhalt. Verhandlungen des 36. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Campus: Frankfurt a. M. / New York, 797-804., 2014

Gefühle, Emotionen und Affekte sind seit der Gründung ein wichtiger Beobachtungsgegenstand der Soziologie. Prominent und für den Zusammenhang dieses Plenums bedeutend ist natürlich Émile Durkheims Konzept der kollektiven Erregung. Mittlerweile hat sich eine unüberschaubare Anzahl von Ansätzen entwickelt, die sich mit Fragen der affektiven Seite des Sozialen beschäftigen. Ich möchte in dieser Vielzahl der Theorien drei grundlegende Theorieparadigmen unterscheiden: 1. Sozialpsychologie, 2. Soziologie der Emotionen und 3. die gegenwärtig im Entstehen begriffenen Affect Studies. Diese Einordnung folgt den konzeptionellen Unterschieden, die in diesen Ansätzen selbst vorgenommen werden. Ich werde diese Paradigmen zuerst kurz darstellen, bevor ich einen weiteren Aspekt in die Diskussion einbringen möchte.

Affekt als analytische Kategorie der Sozialforschung

Stimmungen und Atmosphären, 2017

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Soziologie der Emotionen bedeutende Fragestellungen des Zusammenspiels von Akteuren, sozialen Strukturen und Kulturen untersucht, die weit über die etablierten normativen und instrumentell-rationalen Paradigmen hinausgehen. So zeigen soziologische Studien, dass Emotionen erstens zentral sind für das soziale Handeln, zum Beispiel in Entscheidungssituationen. Zweitens haben diese Arbeiten verdeutlichen können, dass Emotionen ein wesentlicher Bestandteil der sozialen Interaktion sind, etwa mit Blick auf Kommunikation und die Entstehung von Intersubjektivität. Und drittens hat diese Forschung für die doppelte Bedeutung von Emotionen hinsichtlich des Verständnisses von Gemeinschaft und Gesellschaft sensibilisiert: Einerseits stellen Emotionen soziale Bindungen und Kohäsion her, andererseits sind sie unübersehbare Triebfedern von Konflikt und Desintegration. Eine grundlegende Annahme der Auseinandersetzungen mit der Bedeutung menschlicher Emotionalität für das Soziale besteht darin, Emotionen als soziale und kulturelle Konstrukte zu verstehen. Das bedeutet zum einen, dass Emotionen nicht vollkommen arbiträr und individualisiert auftreten, sondern mehr oder weniger systematisch und strukturiert, etwa in Anlehnung an bestehende Machtverhältnisse, soziale Ungleichheiten oder die Struktur sozialer Netzwerke. Zum anderen sind Emotionen eng verbunden mit sozial geteilten Normen, Werten, Überzeugungen und Praktiken, sowohl in Bezug auf die Situationen, in denen sie entstehen-also wie sie erlebt, kommuniziert und reflektiert werden-, als auch hinsichtlich ihrer Kulturbedeutung, beispielsweise ihrer kulturellen Wertschätzung oder Tabuisierung, ihrer Kommodifizierung und politischen Instrumentalisierung oder ihrer Analyse durch die Wissenschaften .