Carolin Duttlinger, Lucia Ruprecht, Andrew Webber (Hg.): Performance and Performativity in German Cultural Studies (original) (raw)
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Berliner Journal für Soziologie, 2020
Der Begriff der Performativität hat in den Sozial-und Kulturwissenschaften der letzten Jahre eine beachtliche Karriere aufzuweisen, bleibt aber inhaltlich oftmals unbestimmt. Gleiches gilt für den proklamierten Performative Turn. Ausgehend von aktuellen Debatten um das Performativitätskonzept, wie sie etwa im Anschluss an die Schriften von Karen Barad und Michel Callon geführt werden, sollen diese Diskussionen im Beitrag genauer sortiert und einer kritischen Reflexion unterzogen werden. Er beginnt zunächst mit einer Rekonstruktion der Sprechakttheorie von John Austin und der kulturwissenschaftlichen Aneignung des Begriffs der Performativität, bevor er sich anschließend eingehender der soziologischen Theorie zuwendet. Im Fokus stehen hierbei Pierre Bourdieu und Judith Butler, die als Gegenpositionen zu Barad und Callon begriffen werden können. Um die Differenz dieser beiden Varianten des Performative Turns genauer zu fassen, wird schließlich mithilfe neuerer Medientheorien zwischen zwei maßgeblichen Theoriemodellen unterschieden: einem sprachtheoretischen und einem medientheoretischen. Dadurch ist es möglich, Missverständnisse und Ungenauigkeiten in der bisherigen Auseinandersetzung aufzudecken und den Innovationsgehalt sowie die Schwachstellen der unterschiedlichen Positionen genauer abzuschätzen.
Vortrag auf der Großen Mommsen-Tagung: Die Altertumswissenschaften und die Cultural Turns https://www.mommsen-gesellschaft.de/veranstaltungen/programm Im deutschsprachigen Bereich war ich vor fast einem Viertel Jahrhundert einer der ersten deutschsprachigen Gräzist*innen, die auf dem Feld der klassischen und archaischen griechischen Literatur sowie in der Forschung des Liebesromans den kulturwissenschaftlichen Paradigmenwechsel vollzogen haben. Zunächst plane ich einen kurzen Rückblick auf die Zeit des methodischen Aufbruchs und die nach 2000 bald einsetzende berechtigte Kritik an erneuten methodischen Vereinseitigungen. Dem Einwand der sachinadäquaten Anwendung einer von außen übergestülpten Theorie-“Turneritis” wird entgegnet, dass die Texte der griechischen Archaik und Klassik aufgrund ihres Status als weitgehend noch von Mündlichkeit geprägte Literatur in statu nascendi gerade durch den kulturwissenschaftlichen Blick auf ihre Performativität und mythisch-rituelle Poetik historisch verständlich werden können. Aufgrund des spät erfolgten Medienwechsels zur dominanten Schriftlichkeit einer Lese- und Buchkultur tun die neuen Analysekriterien unter Absehung ihres zeitbedingten sozio-politischen Überbaus der 1970er Jahre der Kultur des “nächsten Fremden” (Uvo Hölscher), die durch ein reiches Aufführungswesen von Liedern und Inszenierungen geprägt ist, also keine Gewalt an, sondern sind vielmehr mit ihren spezifischen Gegebenheiten kompatibel. Anhand ausgewählter Beispiele plane ich, einige Perspektiven und Ansätze sowie die Folgen für die konkrete Deutung vorzustellen. Dabei möchte ich den Hauptakzent auf die Performance, hier speziell auf den neuen Zweig der Erforschung der choreia in Verbindung mit den anderen kulturwissenschaftlichen Faktoren legen, wobei die wechselseitige Verbindung von bedeutsamen literarischen Texten, insbesondere des griechischen Dramas, aber auch des homerischen Epos und der frühgriechischen Lyrik mit dem die Gesellschaft beherrschenden Megadiskurs von Mythos und Ritual ständig berücksichtigt werden muss. Zunächst fasse ich die Ergebnisse der Studie Der Chor in der Alten Komödie zusammen, die mithilfe der Sprechakttheorie John Austins den Wechsel vom linguistic zum performative turn vollzog. Auf der Grundlage der Performativität und Ritualität sowie der Wende zur bildlichen Symbolik lieferte sie Anstöße, die Forschung zum Chor auf eine neue Grundlage zu stellen. Danach wird anhand des Endes des 24. Gesangs der Ilias kurz gezeigt, wie der Fokus auf die Performance selbst im Rhapsodenvortrag und in der monodischen Lyrik die Verarbeitung der choreia als omnipräsentes pattern nachweisen lässt. Insgesamt lassen sich auch ein bildlicher und räumlicher Ansatz in der Gräzistik unter das Dach des performative turn stellen, wobei man den Spezifika einer mündlich geprägten Literatur gerecht werden kann. Anhand kurzer Beispiele aus Homers Odyssee, Aischylos’ Orestie und Sieben sowie Aristophanes’ Lysistrate versuche ich Eindrücke zu vermitteln, wie kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Bildlichkeit, Emotionssteuerung, Performance, Raumfragen, mental mapping und der Blick auf konkrete Festabläufe unser Verständnis grundlegend verändern und ganz neue Sinnebenen freilegen können. Im Rückblick kann man feststellen, dass mit diesen innovativen Ansätzen der Gräzistik der Anschluss zu anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen gelang. Zugleich wurde der Weg zu transdisziplinärer Forschung im Verbund mit Doktoratsprogrammen und anderen Netzwerken geebnet. An zahlreichen Orten wurden neue Studiengänge wie Kulturwissenschaft der Antike aufgebaut und interdisziplinäre Graduiertenschulen, SFBs und Cluster eingerichtet, in denen die Gräzistik auf der Basis dieser bahnbrechenden Neuorientierung eine wichtige Rolle spielt.
Politiken des Performativen. Judith Butlers Theorie politischer Performativität
Posselt, Gerald / Schönwälder-Kuntze, Tatjana / Seitz, Sergej (Hg.): Judith Butlers Philosophie des Politischen: Kritische Lektüren. Bielefeld: transcript 2018, 45-70, 2018
Die amerikanische Schriftstellerin Toni Morrison beginnt ihre Dankesrede für die Verleihung des Literaturnobelpreises 1993 mit einer eindringlichen Parabel über die Macht der Sprache und die wesentliche Körperlichkeit menschlichen Sprechens: Eine blinde, alte Frau, die für ihre Weisheit berühmt ist, wird eines Tages von einigen Kindern aufgesucht, die sich zum Ziel gesetzt haben, sie bloßzustellen, indem sie sich ihre Blindheit zunutze machen. Ein Kind stellt sich vor die blinde Frau und fordert sie auf zu raten, ob der Vogel, den es in seinen Händen hält, tot oder lebendig sei. Nach einigem Zögern antwortet diese: »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob der Vogel, den du in deiner Hand hältst, tot oder lebendig ist. Aber ich weiß, dass es in deiner Hand liegt. Es liegt in deiner Hand.« (Morrison 1993) Judith Butler nimmt diese Parabel in Haß spricht. Zur Politik des Performativen zum Anlass, um über das komplexe Verhältnis von Sprechen und Handeln, von Sprache und Körper, von Sprechen als einer konstativ-kognitiven Tätigkeit und Sprechen als einem performativen Akt nachzudenken. Dabei unterstreicht Butler, dass die blinde Frau die Frage nicht direkt beantwortet; vielmehr antwortet sie, »indem sie die Frage zurückweist und verschiebt« (HS: 17). Damit macht die Antwort auf eine Reihe von Aspekten im Sprechen aufmerksam, die in der Regel ausgeblendet bleiben: die körperliche Verfasstheit des Sprechens, die Verantwortung, die mit jedem Sprechen einhergeht, sowie die Sprech-und Handlungsmöglichkeiten, die sich ergeben, sobald wir die Abhängigkeit von anderen und die Verletzbarkeit durch andere anerkennen.
Paradigma: «Bis in die späten achtziger Jahre hinein herrschte in den Kulturwissenschaften ein Verständnis von Kultur vor, wie es in der Erklärungsmetapher «Kultur als Text» zum Ausdruck kommt. […] Die Aufgabe der Kulturwissenschaften bestand nach diesem Verständnis von Kultur vor allem darin, Texte […] zu entziffern und zu deuten […]. In den neunziger Jahren bahnte sich ein Wechsel der Forschungsperspektiven an. Nun traten die bisher weitgehend übersehenen performativen Züge von Kultur in den Blick, die […] den erzeugten kulturellen Handlungen und Ereignissen einen spezifischen vom traditionellen Text-Modell nicht erfassten Wirklichkeitscharakter verleihen. Die Metapher von «Kultur als Performance» begann ihren Aufstieg» (Fischer-Lichte, E., Ästhetik des Performativen, Suhrkamp, 2004, S. 36). Performative Wende als anti-hermeneutisches Paradigma: «Selbst wenn das Wort performativ also «keine […] großartige Bedeutung» haben mag, so hat es gleichwohl eine beachtliche 40-jährige Wortgeschichte hinter sich gebracht, die heute nachgerade dazu einlädt, eben dieses Wort noch einmal in Augenschein zu nehmen […] Dass, wie Austin sagt, das Wort «nicht tief» klinge, mithin wohl keine «tiefere Bedeutung» suggeriert, spricht nicht gegen diese Befragung; vielmehr weist der Mangel an (bedeutsamer) Tiefe selbst auf jenen seinerseits fundamentalen, wenngleich antihermeneutischen Gestus, den genau es zu untersuchen gilt.» (Hülk, W., «Paradigma Performativität?» in Erstić, M., Schuhen, G., Schwan, T. (Hrgs.): Avantgarde -Medien -Performativität. Inszenierungs-und Wahrnehmungsmuster zu Beginn des 20. Jahrhundert, Transcript, 2005, S. 1). Fazit: Hermeneutik als nicht-performatives, d.h. als Paradigma betrachtet, das unfähig ist, «performative Züge von Kultur» zu erklären.
Theorien des Performativen: Sprache-Wissen-Praxis; eine kritische Bestandsaufnahme
2009
Das »Performative« ist in den vergangenen Jahren [2009] zu einer festen Größe im Theorierepertoire der Geisteswissenschaften geworden. Seine nachgerade ubiquitäre Verwendung verdankt sich dabei vielfach einem wenig präzisen Verständnis, das – teilweise gegenstrebige – Aspekte von Performanz, Wirklichkeitskonstitution, Emergenz und Präsenzeffekten verbindet. Dieser Band zieht eine kritische Bilanz, ohne dabei ein bestimmtes Verständnis zu verabsolutieren. Die Beiträge bereiten das aktuelle Theoriefeld erstmals so auf, dass es einem breiteren, interdisziplinären Leserkreis zugänglich wird.
2024
Over the last 50 years, social science knowledge has spread and became an integral part of contemporary societies. In addition to their findings, however, the basic theoretical concepts of these disciplines have also spread. In various areas of society, theoretical knowledge is a resource for actors to guide production processes. Thus, theories not only provide descriptions of the social, but also have "performative" effects. This Open Access publication focuses on cultural production and shows what conditions have led to the use of theoretical concepts outside of academia, how the theories are applied in processes and what changes result from this. The publication first presents a conceptual and methodological framework, before an empirical study of an art world provides detailed insights into the ways in which social science theories are used. Through the performativity of theories and its different aspects, it is shown how cultural production has come to occupy a central position in contemporary societies.