Musikalische Semantik in „finsteren Zeiten“. Altes und Neues in Eislers Liedschaffen (original) (raw)

1998, Osterreichische Musikzeitschrift

^ms gibt keine zweite musikalische Gattung, der Hanns Eisler so viele und so unterschiedliche Beiträge gewidmet hat wie dem Lied. Von den frühen Galgenliedern nach Morgenstern über die atonalen Miniaturen des Anton Webern gewidmeten Opus 2, über politische, agitatorische, kämpferische und besinnliche Kampflieder, über dodekaphone oder freitonale Bekenntniskompositionen des Hollywooder Liederbuches bis hin zu den ins Ohr gehenden, immer aber mit expressiver Aussage verknüpften Neuen deutschen Volksliedern reicht hier die Palette der Entwicklung, die unseren Meister als einen der wesentlichsten Vertreter des Liedes im 20. Jahrhundert zeigt. Trotz dieser stilistischen Breite steht Eisler, wie im folgenden zu zeigen sein wird, in allen diesen Schöpfungen im Banne bzw. im Gefolge der Tradition, deren Vokabular er übernahm, adaptierte, erneuerte oder auch verwarf; dies alles aber offensichtlich unter dem Gesichtspunkt, in seinen Werken allgemein verständlich und daher keineswegs elitär sein zu wollen. Wie sehr er aber in seinem allgemeinen musikalischen Denken auch in der Tradition verhaftet war: Stilfragen besaßen für ihn dabei keine Relevanz, wie u. a. einer frühen Äußerung aus dem Jahre 1925 zu entnehmen ist: "[...] der Hörer kann sich nur fragen: Hatte der Komponist eine musikalische Idee und konnte er diese musikalische Idee wirküch gestalten? Ob es sich um einen C-Dur-Dreiklang handelt oder um einen neuen Akkord, ist ebenfalls gleichgültig. Die Hauptsache bleibt immer, ob der Künstler das, was er gefühlsmäßig ausdrücken will, auch wirklich in höchster Vollendung ausdrücken kann."' Wolfgang Hufschmidt hat in akribischen Analysen dargestellt, in wie vielen Details Eisler melodischen und harmonischen Topoi Franz Schuberts folgte, wobei er sich offensichtlich in hohem Maße an der Winterreise orientierte^; fühlte er sein Schicksal doch vielleicht dem des Hauptprotagonisten aus jenem Zyklus verwandt, der seinen Gesang mit den Worten beginnt: "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus". Bei Hufschmidts Betrachtungen ging es in erster Linie um allgemeine Fragen der Diastematik sowie des Tonvorrats, aber auch um die Tonalität sowie um formale Aspekte. Lassen Sie mich diese Beobachtungen nun auf eine speziell andere Weise ergänzen, nämlich unter Berücksichtigung des bedeutungsgenerierenden Prof Mag. Dr. Hartmut Krones leitet die Lehrkanzel für Stilkunde und Aufführungspraxis sowie das 1996 gegründete Arnold-Schönberg-Institut der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien.