Aufstand vom 17. Juni 1953 (original) (raw)
Wir wollen freie Menschen sein: der DDR-Volksaufstand vom 17. Juni 1953
2005
Formen von Gewalt Bilanz des gescheiterten Aufbegehrens Weiterführende Literatur Über den Autor Impressum V orwort Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 war das erste massenhafte Aufbegehren im Ostblock. Udo Grashoff bietet einen sachlichen Überblick über wesentlicheAspekte des Aufstands. Er verbindet in seiner Darstellung Ursachenanalyse und Ereignisgeschichte. Fragen werden aufgeworfen wie: Was entfachte den Unmut der Menschen? Wie entstand die revolutionäre Situation? Was wollten die Streikenden und Demonstrierenden? Wo bildeten sich spontane Strukturen, wo blieb der Aufstand chaotisch? Wie groß war der Einfluss westdeutscher Journalisten? Welche Rolle spielte physische Gewalt bei den Protesten? Wieso gab es nach der Niederschlagung des Aufstands extrem unterschiedliche Angaben über Opfer des Aufstands? Gesichter einer Revolte Filmaufnahmen vom 17. Juni 1953 in Berlin zeigen eine Men schenmenge, die zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor scheinbar ziellos hin und her wogt. Sie tragen weder Plakate noch erheben sie die Fäuste oder rufen etwas. Einige wenige Ereignisse mit Symbolcharakter geschehen eher am Rande. Männer zertrümmern Propagandalosungen und Schilder, die auf die Sektorengrenze aufmerksam machen. Zwei junge Kerle klettern auf das Brandenburger Tor, holen die rote Fahne herunter und zünden sie an. Wenig später wird statt der Fahne der Kommunisten eine schwarz rot gol dene gehisst. Eine andere Szene, etwa zur gleichen Zeit, in Halle an der Saale: Vom südlichen Stadtrand her hat ein Demonstrationszug mit mehreren zehntausend Arbeitern den Marktplatz erreicht. An der Spitze läuft der Angestellte Herbert Gohlke, der später zum Sprecher des zentralen Streikkomitees der Stadt Halle gewählt wird. Gohlke und die Menschen um ihn herum winken dem Kameramann Albert Ammer zu, der mit seiner Assistentin von einem LKW aus Filmauf nahmen macht. Die Menschen wirken heiter, gelassen, fröhlich. Es sind einige Jugendliche in Lederhosen und auffallend viele Frauen in Sommerkleidern dabei. Was hat diese Menschen so fröhlich, so überschwänglich ge macht? Was hat in ihnen so viel Hoffnung geweckt? Ist es die schein bare Schwäche der Mächtigen? In Halle sind um die Mittagszeit noch keine Panzer zu sehen. Kilometerweit konnten die Streikenden mar schieren, ohne dass sie jemand aufhielt. Die Staatsmacht hat sich zu rückgezogen, es scheint, als hätte die SED bereits kapituliert. Anders in Berlin. Hier kommt es bereits am Morgen des 17. Juni zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Demons tranten und mit Schlagstöcken ausgerüsteten Polizisten am Haus der Ministerien. Eine Filmszene, am Vormittag aufgenommen in der Nähe des Potsdamer Platzes, zeigt einen brennenden Zeitungs kiosk. Aus einem Tumult heraus führen West-Berliner Polizisten zwei Männer, bei denen es sich wahrscheinlich um Mitarbeiter der Staatssicherheit handelt, zu einem Polizeifahrzeug. Auf dem Weg dorthin drängen einzelne Demonstranten hervor und schlagen die mutmaßlichen Funktionäre, die sich resigniert von den Polizisten abführen lassen, auf den Kopf und ins Gesicht. Man sieht, wie bei einem der Männer Blut aus der Nase läuft. Als hartnäckiger Schläger fällt ein Mann auf, vielleicht um die 50 Jahre alt. Auf jeden Fall kein jugendlicher Rowdy. Was mag Menschen wie diesen so wütend gemacht, so mit Hass erfüllt haben? Szenen an einem Tag, der am Morgen mit sehr viel Zuversicht begann, dessen spontane Freiheitsimpulse aber bereits am Nachmittag im Keim erstickt wurden. Um zu verstehen, was zu diesem Ausbruch von Freude und Zorn geführt hat, der in seiner Art einzig artig blieb in der Geschichte der DDR, soll zunächst die politische Entwicklung im Osten Deutschlands in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in den Blick genommen werden. Der Weg in die Krise Als Walter Ulbricht auf der II. SED Parteikonferenz im Juli 1952 den "beschleunigten Aufbau des Sozialismus" verkündete, ging es dem Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) um nicht weniger als die offene Errichtung einer Parteidiktatur nach sowjetischem Vorbild. Dieses Ziel hatte den deutschen Kommunisten schon vorgeschwebt, als sie 1945 unmittelbar nach Kriegsende aus dem Moskauer Exil in die sowjetische Besatzungszone zurückkehrten. Aber zunächst hatte die KPD aus taktischen Gründen eine par lamentarische Demokratie propagiert, wobei Ulbricht als interne Parole ausgegeben hatte, es müsse demokratisch aussehen, "aber wir müssen alles in der Hand haben." Der Anschein einer demokratischen Entwicklung hielt sich eine Weile. So konnten sich halbwegs demokratisch gewählte Länderparlamente konstituieren, in zwei Ländern erreichten die bürgerlichen Parteien sogar die Mehrheit. Zwar setzte die Sowjetische Militäradministration unliebsame Politiker willkürlich ab, was im Fall von führenden CDU-Politikern gleich mehrfach geschah, dennoch ist es überzogen, für die ersten beiden Nachkriegsjahre bereits von einer kommunistischen Diktatur zu sprechen. Alle politischen Akteure einte zunächst eine antifaschistische Grundhaltung. Von deutschem Boden sollte nie wieder ein Krieg ausgehen. Entsprechend dieser Devise ging es zunächst darum, die schlimmsten Folgen des Krieges zu beseitigen und alle verfügbaren Kräfte für den Wiederaufbau zu mobilisieren. In den kommunalen Verwaltungen gaben oftmals bürgerliche Fachleute den Ton an, in den Fabriken wählten die Arbeiter Betriebsräte. Die SED selbst, die 1946 aus KPD und SPD der Sowjetischen Besatzungszone hervorgegangen war, hatte sich auferlegt, Ämter in den ersten Nachkriegsjahren paritätisch mit ehemaligen Sozialdemokraten und Kommunisten zu besetzen. Erst mit dem beginnenden Kalten Krieg-der 1947/48 von der Bildung der amerikanisch-englischen Bizone über den Marshallplan, die Währungsreform und die Berlin-Blockade sowie deren Überbrückung durch Flugzeuge der Westalliierten nahe zu unausweichlich in eine Zweiteilung Deutschlands zu münden schien-stellte die SED in der Sowjetischen Besatzungszone die Weichen in Richtung Diktatur, indem sie die demokratischen Ansätze der ostdeutschen Nachkriegsgesellschaft aushöhlte. Bürgerliche Politiker wurden, sofern sie sich nicht der Politik der SED unterwarfen, aus ihren Positionen gedrängt, hunderte von ihnen aus politischen Gründen inhaftiert, einige bezahlten mutiges Widerstehen sogar mit dem Leben. Verhaftungswellen und Schauprozesse trieben viele Mitglieder bürgerlicher Parteien zur Flucht in die Bundesrepublik. Zugleich führte die SED auch in den eigenen Reihen "Säuberungsaktionen" durch. "Volkswahlen" 1950 Als Reaktion auf die Entstehung der Bundesrepublik war am 7. Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik gegrün det worden. Danach ließ sich die SED ein Jahr Zeit, um Volks kammer, Landtage, Kreistage und Gemeindevertretungen neu wählen zu lassen. Diese Zeit nutzte sie, um politische Gegner aus zuschalten und einen Wahlmodus durchzusetzen, der die Herrschaft der SED garantierte. Zur "Wahl" stand bei den so genannten Volkswahlen im Jahr 1950 schließlich nur eine Einheitsliste, keine Parteien, geschweige denn einzelne Kandidaten. Die Liste war so zusammengesetzt, dass die SED immer die Mehrheit bekam. Den im Verlauf des Jahres 1950 aufflammenden Widerstand gegen die Einheitsliste aus den Reihen der bürgerlichen Parteien brach die SED auf verschiedene Weise. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Hugo Hickmann zum Beispiel wurde Ende Januar 1950 durch eine öffentliche Diffamierungskampagne zum Rücktritt genötigt. Härter traf es den Generalsekretär der Libe ral-Demokratischen Partei, Günther Stempel, der wegen seiner Ablehnung der Einheitsliste von der Staatssicherheit verhaftet, einem sowjetischen Gericht überstellt und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde. Der liberaldemokratische Politiker war das prominenteste Opfer einer Repressionswelle, die auch viele einfache Parteimitglieder traf und zur Gleichschaltung der bürgerlichen Parteien führte. Um die mehrheitlich nichtkommunistische Bevölkerung zum Gang an die Wahlurne zu bewegen, baute die SED bereits im Vorfeld der Wahl einen enormen sozialen Druck auf. Arbeitskollektive und Hausgemeinschaften mussten sich schriftlich verpflichten, für die Einheitsliste zu stimmen. Aus dem Wahltag selbst machte die SED eine kontrollierte Inszenierung. Musikkapellen und Sprechchöre zogen schon am Morgen durch viele Orte und propagierten eine "offene Stimmabgabe", also ohne Wahlkabine. "Schlepper" klingelten bei Wahlberechtigten, die bis zum Mittag nicht im Wahllokal erschienen waren. Letztlich blieb der Mehr heit der DDR-Bevölkerung nichts übrig als den Zettel zu falten und in die Wahlurne zu stecken. Nein-Stimmen waren nicht vor gesehen. Natürlich musste nicht jeder genötigt werden, seine Stimme abzugeben. Das Ziel des Aufbaus eines besseren, konsequent antifaschistischen deutschen Staates verschaffte der neugegründe ten DDR durchaus eine gewisse moralische Legitimation. Die of fiziell ausgewiesene Wahlbeteiligung von 98,5 Prozent und der Anteil von lediglich 0,28 Prozent ungültigen Stimmen gaukelten allerdings ein viel zu konformes Bild von der DDR-Gesellschaft vor-denn diese Zahlen kamen nur durch Wahlfälschung zustan de. Angesichts dieser demütigenden Erfahrung war es nahe lie gend, dass die Forderung nach "geheimen und freien Wahlen" am 17. Juni 1953 sehr weit verbreitet war. Wenngleich darin nicht nur ein Wunsch nach Demokratie, sondern die Hoffnung auf ein wiedervereinigtes Deutschland zum Ausdruck kam. Konfliktfeld Betrieb Eine weitere mittelfristige Ursache des Aufstands lag in un gelösten Konflikten in Industrie und Baubetrieben. Der Streit um Löhne und Normen, dem eine zentrale Rolle beim Zustande kommen des Aufstands zukam, hatte eine längere Vorgeschich te. In dem Maße, wie die schwersten Folgen des Krieges über wunden waren, rückte die Frage der Effektivität der Produktion wieder stärker in den Blickpunkt. Allerdings zeigte sich, dass Leistungszwang in "volkseigenen Betrieben" (VEB)-1949 be fand sich bereits die...
VII. Der Volksaufstand 1953 und die Politik der DBD im "Neuen Kurs
2003
Die Politik des "Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus" manövrierte Staat und Gesellschaft der DDR bis zum Frühjahr 1953 in eine tiefe Krise. Die weitgehend erzwungene Bildung wirtschaftlich uneffektiver LPG steigerte den Anteil brachliegender Flächen und trieb vor allem "großbäuerliche" Teile der Bevölkerung in die Bundesrepublik. Bis April 1953 waren 442 800 ha oder 7,3% der LNF verlassen; allein 393000 ha stammten von Betrieben über 20 ha, womit 26% der Nutzfläche von Betrieben dieser Größenklasse betroffen waren1. Der einseitige schwerindustrielle Aufbau verursachte gravierende Versorgungsprobleme bei Nahrungs-, Konsum-und Gebrauchsgütern; Restriktionen gegen Unternehmer und Handwerker provozierten politische Ablehnung. Die Gegenmaßnahmen, die die SED anordnete, waren ungeeignet, das Stimmungstief der Bevölkerung zu beheben, aus dem zunehmend Protestpotential erwuchs. Der Entzug von Lebensmittelkarten für bestimmte Bevölkerungsteile, darunter auch bäuerliche, brachte diese noch mehr gegen die SED auf. Alle gesellschaftlichen Gruppen litten unter dem rigiden Kurs. Obwohl die Heraufsetzung der Arbeitsnormen den Bogen sogar gegenüber den Arbeitern überspannt hatte, also derjenigen Gruppe, die der SED vermeintlich am nächsten stand, forcierte sie ihren ideologischen Kampf und schritt gegen beide Kirchen nun zum offenen Angriff. In der SED kamen die Signale der Krise zwar an, wurden als solche aber nicht erkannt2. Mit welchen organisatorischen Unzulänglichkeiten die Planwirtschaft Krisenmanagement betrieb, manifestierte sich im Frühjahr i953 gerade auch im MLF. Über die Probleme in den VEG informierte Scholz als Leiter der zuständigen Koordinierungs-und Kontrollstelle für landwirtschaftliche Fragen Grotewohl im Februar3. Das gesamte Ausmaß der Ineffizienz eines Ministeriums, das infolge der 2. Parteikonferenz besonders gefordert gewesen wäre, offenbarte sich im Zusammenhang mit der Ablösung von Landwirtschaftsminister Wilhelm Schröder. Schon im Januar 1953 hatte man festgestellt, daß die Abteilungen des Ministeriums außerstande waren, substantielle Vorlagen zu erarbeiten4. Der Tod Stalins am 5. März 1953 und die daraus folgende politische Verunsicherung in der Sowjetunion brachten Bewegung in die Deutschlandpolitik5. Schon anläßlich des Stalin-Begräbnisses in Moskau hatte man Grotewohl wissen
Impressum / Inhalt, Vol. 17, 1994
Onkologie, 1994
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Österreichischer Synodaler Vorgang (1973–1974)
2014
Als einer, der ab 1983 in Graz Theologie studiert hat und der 1992 als Diakon und dann als Priester in der Steiermark tätig war, habe ich von einem "Österreichischen Synodalen Vorgang" (ÖSV) 1 erst im Zuge meiner Vertiefung in pastoraltheologische Studien erfahren. Dies kann als Aussage über mein Studium gewertet werden-oder aber auch als Aussage darüber, dass bereits zehn Jahre nach dem ÖSV dieser kein Thema im Studium mehr war bzw. 20 Jahre später keines in der pastoralen Praxis. Was in Deutschland nach dem Konzil in die "Würzburger Synode" als gesamtdeutschem Vorgang einmündete, hat keine wirkliche Entsprechung in Österreich. Schon die Bezeichnung "Synodaler Vorgang" weist darauf hin, dass es zwar ähnliche Initiativen und diözesane Teilsynoden gegeben hat; in seiner Bedeutung und Wirksamkeit bleibt der Österreichische Synodale Vorgang jedoch recht schwach.