Philosophische Reflexionen zur Postdemokratie mit Jacques Rancière. (original) (raw)

Zur politischen Philosophie Jacques Rancières

A short essay outlining the principles of Rancière's political philosophy, especially in his major works like 'Disagreement', 'Ten Theses on Politics' oder 'The Politics of Aesthetics'.

Kritik der Postdemokratie. Rancière und Arendt über die Paradoxien von Macht und Gleichheit 2011

Leviathan, 2011

Der Artikel vergleicht Jacques Rancières Konzept der Postdemokratie mit Hannah Arendts Kritik der parlamentarisch-repräsentativen Mehrheits-Demokratie. Es wird gezeigt, dass beide ein Verständnis von Demokratie im Sinne einer souveränen, konsensorientierten Volksherrschaft ablehnen, das dem politischen Streit keinen Eigenwert bemisst und tendenziell technokratisch ist. Mit Arendt und über Rancière hinaus entwickelt die Verfasserin ein Konzept der Demokratie, das die Teilung der Macht als unverzichtbares Element der demokratischen Volksherrschaft bestimmt. Entsprechend ist jedes Demokratieverständnis postdemokratisch, das die paradoxen und selbstlimitierenden Effekte der Machtteilung negiert und das Modell souveräner Volksherrschaft als in sich grenzenlos verabsolutiert.

Rancière und die (radikale) Demokratie – eine Hassliebe?

Gleichheit, Politik und Polizei: Jacques Rancière und die Sozialwissenschaften, 2018

Jacques Rancière unterhält einen interessanten wie eigentümlichen Demokratiebegriff, dessen Erschließung eine mehrfache Herausforderung darstellt. Sein Ausgangspunkt ist ein Paradox: Die Demokratie steht nicht im Gegensatz zu etwas anderem, sondern zu sich selbst – als vermeintlich ‚gute demokratische Regierung‘, die das angebliche ‚Übel des demokratischen Lebens‘ ordnen und beherrschen muss. Um diese Eigentümlichkeit zu ergründen, wird zunächst das ungewöhnliche Motiv des ‚Hasses der Demokratie‘ behandelt, das einen Schlüssel zu Rancières Verständnis darstellt. Sodann wird das Verhältnis zu Rancières vielleicht emphatischsten Begriff, der Gleichheit, geklärt. Daraufhin wird der implizite Begriff der radikalen Demokratie beleuchtet und eingeordnet, indem er extern von der Postdemokratie abgegrenzt und intern in postmarxistische, neo-athenische und anarchistische Lesarten unterteilt wird. Schließlich wird der Zusammenhang der Demokratie zu ‚der Politik‘ und ‚dem Politischen‘ hergestellt, was in der Diskussion mündet, ob nicht eines oder mehrere dieser Konzepte überflüssig sind, da sie offenbar ineinander aufgehen. Die aus alledem zu ziehende Konklusion gibt Aufschluss darüber, wie es in Demokratiefragen um Rancières Hass und um seine Liebe bestellt ist, und wo sich beides unentwirrbar zu verknüpfen scheint.

Universalismen zwischen Politik und Polizei. Jacques Rancière in der Postkolonie

Staatskritik und Radikaldemokratie, 2020

Am 17. Oktober 1961 erklang der Ruf nach Algeriens Unabhängigkeit auf den Straßen von Paris. Zu Tausenden waren Demonstrant*innen gekommen, um ihre Solidarität mit dem Front de Libération Nationale (FLN) zu bekunden. "Dreißig, vierzigtausend Algerier*innen kamen plötzlich aus dem Boden geschossen, von den Grands Boulevards bis zum Quartier Latin, von Concorde bis zur Place de l'Étoile" 1 (Péju et al. 2011, S. 21). Die Demonstrationen erschienen wie ein Befreiungsschlag nach Monaten der Repression in der Metropole und in Algerien-seit 1830 Kolonie und seit 1848 als drei départements unter französischer Herrschaft. 1961 waren im europäischen Teil Frankreichs 22 Polizist*innen durch FLN-Attentate ums Leben gekommen (Brunet 1999, S. 82), woraufhin Mitglieder polizeinaher Organisationen mindestens 173 algerische Aktivist*innen ermordeten (Brunet 1999, S. 137f.). Am 6. Oktober verhing der Polizeipräsident von Paris, Maurice Papon, eine Ausgangssperre, die sich explizit gegen "muslimische Französinnen und Franzosen aus Algerien" richtete (Brunet 1999 S. 164ff.). Als elf Tage später Zehntausende auf die Straße gingen, geschah dies als Akt des zivilen Ungehorsams gegen diese rassistische Maßnahme. Aber die Grausamkeit der Polizei übertraf alle Befürchtungen: Sie kam in Form von Schüssen, von "dutzenden Toten, vielleicht zwischen 150 und 200" (Seelow 2011), über 12.000 Festnahmen (Brunet 1999, S. 254) und unzähligen Folteropfern in der Hauptstadt des französischen Kolonialreichs. Auch weite Teile der französischen Öffentlichkeit erlebten das Massaker vom 17. Oktober 1961 als einen Schock-darunter auch der 21-jährige Pariser Philosophiestudent Jacques Rancière, geboren als Sohn französischer Siedler in Algier. Unter dem Titel La cause de l'autre (Das Anliegen des Anderen) widmete er sich Jahrzehnte später den Ereignissen von 1961. Anlass für die bei Rancière seltene autobiographische Auseinandersetzung war die Konferenz France-Algérie. Regards croisés, die 1995 in Paris von Françoise Proust und Sidi Mohammed Barkat organisiert worden war (Rancière 1998, S. 256). 2 Rancière (1998, S. 202) misst dem 17. Oktober 1961 nicht nur deshalb eine entscheidende Bedeutung bei, weil sich an diesem Tag 1 So berichtet die kommunistische und anti-koloniale Aktivistin Paulette Péju. 2 Soweit nicht anders angegeben sind alle Übersetzungen aus dem Französischen und Englischen meine eigenen. Hierbei habe ich, wo dies der Sinngehalt der Originalzitate zuließ, eine geschlechtergerechte Sprache gewählt.

Die Politik als Emanzipation: Ein Kommentar zur Antigone aus der Sicht Rancières

2013 World Congress Proceedings Vol. 69, Political Philosophy

Die Frage, wie man das Politische definieren kann, ist eine der wesentlichen Fragen der gegenwärtigen politischen Philosophie: Was macht eine Handlung oder eine Idee „politisch“ oder „unpolitisch“? Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst bestimmt werden, was das Politische von der Politik unterscheidet. Seit Carl Schmitt gibt es verschiedene Kriterien für diese Unterscheidung. Letztlich hat Jacques Rancière „das Politische“ als Antagonismus zwischen Politik und Polizei definiert und behauptet, ähnlich wie der Ansatz der politischen Anthropologie, dass die Politik außerhalb des Staates möglich ist. In diesem Zusammenhang ist Sophokles’ Tragödie Antigone problematisch, denn es gibt zahlreiche Kommentare, die Antigones Handeln „unpolitisch“ nennen. In diesem Beitrag werde ich versuchen zu zeigen, dass Antigones Position nicht „unpolitisch“ genannt werden kann. Am Schluss werde ich aus der Sicht Rancières erläutern, warum Antigones Handeln „politisch“ ist und wie Politik als Emanzipation und Gleichheit möglich sein kann.