Die Gottlosen laufen im Kreis. Sebald Behams „Bauernfest“ oder „Die Zwölf Monate“ in neuer Deutung, in: Jürgen Müller & Thomas Schauerte (Hg.): Die gottlosen Maler von Nürnberg. Konvention und Subversion in der Druckgrafik der Beham-Brüder (Ausst.-Kat. Dürer-Haus Nürnberg), Berlin 2011, S. 88-97. (original) (raw)

Die Figur des Bauern ist ein alter Zankapfel der Kunst geschichte. Vor allem in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde erbittert um das angemessene historische Verständnis von Bauerndarstellungen der Frühen Neuzeit gestritten, ohne dass eine konsensfä hige Position erreicht worden wäre. 1 Die Druckgrafik der Beham-Brüder, vor allem ihre Darstellungen von ausgelassenen Bauernfesten, stand dabei immer wieder im Zentrum der Auseinandersetzung, so dass sich die paradigmatischen Positionen dieser Debatten an ihrem Beispiel nachzeichnen lassen. Aus marxistischer Perspektive wurde die zuneh mende Bildwürdigkeit des Bauern als Ausdruck der gesellschaftlichen Emanzipation des Bauernstandes und mithin der revolutionären S olidarität seitens der ausfüh renden Künstler gedeutet. In diesem S inne wurde den Behams vor dem historischen Hintergrund der Bauern kriege eine bauernfreundliche Haltung unterstellt, die sie in ihrer Kunst immer wieder artikuliert hätten. 2 In scharfem Widerspruch hierzu steht die Auffassung, die Darstellungen feiernder Bauern seien als Kritik an den S itten und Bräuchen der Landbevölkerung und somit als beißende Moralsatiren zu interpretieren. Der Bau erngrafik kommt aus diesem Blickwinkel vor allem die Funktion zu, einem städtischen Publikum vor Augen zu führen, wie man sich nicht zu verhalten habe und damit die bestehende soziale Hierarchie zu stützen. 3 Gegen die marxistisch inspirierte Behauptung, die Bildwerdung des Bauern entspringe einem unmittelbaren Bedürfnis einer aufstrebenden Bevölkerungsschicht nach Repräsenta tion, wurden zudem mit gutem Recht literarische und ikonografische Traditionen geltend gemacht, die zeigen, dass der Bauer im Bild keineswegs direkt den Bauer auf dem Felde widerspiegelt, sondern fast immer auf andere Bilder rückzuführen ist. 4 Die Behamschen Bauernbilder wären demzufolge nicht als originärer Ausdruck der Welt anschauung ihrer Entwerfer zu deuten, sondern als S pie gel einer den Darstellungen vorgängigen Moral, die dem elitären Wertesystem einer städtisch-humanistischen Rezipientengruppe entspringt. Gegen ein solches mora lisierendes Verständnis des Bauerngenres wurde wie derum eingewendet, dass die ausschweifenden Bauernfe ste von Humanisten des 16. Jahrhunderts durchaus auch positiv gewertet wurden. 5 Nach der Wiederentdeckung von Tacitus' Germania, einer S chrift, in der die exzessi ven Festgebräuche der alten Germanen beschrieben sind, hätte man das Trinkgebaren der Bauern als ebenso typi schen wie liebenswürdigen Charakterzug der Deutschen zu schätzen gelernt. Die Behamschen Bauernfeste seien demnach als bildliche Feiern eines ursprünglichen und vitalen Bauern-und Deutschtums zu verstehen. Die hier in groben Zügen referierten Forschungspo sitionen könnten in ihrer Einschätzung der Fünktion des Bauern in der Druckgrafik des 16. Jahrhunderts kaum unterschiedlicher ausfallen. Einmal erscheint er als Held der frühbürgerlichen Revolution, einmal als didaktisches Negativexempel und schließlich als S innbild deutschen Nationalstolzes. Doch so unterschiedlich diese Positio nen auch sein mögen, sie alle verstehen die Bauerndar stellungen nicht zuletzt als bildliche Kommentare zum Bauernstand. Insofern entsteht der Anschein, das wich tigste Ziel jeder Interpretation sei die Beantwortung der Frage, ob im jeweiligen Fall in positiver oder negativer Weise zum Bauerntum S tellung genommen wird. In der Folge wird den Bauerndarstellungen dann entweder eine affirmativ unterhaltende Funktion zugesprochen, die den Betrachter zur amüsierten Identifikation einlädt, oder es wird eine kritisch moralisierende Funktion behaup tet, bei der die Bauern als abschreckende Beispiele für lasterhaftes Verhalten dienen. Doch was, wenn es in den Bildern überhaupt nicht in erster Linie darum geht, die Bauern entweder verächtlich zu machen oder in ihrer wunderbaren Vitalität zu loben? Was, wenn die Bauern überhaupt nicht das eigentliche Thema sind, sondern nur Medium für eine ganz anders geartete Botschaft? Am Bei spiel einer späten S tichfolge S ebald Behams soll im Fol genden gezeigt werden, dass die Frage, ob die Bauern hier gepriesen oder gescholten werden, zu kurz greift. Dage gen gilt es, die konkrete Gestaltung von Behams Zyklus so ernst zu nehmen, dass dieser als intelligenter Bildbei trag zu hochaktuellen Kontroversen erkennbar wird. S ebald Behams S tichfolge Das Bauernfest oder Die zwölf Monate aus den Jahren 1546 und 1547 stellt auf zehn durchgehend nummerierten kleinformatigen Blättern ein Bauerntanzfest und dessen offenbar unvermeidliche Begleiterscheinungen dar. 6 Die ersten sechs Stiche zeigen jeweils zwei Bauernpaare beim teils verhaltenen, teils ausgelassenen Tanz. Die energetischen Figuren zeichnen Originalveröffentlichung in: Müller, Jürgen (Hrsg.): Die gottlosen Maler von Nürnberg : Konvention und Subversion in der Druckgrafik der Beham-Brüder [Ausstellungskatalog], Emsdetten 2011, S. 88-97