Vortrag: Popkultur - Kritik - Protest (original) (raw)
Pop vs. the people? Spaltungsdiagnosen und Moralisierungskritiken
Ralf von Appen, Sarah Chaker, Michael Huber, Sean Prieske (Hg.), "Parallelgesellschaften" in populärer Musik? Abgrenzungen, Annäherungen, Perspektiven (=GFPM Beiträge zur Popularmusikforschung 48 und ~Vibes - The IASPM D-A-CH Series 3), Bielefeld: transcript, S. 33-58., , 2024
Using the examples of three recent songs (and the discourses surrounding them) from Germany and the UK – DJ Robin & Schürze’s „Layla“, Frank White and Bass Sultan Hengzt’s „Cancel Culture Nightmare“ and FKA Twigs’s „Don’t Judge Me“ – this chapter investigates how pop musicians comment upon and contribute to discussions of today’s cultural and sociopolitical „cleavages“ with implicit or explicit statements about the role that morality should play in popular entertainment and politics. It argues that contemporary pop culture is characterized by a tension between the habitual anti-moralism of informal life and a critical politicization of the seemingly private and mundane. Situating these matters within a neo-Gramscian „war of position,“ this chapter shows that the often-described opposition between anti-moralists and moralizers is too simplistic. Rather, we find different types of pop-cultural anti-moralism implying different ethical and political positions with radically different consequences: The traditionalist (often hedonistic, sometimes sociological and self-described „realist“) variant opposes critique and interventions based on „universalistic“ morality, ethics or politics, whereas the anti-traditionalist (antiracist, feminist) version detects and scandalizes sedimented moral normativity. Both forms of anti-moralism share traits and have specific ambiguities, as this analysis shows, but they contribute to different hegemonic projects and draw different „frontier“ lines (Laclau). On a conceptual level, this chapter shows that the notion of the popular (in its different German translations as popular and populär) is indispensable because it contains the tensions that come to the fore in conflictual cultural negotiations like these.
Von Kultur zu reden war immer schon wider die Kultur." Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung 1944, S.139 Durch diese Feststellung verdeutlicht Theodor W. Adorno in der "Dialektik der Aufklärung", erstmals 1944 erschienen, das Dilemma, das sich ergibt, wenn man über Kultur reden möchte, ohne deren bereits bestehenden Formen der kulturindustriellen "Katalogisierung und Klassifizierung"(Adorno: 1944, S.139) zu reproduzieren. Die Kultur in der kapitalistischen Gesellschaft, so Adorno, liegt in dialektischer Weise als Warenform vor und repräsentiert die materialistischen Produktions-und somit auch Gesellschaftsverhältnisse. Sie wird, vor allen anderen Überlegungen, als Ware zum Verkauf produziert und jegliche potentielle Autonomie der Kultur wird im Verwertungsprozess beseitigt.(Grimm: 2009, S.66) Horkheimer und Adorno versuchten, neben anderen Vertretern der sogenannten Frankfurter Schule, wie zum Beispiel Herbert Marcuse, die marxistische Gesellschaftstheorie aus ihrer dogmatischen Versteinerung zu lösen. Im Bereich des Begriffs der Kultur wenden sich Adorno und Horkheimer von dem bis dahin geläufigen Begriff der Massenkultur ab und ersetzen ihn durch den Begriff der Kulturindustrie.(Grimm 2009, 64) Diese These der industriellen Produktion und Verwertung von Kultur soll nun in vorliegender Hausarbeit thematisiert werden. Konkreter gesagt, möchte ich zeigen, inwiefern sich die Kulturindustriethese Adornos auf den Begriff der Popkultur anwenden lässt und welchen Beitrag die theoretischen Annahmen der Cultural Studies hierbei leisten können, bzw. inwieweit sie sich von den Annahmen der kritischen Theorie kontrastieren lassen. Hauptsächlich werde ich hierbei auf die Kulturtheorie und die Rezeption der Popkultur bei Stuart Hall und John Fiske eingehen um somit eine sich ergänzende Darstellung der Begriffe im Rahmen der Cultural Studies zu ermöglichen. Der Vergleich von Kritischer Theorie und Cultural Studies scheint mir deshalb analytisch sinnvoll, da beide "häufig in kulturtheoretischen Zusammenhängen erscheinen" (Jacke: 2004) und, zumindest für Stuart Hall zutreffend, beide Theorien von einer marxistischen Interpretation der Welt beeinflusst sind.(Winter: 2006 ; Behrens: 1999, 49) Das Ziel dieser 4 Arbeit soll es also sein, die Kulturindustriethese Adornos und die Annahmen der Cultural Studies zu vergleichen um zu diskutieren, ob das was wir heute als Popkultur wahrnehmen, subversive Tendenzen in sich birgt, oder sich in der Totalität der Kulturindustrie auflöst: Es ist die Frage nach der Popkulturindustrie. Diese Frage stellt sich auch deshalb, weil die Begriffe Pop, bzw. Popkultur und Kultur oft synonym gedacht werden(Behrens: 1999, 42) und sich letztendlich auf eine Massenkultur beziehen, die "aus der individualistischen Kultur des 19. Jahrhunderts und den anonymen Arbeitskollektiven des fortgeschrittenen Kapitalismus zusammengewachsen ist"(ebd.). Es wird daher im Verlauf der Arbeit nötig sein, zunächst auf wichtige Grundannahmen der kritischen Theorie und der Cultural Studies einzugehen um daraufhin das Konzept der Kulturindustriethese, sowie die Untersuchung der Popkultur bei Hall und Fiske näher zu beleuchten um schlussendlich die Aktualität der Kulturindustriethese zu erörtern. 5 2.1 -Grundannahmen über Kultur in der kritischen Theorie "...niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein." Walter Benjamin(zit. n. Hesse: 2007) Wenn in der kritischen Theorie der Begriff der Kultur verhandelt wird, so geschieht auch dies aus der zu Grunde liegenden historisch-materialistischen Sicht auf die Welt. Im Anknüpfung an die Marxsche These von der Beziehung zwischen Produktionsverhältnissen und Produktivkraftentwicklung, wird davon ausgegangen, dass die Veränderung und Fortentwicklung beider Sphären in der modernen kapitalistischen Gesellschaft sich in den Lebensweisen niederschlägt und somit auch jenen Bereich verändert, der in der bürgerlichen Gesellschaft als Kultur bezeichnet wird.(Behrens 1999, 40) Kunst und Kultur dienen in der bürgerlichen Gesellschaft auch immer ihrer eigenen Reproduktion, auch im dem sie beispielsweise dem unschönen Dasein einen Anstrich von Schönheit verleiht, es sozusagen erträglich macht.(Hesse: 2007) Aus diesem "Unbehagen über die Kultur"(ebd.) herauszukommen, heißt somit aus den gesellschaftlichen Bedingungen herauszukommen, die dieses Unbehagen verursachen, wobei hier auf die vor allem von Adorno vertretene These hinzuweisen ist, die die Wechselwirkung von Kultur und Gesellschaft betont. (Friedrich: 2008, Kap. 6) Diese Grundannahmen Adornos lassen sich weiterhin in seinen Annahmen über Repräsentation von Musik wiederfinden. So lassen sich , nach Adorno in "großen" Musikstücken Konflikte und soziale Beziehungen erkennen, die die Bedingungen ihrer Entstehung widerspiegeln.(ebd.) Darüber hinaus vermag "große" Musik eine Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse zu artikulieren, als "soziale Kritk durch die künstlerische hindurch"(Adorno: 1975, zit. n. Friedrich 2008, 204) Auf diese Form, der sich in der Kultur niederschlagenden Gesellschaftskritik in der "großen" oder autonomen Kunst, wie sie Adorno nennt, möchte ich im späteren Verlauf näher eingehen. Zusammenfassend sei zu sagen, dass die Frage nach der Kultur in der Kritischen Theorie eng G. Simmel) über den französischen Strukturalismus(C. Lévi-Strauss, L. Altusser) zum Marxismus und der Hegemonialtheorie von Antonio Gramsci.(Winter: 2000, 207) Vor diesem Hintergrund, und vor allem in Anlehnung an Gramsci lässt sich verstehen, das auch für Stuart Hall kulturelle Fragen immer politische Fragen sind.(Winter: 2006) So sei es das Ziel, wenn man sich mit Kultur befasst, aufzuzeigen und zu erforschen, inwiefern kulturelle Prozesse kontextuell in Machtverhältnisse eingebunden sind.(Hecken: 2007, 127) Es bestehe , so Gramsci, ein Hegemonialer Konsens darüber, dass in er entwickelten bürgerlichen Gesellschaft auch die benachteiligten Gruppen ihren eigentlichen Unterdrückern zustimmen müssten, damit das System aufrechterhalten wird.(ebd., 131) Er zweifelt somit das klassisch marxistische Basis-Überbau-Modell an und betont, dass eine Änderung dieses Konsens über die bestehenden Eigentumsverhältnisse möglich ist, in den dieser auf dem Feld der Kultur und der öffentlichen Meinung infragegestellt wird. (ebd., 140) Auch Stuart Hall schließt sich der Ablehnung des Basis-Überbau-Modells an, indem er aus der Interpretation der Texte Marx' schließt, dass die Rückführung eines kulturellen Überbaus auf eine ökonomische Basis nicht haltbar sei, da jede Form von Ökonomismus für ihn eine theoretische Reduktion darstellt.(Winter: 2006, 469). Er stellt diesem Modell das "Encoding-Decoding" entgegen und verdeutlicht so seine These, dass Produktion und Konsum einen Kreislauf darstellen, in dem sich beide Sphären gegenseitig beeinflussen und in der Kultur vermittelt wird.(Winter: 2006, 473) Zudem betrachtet Stuart Hall den Bereich der Kultur als Wie bereits im vorherigen Kapitel dargestellt, ist die sogenannte "Populärkultur" oder "Popkultur" eines der zentralen Analysefelder der Cultural Studies, die es schaffte den Bereich, der zuvor oft als Massenkultur bezeichnet wurde, als legitimen Forschungsgegenstand zu etablieren.(Winter: 2006, 470) Inspiriert durch den russischen Literaturwissenschaftler und Kunsthistoriker Michail Michailowitsch Bachtin(Hecken 2007, 137), widmete sich Stuart Hall der Untersuchung der "Alltagskultur" der Menschen und veröffentlichte 1964 zusammen mit Paddy Whannel The Popular Arts. Eine Untersuchung, die sich durch eine optimistische Haltung gegenüber der Bedeutung der Popkultur für die Gesellschaft auszeichnet.(Winter: 2006, 470) In diesem Werk betonen die Autoren die Möglichkeit der Herausbildung einer Methode zur Bestimmung der Qualität von popkulturellen Artefakten und negieren dabei die These, das Popkultur lediglich zum sittlichen Verfall der Gesellschaft beitrage, da man nicht per se von "guter Hochkultur" und schlechter Popkultur sprechen könne.(ebd.) Die Bedeutung von Popkultur als einer niederen Kultur ist für Hall nur in soweit zulässig, als dass sie sich als einen "authentischen Ausdruck der Kultur der Unterseite" zeigt.(Hecken: 2007, 141) Jedoch lehnt Hall die Annahme ab, die Populärkultur sei ein charakteristischer Ausdruck der Kultur der Arbeiterklasse, da sich popkulturelle Formen nicht klassenspezifisch einordnen lassen.(Winter 2006, 471) Es lässt sich darüberhinaus jedoch eine dichotomische Unterscheidung treffen, indem im Allgemeinen der Populärkultur eine minoritäre Kultur entgegengesetzt wird, wie in anderen Bereichen der Kulturbegriffe, wie zum Beispiel: gebildet vs. ungebildet.(Hepp: 1999, 42) So ist es also nicht eine Frage der Form, nach der sich die Klassifizierung gestaltet, sondern vielmehr eine Frage der Quantität, sodass in diesem Zusammenhang die Beurteilungskriterien, die zwischen "hoher" und "niederer" Kultur unterscheiden und somit Bedeutungszuschreibungen produzieren, einem stetigen gesellschaftlichem Wandel unterzogen sind. In der weiteren Entwicklung der Theorie über die Populärkultur greifen die Autoren der Cultural Studies, vor allem auch Hall, die gesellschafttskritische und sozial kontextualisierte Potential Da ich bisher versucht habe zu erläutern, mit welchen Kulturbegriffen die Denkrichtungen der Kritischen Theorie und der Cultural Studies arbeiten und inwiefern sich der Kulturbegriff zur Gesellschaft verhält, möchte ich nun im folgenden versuchen beide Theorieansätze zu kontrastieren, bzw. Ähnlichkeit herauszuarbeiten. Dies soll anhand der Frage nach der Emanzipationsfähigkeit, die beide Theorien der kulturellen Sphäre in verschiedener Form zuschreiben, geschehen. Wie ich eben bereits erwähnte, bietet für John Fiske, der als Vertreter der Cultural Studies gilt und wie Stuart Hall ebenfalls von Michail Bachtin beeinflusst ist, die Popkultur durchaus als Sphäre der Subversion gegen die herrschende Hegemonie. Fiske betont in diesem Zusammenhang das...
Kultur-Kritik mit spitzer Feder : von Kunst-Moden und 'Bürger-Künstlern
2006
Annette Clamor rückt die "Kultur-Kritik mit spitzer Feder" von Zeichnern wie Cham und Daumier vor allem im "Charivari" in den Blick, öffnet ihn aber auch schon für deutsche Beispiele. Diese "Kritik" liest sich wie der anhaltende Protest der Künstler gegen die bürgerliche Vereinnahmung der Kunst - sei es, daß sich der "bourgeois cultivé" als Kunstkenner geriert und dann als Banause dekuvriert; sei es, daß der moderne Romanfabrikant diesem Spießbürger seine mundgerechte Ware serviert und damit die Literatur insgesamt trivialisiert. In der "Leidenschaft, die Leiden schafft" (Heinrich Heine), der Pianomanie, kommt der bourgeoise Geltungsdrang dann gleichsam zu sich selbst und fordert die Wort-, Bild- und Tonkünstler von Paris bis Wien zu satirischen Invektiven heraus
Kultur - Interdisziplinäre Zugänge, 2018
1 Einleitung – zur Situat ion kultursoziologischer Forschung Kultur in ihren vielfältigen Ausdrucksformen und begriffl ichen Fassungen gilt der Soziologie im Allgemeinen seit jeher als konstitutives Element von Sozialität (vgl. den Beitrag von Hillebrandt in diesem Band), der Kultursoziologie im Speziellen als grundlegende Aspektstruktur allen Sozialen (Rehberg 1986, S. 107, zitiert nach Schäfer, H. 2014, S. 73). Spätestens seit dem cultural turn (Bachmann-Medick 2014) ist die Kultursoziologie wegen ihrer theoretischen Auseinandersetzung mit Sinnzusammenhängen auch zum Bezugspunkt zahlreicher sozial- und geisteswissenschaftlicher Fächer wie den Kulturwissenschaften und den so genannten gouvernemental-, gender-, spacial- oder visuell studies geworden. Auf Grund der Heterogenität der Themen und theoretischen Ansätze wie auch der interdisziplinären Konkurrenz der vielfältigen Formen dieser studies avancierte die Kultursoziologie zur gemeinsamen Klammer und widerstand dabei dem Trend zur Reduktion durch thematische oder theoretische Überspezialisierung. Seit der Neuformierung in den 1980er Jahren nimmt sie im Nachgang der programmatischen Defi nition von Kultur als Aspektstruktur erfolgreich die kulturelle Bedingtheit und Bedeutung des Sozialen in den soziologischen Blick (vgl. Gertenbach 2014, S. 106). Wie Hilmar Schäfer im Anschluss an Stephan Moebius formuliert, liegt das Potential und gleichzeitig die Herausforderung der Kultursoziologie heute vor allem darin, die Ergebnisse der viel frequentierten cultural studies im weitesten Sinne kritisch zu refl ektieren und in einer umfassenden Perspektive auf die kulturelle Dimension des Sozialen hin zusammenzuführen (Schäfer, H. 2014, S. 72). Als Symptom und © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 H. Busche et al. (Hrsg.), Kultur - Interdisziplinäre Zugänge, https://doi.org/10.1007/978-3-658-21050-2\_6 128 Franka Schäfer Kennzeichen des selbstrefl exiven Umgangs der Kultursoziologie mit ihrer eigenen Praxis ist auch das aktuelle Projekt von Tanja Bogusz und Robert Seyfert Die Kultursoziologie geht ins Labor zu lesen, im Rahmen dessen explorative Erhebungen und Workshops zu aktuellen Forschungen in der Kultursoziologie im deutschsprachigen Raum durchgeführt werden. Bogusz und Seyfert schicken die Kultursoziologie auch deshalb ins Labor, um eine Orientierung bringende, konstruktive Bestandsaufnahme zu vollziehen, die thematisch, theoretisch und methodisch heterogene kultursoziologische Forschungsaktivität bündelt. Im Rahmen dieses Aufbruchs der Kultursoziologie im 21. Jahrhundert (Fischer und Moebius 2014) haben sich neuere, am Praxisbegriff orientierte kultursoziologische Ansätze im Anschluss an Bourdieu und die cultural studies vom klassischen, z.T. normativ gefassten Begriff der Kultur im Sinne von Hochkultur gelöst (vgl. den Beitrag von Hillebrandt in diesem Band) und machen den Praxisbegriff zum Ausgangspunkt einer Kultursoziologie, die bereits vor der Aufl adung mit Sinn, Bedeutung oder Sprache einsetzt und Kultur als Werk der Verknüpfung von Entitäten fasst (Gertenbach 2014, S. 111). In solch praxistheoretisch orientierten Kulturverständnissen werden nicht mehr Fragen der Zuschreibung kultureller Werte diskutiert; stattdessen lenken ForscherInnen den analytischen Fokus auf die kulturelle Praxis des Verknüpfens (Gertenbach 2014). Vor allem auf Grund dieser Transformation des Blickes weg von intentional handelnden Akteuren, die Zuschreibungen hervorbringen und Dinge mit Bedeutung aufl aden, entdeckt die praxissoziologische Kultursoziologie langsam aber stetig den praktischen Vollzug von Populärkultur – anstelle seines bloßen Niederschlags – als legitimen Forschungsgegenstand und nimmt hierbei verstärkt die physische Dimension der Verknüpfungsarbeit von Körper-Ding-Assoziationen (Hillebrandt 2014) und deren unübersehbare „propositionale[] Effekte, Widerständigkeiten, Weichenstellungen und Übersetzungen“ (Laux 2011, S. 287, zitiert nach Gertenbach 2014, S. 111) in den forschenden Blick. Die Möglichkeiten und Grenzen dieses Ansatzes, Populärkultur als Praxis zu denken und sich in der empirisch fundierten Theoriearbeit von der kulturellen Alltagspraxis überraschen zu lassen, führe ich anhand zweier Thesen im folgenden Beitrag vor Augen: 1. Im Bereich der methodologischen Konsequenzen steht die am Praxisbegriff orientierte Kultursoziologie vor enormen Herausforderungen. Die Frage nach einem adäquaten Verhältnis von Theorie und Empirie, die sich die Kultursoziologie heute im Allgemeinen stellt, ist der Soziologie der Praxis inhärent.1 Ich 1 Davon zeugt auch die im Jahr 2015 in Kooperation mit dem Netzwerk Empirische Kultursoziologie (NEK) und dem Institut für Kulturwissenschaften an der Universität Protestkultur im Diskursgewimmel 129 argumentiere im Folgenden, dass sich aktuelle Formen der soziologischen Praxistheorie auf Grund ihrer Ausrichtung auf den physischen Vollzug der Praxis besonders anschlussfähig zeigen, um das geforderte reziproke Verhältnis von Theoriebildung und diese fundierende Empirie als eine dynamische Kultursoziologie der Praxis umzusetzen. 2. Die Kultursoziologie im Allgemeinen und die Soziologie der Praxis im Besonderen laufen – mit Ausnahme der Forschungsperspektiven im Nachgang Bourdieus – aktuell Gefahr, die Dimension der Herrschaft zu vernachlässigen. Damit verliert die Kultursoziologie eine in der Auseinandersetzung mit Kultur zentrale Variable aus den Augen bzw. überlässt sie gänzlich den diese überbetonenden cultural studies. Mit dem Vorschlag einer diskurtheoretischen Erweiterung einer am Praxisbegriff orientierten Kultursoziologie führe ich die damit einhergehende Stärkung der Herrschaftsdimension am Beispiel einer spezifi schen Form der Analyse von Praxisformen des Protests vor Augen, die gleichzeitig die methodologische Forderung nach einem dynamischen Theoriegerüst im Angesicht des synthetisch-reziproken Verhältnisses von Theorie und Empirie erfüllt.