Hans-Lukas Kieser: Nahostfriede ohne Demokratie: Der Vertrag von Lausanne und die Geburt der Türkei 1923 / Middle East Peace without Democracy: The Treaty of Lausanne and the Birth of Turkey 1923 (original) (raw)

Adenauers Botschafter in Kairo: Die geheime Friedensvermittlung Ägypten–Israel 1953

Historisch-Politische Mitteilungen, 2003

Adenauers Botschafter in Kairo: Die geheime Friedensvermittlung Ägypten–Israel 1953 Bekleidet mit Cutaway und Zylinder schritt Dr. Günther Pawelke unter den Klängen des Deutschlandliedes Ägyptens Ehrengarde ab. Sieben Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten in seiner Heimat »vier Mächte« das Sagen. Deutschland war geteilt und nicht souverän. Es musste daher diesen Gesandten recht unerwartet treffen, als ihm in Kairo zwei Rollen für eine Vermittlung zum Frieden in Nahost zufielen. Aber erst heute, fünfzig Jahre danach, können wir die historischen Einzelheiten aufzeigen. Denn das Politische Archiv des Auswärtigen Amts hat die hochgeheimen Akten kürzlich offen gelegt. Nahost-Historikern ist der Tatbestand nicht unbekannt, womit kurz die Quellenlage vorgestellt wird. Im Jahr 1993 las ich im Politischen Archiv einen Vermerk Dr. Theodor Kordts für Staatssekretär Walter Hallstein vom Ende Juli 1953. Dort hieß es auch: »Es sei daran erinnert, daß Botschafter Pawelke im April von Abdel Nasser um Sondierung eines Friedensschlusses mit Israel ersucht wurde. Die Aktion ist im Sande verlaufen.« In Klammern folgten die Nummern von sechs weiterhin klassifizierten Geheimberichten.2 Seither gab ich diesen erstaunlichen Fakt in der Literatur bekannt.3 Aber diese Berichte selbst blieben gesperrt. Ein halbes Jahr bevor neue Aktenbände zur Auswärtigen Politik ediert wurden, ist der fragliche Gesamtvorgang endlich deklassifiziert worden. Nachdem ich ihn publiziert hatte, entspann sich ein internationaler Disput, auf den ich hier abschließend eingehen und mithin den Forschungsbedarf umreißen will.

Mehmet Nuri Dersimi, ein asylsuchender Kurde Hans-Lukas Kieser

Geboren und aufgewachsen auf einer sonnigen Weide des Orients, wo ich gelebt, geliebt und für mein Recht und Dasein gekämpft habe, bin ich jetzt ein Vagabund, da ich mit einem Herzen voller Kummer in der Fremde habe Asyl suchen müssen. 2 I Auf der Bahnstation in der Stadt Elazıg, "Osttürkei", präzis zwei Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkrieges. Nuri Dersimi -das heißt Nuri, der aus dem Dersim, der in Tunceli umbenannten kurdischen Region nördlich von Elazıg, stammt -verabschiedet sich unter Tränen von seinen Freunden. Der Stadtbehörde wie auch den Bauern auf seinem Gutshof hat er mitgeteilt, daß er zu einer medizinischen Behandlung nach Istanbul reise. Daß er endgültig flieht, wissen nur seine Freunde und Selvi, seine Frau. Nach tristen Tagen der Reisevorbereitung hat das Ehepaar zu Hause voneinander Abschied genommen, wobei Selvi in Ohnmacht gefallen ist. Völlig aufgelöst gelangt sie dann doch noch zum Bahnhof. Ihr Mann dringt auf sie ein, sich zusammenzunehmen, da es von Zivilpolizisten wimmle, die Verdacht schöpfen könnten.

Die Stunde der abgewählten Exekutive. Ende des Friedensprozesses in der Türkei; In: Zeitschrift Luxemburg (Juli 2015)

In den letzten Monaten hatte die kurdische Bewegung international erheblich an Reputation gewonnen. Wesentlich dafür war der Kampf der kurdischen Guerilla gegen den dschihadistischen IS: Bedrohte Yesiden konnten evakuiert, der IS aus weiten Teilen Nordsyriens herausgedrängt werden. Das Gebiet wurde im Zuge dieser Entwicklungen in der internationalen Öffentlichkeit unter dem kurdischen Namen " Rojava " bekannt, ihr Symbol ist die im Januar beendete Belagerung der Stadt Kobane. Selbst Liberale sprachen von Befreiung. Die Reputation der kurdischen Bewegung in der Türkei ruhte zum einem auf diesem Symbol, zum andern auf der Tatsache, dass die maßgeblich von der kurdischen Bewegung initiierte HDP zur breiten linken Sammlungspartei in der gesamten Türkei avancierte. Aufgrund ihrer ideologischen Flexibilität gelang es der HDP, auch liberale und konservative (kurdische) Kräfte an sich zu binden, die primär den Ausgleich mit der AKP in kurdisch-identitären Belangen suchen. Kurdischer Kampf gegen den IS und Verstrickung türkischer Behörden mit dem IS Für die AKP bedeuteten diese Entwicklungen erstens einen weiteren Verfall ihrer seit der Niederschlagung der Gezi-Revolte angeschlagenen internationalen Reputation. Dies liegt wesentlich an der de facto Unterstützung des IS durch türkische Behörden. Versuche der AKP, Informationen über die Verstrickung zwischen türkischen Behörden und dem IS zu unterbinden, verschärften einmal mehr das Maß an Repression in der Türkei, blieben aber wirkungslos. Nicht selten sprachen AKP-Politiker_innen von einer " islamophoben internationalen Medienkampagne gegen die Türkei ". Damit entfremdeten sie sich insbesondere von religiösen Segmenten der kurdischen Bevölkerung. Diese weiß auf Basis eigener alltäglicher Beobachtungen schon lange, das der IS auch in der Türkei aktiv und zum Teil offen präsent ist. Nicht zuletzt deshalb fühlte sie sich durch ihre Regierung immer weniger geschützt. Auch bestehen zum Teil familiäre Bande zu den zeitweilig vom Genozid bedrohten syrischen und irakischen Kurd_innen. Diese Entfremdung von konservativen Segmenten in der kurdischen Bevölkerung, die bis dahin AKP gewählt hatten, führte zum dramatischen Verlust von beinahe 10 Prozent bei den Parlamentswahlen am 7. Juni. Mit nunmehr etwas mehr als 40 Prozent der Stimmen verfügt die AKP über keine eigene parlamentarische Mehrheit mehr, während die HDP mit etwas über 13 Prozent 80 Abgeordnete stellt. Bis heute hat die AKP noch keine Regierung bilden können und regiert kommissarisch.

Rezension von: Rolf Steininger / Rudolf Agstner (Hgg.): Israel und der Nahostkonflikt 1972 - 1976, München: Olzog Verlag 2006, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 6 [15.06.2010], <www.sehepunkte.de /2010/06/17254.html>

Was die österreichische Botschafterin Johanna Nestor am 10. September 1975 aus Tel Aviv meldete, hatte Seltenheitswert. Seit drei Jahren auf ihrem Posten, hatte die Diplomatin dem Außenministerium in Wien bisher fast nur von Rückschlägen bei der Suche nach einer Friedenslösung für Nahost berichten können. Doch nun schrieb sie von einem "echten Durchbruch". Israel und Ägypten hatten sich im Streit um die Sinai-Halbinsel, die seit dem Sechstagekrieg 1967 von israelischen Truppen besetzt war, auf ein Zwischenabkommen geeinigt: Israel würde sich von den Ölfeldern in Abu Rhodeis und den strategisch wichtigen Pässen Gidi und Mitla zurückziehen; Ägypten gelobte, im Konflikt mit dem jüdischen Staat nur noch friedliche Mittel anzuwenden. Dieser Kriegsverzicht sei eines jener "politischen Elemente", mit denen das Abkommen über bisherige Waffenstillstände zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn deutlich hinausgehe, analysierte Nestor. Nachlesen kann man die Bulletins der Botschafterin in einem Quellenband, den der Innsbrucker Historiker Rolf Steininger und der österreichische Diplomat Rudolf Agstner herausgegeben haben. Das Buch liefert das dichte Protokoll einer Umbruchzeit im Nahen Osten; wer die jüngste Geschichte der Region verstehen will, wird hier vielfache Einsichten finden. Eine verdienstvolle Publikation also, auch wenn die editorischen Zusätze sparsam ausfallen. Auf kommentierende Anmerkungen wurde ebenso verzichtet wie auf genaue Quellenangaben. Hilfreich ist, dass das Personenregister biografische Daten enthält -ärgerlich, dass sich das Sachregister als sehr lückenhaft erweist. Zusätzlich ergänzt werden die Dokumente durch einen 30-seitigen Bildteil. Die Veröffentlichung schließt an die 13-bändige Edition "Berichte aus Israel" an, die Schriftstücke von Wiens diplomatischen Vertretern im Heiligen Land aus den Jahren 1927 bis 1972 enthält. Allerdings fehlt diesem Band die repräsentative Ausstattung seiner Vorgänger. Auch der Titel weicht vom großen Editionsprojekt ab. Dabei ist die Formulierung "Israel und der Nahostkonflikt 1972-1976" etwas unglücklich, weil sie nicht erkennen lässt, dass es sich hier um eine Quellensammlung handelt. Der Titel mag durch eine inhaltliche Besonderheit inspiriert worden sein. Anders als ihre Vorgänger auf dem Botschafterposten widmet sich Nestor in ihren Berichten fast ausschließlich Israels allgemeiner Innen-und Außenpolitik, die damals mehr noch als heute vom Verhältnis zum arabischen Umfeld bestimmt wurde. So gut wie nie behandelt die Diplomatin Fragen der österreichisch-israelischen Beziehungen. Die Herausgeber schließen nicht aus, dass für diese Leerstelle schlicht eine Lücke in der Aktenüberlieferung des Außenministeriums verantwortlich ist. Denn gerade in jener Zeit spielte Österreich, unter Kanzler Bruno Kreisky, durchaus eine wichtige Rolle für Israel. Ab 1974 leitete Kreisky eine mehrjährige "Fact Finding Mission" der Sozialistischen Internationale im Nahen Osten. Für viele Israelis war Kreisky eine Reizfigur, profilierte er sich doch unter den westeuropäischen Regierungschefs als Vorreiter einer Anerkennung von Arafats PLO. Selbst jüdischer Herkunft, bekannte er offen, ein Gegner des Zionismus zu sein. Von einer solchen Haltung findet sich nichts in den Lageeinschätzungen, die Nestor regelmäßig nach Wien schickte. Bei den abgedruckten 101 Berichten handelt es sich um nüchtern-ausgewogene Analysen. Empathisch und distanziert zugleich erläutert Nestor die Sichtweisen der israelischen Seite. Ihre Texte stecken voller tagesaktueller Details, lassen aber gleichzeitig die großen Entwicklungslinien im Nahostkonflikt sichtbar werden. Dominierendes Ereignis von Nestors Botschafterzeit war der Yom-Kippur-Krieg. Im Oktober 1973 wurde Israel durch einen Angriff ägyptischer und syrischer Truppen überrascht. Die israelische Armee konnte den SEHEPUNKTE -Druckversion: Rezension von: Israel und der Nahos...