Grenzverhandlungen: Zu Narrativen des Posthumanen in Katja Brandis und Hans-Peter Ziemeks "Ruf der Tiefe (original) (raw)

"die ganze Mensch- und Tiergemeinschaft überblicken" – literarische Grenzverhandlungen des Humanen bei Franz Kafka

Studia Germanica Gedaniensia, 2019

Kafkas hybride Tierfiguren stehen in einer höchst vielschichtigen Gemengelage von zeitgenössischen Debatten und Diskursen. Sie werden jeweils mittels spezifisch literarischer Darstellungsformen verarbeitet. In der dekonstruktiven Verunsicherung der Mensch-Tier-Grenze und der Schaffung von Schwellenräumen machen Kafkas Texte Anleihen bei der Romantik. Der Beitrag fokussiert insbesondere Kafkas kreative Umschriften phantastischen Erzählens und romantischer Ironie. Kafka's hybrid animal figures are situated in a complex set of contemporary debates and discourses always modified through specific literary presentation forms. In the deconstructive questioning of the human-animal frontier and the creation of threshold spaces, Kafka's texts refer to the Romantic tradition. In particular, the article focuses on Kafka's creative transcriptions of fantastic narration and romantic irony.

Das „Anschluss“-Pogrom in den Narrativen der Opfer

„Anschluss“: März/April 1938 in Österreich, 2010

Im Zusammenhang mit den Übergriffen und Demütigungsritualen gegenüber der jüdischen Bevölkerung im Zuge des "Anschluss"-Pogroms werden im öffentlichen Diskurs oft einseitig stereotype Opferbilder perpetuiert. Die Stimme der Juden und Jüdinnen als Handlungsträger kommt dabei zumeist nicht zum Tragen. In diesem Beitrag soll die Perspektive der Opfer im Mittelpunkt stehen, wobei anhand autobiographischer Quellen unterschiedliche Narrative aufgezeigt sowie auch Gender Aspekte berücksichtigt werden. Die pogromartigen Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung setzten bereits in den ersten Tagen und Stunden nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Österreich ein. Neben willkürlichen Verhaftungen und Plünderungen waren es vor allem die berüchtigten "Reibpartien", welche von der jüdischen Bevölkerung als traumatisch erlebt wurden. Juden und Jüdinnen wurden gezwungen, mit Bürsten und zum Teil bloßen Händen, die mit Ölfarbe angebrachten Parolen der Schuschnigg-Regierung mit scharfer Lauge abzuwaschen. Die Tatsache, dass diese Demütigungsrituale stets durch eine Ansammlung an Schaulustigen begleitet wurden, war für die Objekte dieser Volksbelustigung oft "qualvoller als die ihre Hände zerstörende Lauge, denn sie zerstörte ihre Menschenwürde", wie Herbert Rosenkranz ausführt, der die Geschehnisse nicht nur als Historiker, sondern auch als Zeitzeuge analysiert. 1 Die Ausschreitungen der März-und Apriltage, die zum Teil auch bis weit in den Mai hinein andauerten, zeichneten sich durch ein umfangreiches Repertoire an Demütigungen aus. Neben dem so genannten "Turnen", bei dem vorwiegend ältere Menschen bis zur Erschöpfung Exerzierübungen verrichten mussten, wurden jüdische Männer und Frauen auch gezwungen, sich Schilder mit antisemitischen Inhalten umzuhängen, die zum Boykott jüdischer Geschäfte aufriefen, oder wurden dazu genötigt, die Auslagen von jüdischen Lokalen mit der Aufschrift "Jude" zu versehen. Diese Demütigungsrituale, die von der jüdischen Bevölkerung als Zivilisationsbruch erlebt wurden, verdeutlichen die Recht-und Schutzlosigkeit, der 1 Herbert Rosenkranz, Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Österreich 1938--1945, Wien (1978), 22. 2 Juden und Jüdinnen sprichwörtlich über Nacht ausgesetzt waren. Dieser Aspekt stellt einen bedeutenden Unterschied zur nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland dar, wo die Diskriminierungen gegen die jüdische Bevölkerung erst nach und nach einsetzten und zu keinem Zeitpunkt ähnliche Begeisterungsstürme auslösten. Erzählungen über deutsche Wehrmachtssoldaten, die etwas betreten die antijüdischen Exzesse der österreichischen Nationalsozialisten verfolgten und hin und wieder sogar schützend eingriffen, sind daher nicht nur in den Bereich der Mythen einzuordnen, sondern finden sich tatsächlich auch in einer Reihe von Lebenserinnerungen und zeitgenössischen Berichten. 2 Die so genannten "Reibpartien" waren ein spezifisch österreichisches Phänomen, wobei sie auch eine Referenz zu Praktiken des christlichsozialen Ständestaates darstellten, wo "illegale" Nationalsozialisten, die beim "Schmieren" nationalsozialistischer Parolen erwischt worden waren, diese selbst wieder abreiben mussten. 3 Die Tatsache, dass dies jedoch eine völlig andere Dimension der Erniedrigung darstellte als die willkürlichen Demütigungsrituale der späteren Machthaber, muss an dieser Stelle nicht extra betont werden. Diese spezifische Note des österreichischen Nationalsozialismus wurde auch in internationalen Medien erfasst. Die New York Times berichtete bereits am 23. März 1938, dass es in 14 Tagen gelungen sei, die jüdische Bevölkerung einem unendlich härteren Regime zu unterwerfen, als es in Deutschland in einem Jahr erreicht wurde, während das britische "News Chronicle" einen Bericht vom 17. März 1938 mit "Schreckensregime in Wien" betitelte. 4

Wege aus dem Dazwischen: Erzählschemata und Identitätsverhandlungen bei Julya Rabinowich

In: J. Fuchsbauer, W. Stadler, A. Zink (Hg.): Kulturen verbinden - Connecting Cultures - Сближая культуры. Festband anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Slawistik an der Universität Innsbruck (= SLAVICA AENIPONTANA 16), Innsbruck University Press, 2021, S. 323-347. , 2021

Julya Rabinowich's novels, six of which have been published so far, are connected by structural and thematic constants, which will be analysed in my contribution. Among the most important of these are fairy tales and methods of trauma therapy, which the author uses as basic literary devices. The root of the trauma to be dealt with can be traced back to the patriarchal system which impedes the emancipatory steps of the female main characters. The migrant background which makes up the setting in several of Rabinowich's novels is likely to worsen the crises. Consequently, latent or rather tabooed contrasts between cultures, generations, and genders come to a head and get the protagonists into severe conflicts. Only an awareness of the trauma can liberate this “in-between” situation. In the end, this initial step opens the way to coping with trauma by means of matriarchal concepts the strength of which is to reconcile seemingly irreconcilable things.

Vorgetäuschte Grenzerfahrung? Die Tür im ersten Kapitel von Kafkas "Der Proceß".

In diesem Essay wird gezeigt, wie die Türen im ersten Kapitel von Kafkas Roman "Der Prozeß" konstitutiv sind für die Grenze, die durch die Einnahme der Räume durch das Gericht entsteht. Im Verlauf der Handlung zeigt sich, dass K. nicht in der Lage ist, diese Grenze zu überschreiten und in sein altes Leben zurückzukehren. Die diskursiv und strukturell konstituierte literarische Wirklichkeit des Romans lässt das nicht zu; das Gericht erkennt die Grenze nicht an.

"Das Subjekt am Grenzübergang: Terezia Moras ,STILLE. mich. NACHT" und Yoko Tawadas ,Das Leipzig des Lichts und der Gelatine"

Zeitschrift für deutsche Philologie, 2010

This article sets out to investigate the way in which historically specific border concepts come into play at border crossings, affecting not only the crossing, but also those who cross and their physical borders. The stories «STILLE. mich. NACHT" by Terezia Mora and "Das Leipzig des Lichts und der Gelatine" by Yoko Tawada both address the fall of the Iron Curtain in 1989. These stories by authors living in Germany, but originating from Hungary and Japan, respectively, are not part of the established canon of post-Wende literature. They both show a distinctly slippery relationship to historical events and they relativize the very notion of a border, letting the border post become a border region. They feature very different protagonist-narrators and settings: A male border guard on the Hungarian-Austrian border functions as protagonist and narrator in Mora's story, while Tawada's story is about a presumably female border crosser and author on her way to Leipzig, who initially waits at a customs post in Berlin. These differences can be related to their gendered subjectivities, with the male narrator held captive by the border and the female narrator gaining the possibility of creative productivity through partial de-subjectification. In conclusion, the article shows that the border concepts involved affect not only border crossing, national identity, subject and body, but also writing itself.

Vielartige Kompliz*innen – posthumane "Partners in Crime" bei Olga Tokarczuk und Saša Stanišić

Studia Germanica Posnaniensia

Um über Beziehungen zwischen Menschen und mehr-als-menschlichen Anderen nachzudenken, sind post-anthropozentrische Werkzeuge nötig. Alternative Modelle von Kollektivität müssen von vornherein auf heterogene Akteur*innen ausgelegt sein, um den interspezifischen Verwobenheiten und Interdependenzen unserer postmodernen Welt gerecht zu werden. In Saša Stanišićs Erzählung Fallensteller und in Olga Tokarczuks Roman Der Gesang der Fledermäuse gehen menschliche und mehr-als-menschliche Protagonist*innen außergewöhnliche Beziehungen miteinander ein. Diese werden hier unter Zuhilfenahme von Gesa Ziemers Theorie zu Kompliz*innenschaft als Multispecies-Kompliz*innenschaften analysiert. Dieser neue Blick auf mehr-als-menschliche Zusammenarbeit soll über die Literaturwissenschaft hinaus die Möglichkeit bieten, vielartige Kollektive zu erforschen.