Fundamentalästhetik bei Heinrich Barth (original) (raw)

Karl Barths pneumatologischer Realismus und operativer Konstruktivismus

Karl Barths Theologie der Krise heute: Transfer-Versuche zum 50. Todestag, 2018

Ist Gott-jenseits eines naiv-personalistischen Theismus-für die theologische Reflexion und Konstruktion eine lebendige Entität, die dem menschlichen Er-fahren und Erkennen in ihrer Wirklichkeit und Erkenntnismöglichkeit voraus liegt und sich selbst zu dem theologischen Erkennen)verhalten< kann? Diese Frage markiert eine der mächtigsten Wasserscheiden innerhalb der gegenwär-tigen deutschsprachigen, aber auch der europäischen und angelsächsischen Theologie. Im Ringen um ihre Beantwortung hat die Theologie Karl Barths auch 50 Jahre nach seinem Tod und 100 Jahre nach dem Erscheinen seines Römerbrief-Kommentars eine erstaunliche)Daueraktualität<. Doch zugleich wäre es ein Missverständnis, in der Barthschen Theologie nur eine mehr oder weniger raf-finierte Behauptung der Realität eines lebendigen Gottes zu sehen. Vielmehr gilt es, die für Barths Theologie charakteristische Verklammerung eines spezifisch pneumatologischen Realismus und eines operativen Konstruktivismus wahrzu-nehmen. Dies sind die leitenden Überlegungen der folgenden Ausführungen. In der theologischen Erfassung dieser dynamischen Realität offeriert Karl Barth im Vollzug seiner Theologie ein Modell theologischer Erkenntnis, das multipel gelesen werden kann und muss: als pneumatologischer Realismus und als operativer Konstruktivismus. Nur dann wird die Pointe seiner Theologie er-fasst. Insofern die theologische Reflexion in der Tat auf eine außerhalb ihrer selbst liegende, ihr ontologisch und epistemisch vorgängige Entität verweist, ist sie als eine Form von Realismus beschreibbar-was sich nicht zuletzt auch in Barths sprachlich-literarischen Habitus tief eingeschrieben hat. Angesichts der epistemischen Unverfügbarkeit des Gegenstandes muss die konkrete Art und Weise, Theologie zu treiben, zugleich notwendig als konstruktivistisch be-schrieben werden. Es ist die spezifische freie, d. h. dynamisch-lebendige Gege-benheit des Gegenstandes, die diese Doppelperspektivierung erforderlich macht. Damit steht die Theologie Karl Barths auch in der Gegenwart auf provozierende Weise über bzw. zwischen antirealistischen Positionierungen mehrheitlich li-beraler Provenienz einerseits und vornehmlich im englischsprachigen Raum sehr wirkmächtigen Positionen eines tendenziell objektivistischen Realismus.

Kants Ästhetik-Konzeption vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit der Physikotheologie

Akten des IX. Internationalen Kant-Kongresses.Bd. II: Sektionen I-V. , 2001

Kant und nicht Baumgarten gilt als der Begründer der Ästhetik 1 -sofern die Reflexion darauf, was das Schöne ausmache, sowie auf die Merkwürdigkeiten, mit denen uns die Künste konfrontieren, überhaupt für einer Begründung bedürftig (und fähig) gehalten wird und man nicht vorzieht, die Auseinandersetzung mit diesen Problemen als universal und ahistorisch anzusehen oder sie zumindest als einen sehr alten Traditionsstrang unserer Kultur anzuerkennen, der bis in die griechische Antike zurückzuverfolgen ist. Sobald man schärfere Kriterien anlegt in Hinblick auf das, was als »Ästhetik« verstanden werden soll, trittt gegenüber dem immer schon Üblichen eine spezifisch moderne Weise des Umgangs mit Phänomenen des Schönen und mit Kunstwerken hervor, die sich im achtzehnten Jahrhundert konsolidiert, und hier sieht man sich auf Kant als maßgeblichen Innovator verwiesen. Zwar kommt Baumgarten der Primat zu, was die Prägung des Namens der Disziplin angeht, und sein Ansatz zu einer Theorie der Künste vom systematischen Ausgangspunkt nicht ihrer Kunstfertigkeit (d.i. Perfektion unter dem Maßstab verbindlicher Regeln) sondern der »sinnlichen Erkenntnis« (eben »aesthetisch«) hat durchaus zu tun mit dem, was seither unter Ästhetik verstanden wird. 2 Aber die für den Begriff des Ästhetischen, wie er nach Kant etabliert wurde, definitve Unterscheidung fehlt bei Baumgarten. Nicht die Differenz von sinnlicher Wahrnehmung und begrifflicher Einsicht, an die Baumgarten sich hielt und auf die er den Unterschied zwischen Poesie und Prosa, Kunst und Wissenschaft glaubte reduzieren zu können, indem er die Gestaltungs-und Äußerungsweisen als Wiedergabe der verschieden verfaßten Arten von Erkenntnis auffaßte, macht das aus, was wir als die »ästhetische Differenz« verstehen. Der Unterschied »ästhetisch/ nicht-ästhetisch« wird seit Kant durch die Unterscheidung des reinen Geschmacksurteils von empirischen oder auch aus Prinzipien logisch entwickelten theoretischen wie praktischen Urteilen bestimmt. Keinerlei objektive Geltung oder normative Verbindlichkeit beanspruchende Begriffe sollen nach Kant in das Geschmacksurteil eingehen, das etwas als »schön« approbiert (vgl. KdU B 18-21 u. 44-48) 3 . Wenn für Geschmacksurteile ein allgemeiner, auf die Zustimmung potentiell jedes Anderen rechnender Geltungsanspruch erhoben wird, dann ist dies doch eine begriffslose Allgemeinheit (vgl. KdU B 32), die nicht auf der Identität eines allen gleich begegnenden Objekts beruhen kann, sondern lediglich auf einer bestimmten Verfassung des der ästhetischen Erfahrung fähigen Subjekts, die allerdings unabhängig von den empirischen Verschiedenheiten zwischen den Menschen einem jeden zugeschrieben werden muß. Näherhin geht es

»Barth erzog mich zum Atheisten«

Hermeneutische Blätter

Als ich Martin Walsers Büchlein Über Rechtfertigung, eine Versuchung las, ist mir der in der Überschrift zitierte Satz aus Dürrenmatts Turmbau von 1990 öfters in den Sinn gekommen. 1 Der Kontrast ist nämlich sehr markant. Bei Walser wird Karl Barths Römerbrief in Anspruch genommen für die Auseinandersetzung mit einem heute grassierenden, selbstzufriedenen Atheismus. Der Autor spielt auf eine Fernsehsendung an, in der zur Frage nach Gott »das gewöhnliche Hin und Her zwischen Gegnern und Befürwortern« stattfindet. Der wortführende Atheist »bot ein andauerndes Schmunzeln. Ein unangreifbares, ein allem überlegenes Schmunzeln«. Und Moderator und Regie sind auf seiner Seite, so dass der Befürworter des Gottesglaubens chancenlos ist. »Wie kann man bloss noch an Gott glauben!« 2 Diese Beschreibung der Fernsehsituation führt Walser zum für sein ganzes Büchlein tragenden Grundgedanken: »Wer sagt, es gebe Gott nicht, und nicht dazusagen kann, dass Gott fehlt und wie er fehlt, der hat keine Ahnung.« 3 Im Laufe der Schrift stehen deshalb Barths Römerbrief und der zu bekämpfende Atheismus öfters einander gegenüber. So etwa, wenn ein Barth-Zitat an die Fernsehsendung zurückerinnert: »›Als der unbekannte Gott wird Gott erkannt: […] als der, an den man nur ohne Hoffnung auf Hoffnung hin glauben kann.‹ Wenn ich heute diesen Satz lese, sehe ich den in unerreichbarer Selbstzufriedenheit schmunzelnden Atheisten vor mir.« 4 Wie kann nun Dürrenmatt dazu kommen, von Barth genau das Umgekehrte zu sagen: Barth nicht als Bekämpfer von Atheismus,

Zentrierte Theologie. Karl Barths Beitrag zur Verständigung der theologischen Disziplinen

Centered Theology. Karl Barth's Contribution to the Understanding of the Theological Disciplines, 2023

Der enzyklopädische Aspekt der Barthschen Theologie, also ihr Anspruch, von der Dogmatik aus allen übrigen Disziplinen mit in den Blick zu bekommen, ist von der Forschung bisher selten reflektiert worden. Dies kann erstaunen, befindet sich die Theologie heute, was ihre Einheit und die wechselseitige Bezogenheit ihrer Teildisziplinen angeht, doch in einer prekären Lage. Durch die zunehmende „Verfachwissenschaftlichung“ entfernen sich die Fächer immer mehr voneinander. Disziplinübergreifende Bemühungen um die Einheit der Theologie werden nicht oft unternommen, sind aber – auch um der kirchlichen und religiösen Praxis willen – unerlässlich. Karl Barth hat mit seiner christozentrischen Offenbarungstheologie den Anspruch eines genuin theologischen Zusammenhangs der theologischen Fächer verbunden, der sich weder auf ein einheitliches philosophisches Bezugsparadigma noch auf einen spezifischen Religionsbegriff gründet. Die Beiträge des Bandes bedenken die vielfach monierten Schwächen dieses Ansatzes, aber auch seine Stärken, und zwar im Blick auf gegenwärtige Theologie.

Die Kunst der Bestreitung. Zu Hans-Joachim Höhns Fundamentaltheologie.

181 "Es ist gleich tödlich für den Geist", schreibt Friedrich Schlegel im 53. Athenäum-Fragment, "ein System zu haben, und keins zu haben. Er wird sich wohl entschließen müssen, beides zu verbinden." 1 Auch Fundamentaltheologen (und nicht minder die Dogmatiker) stehen vor der ‚Systemfrage': Können Sie noch den Eindruck erwecken eine in sich geschlossene Totalität theologischer Spekulation zu präsentieren? Ist eine theologische Systematik, welche alles Differierende, Anstößige und Leidvolle, das sich in der erfahrbaren Welt findet, aufgehoben und vollständig integriert hat, nicht erschlichen? Mindestens ebenso fraglich ist, ob die verloren gegangene gesellschaftliche Verbindlichkeit und Plausibilität des Christentums durch ein emphatisches Bekenntnis einzelner oder charismatisch eingestimmter Gruppen substituiert werden kann. Der Kölner Fundamentaltheologie Hans-Joachim Höhn ist in seinem jüngsten Buch 2 von solchen vermeintlichen Gewissheiten weit entfernt. Problematisch ist ihm gerade "jener theologische Sprachgestus, der bekenntnisstark daherkommt und meint, sich damit jede dogmatische Vollmundigkeit erlauben zu können", wie Höhn schon in seiner Studie Der fremde Gott konstatierte 3 . Im Verlauf der Neuzeit scheint Gott ‚arbeitslos' geworden zu sein: Zur "Erklärung innerweltlicher Abläufe und Sachverhalte" ist er nicht notwendig (29f); als Instanz, moralische Normen zu begründen und den Verstoß gegen sie zu sanktionieren, wurde er ebenfalls überflüssig; mit dem Übergang von einer Metaphysik der Erkenntnis in eine funktionale Erkenntnistheorie erübrigt sich der Rekurs auf Gott nicht minder (28, 48). Die Rede von Gott scheint überflüssig zu sein, bestenfalls eine unverbindliche Beschäftigung in den wegen ihrer mangelnden Produktivität verdächtigen Augenblicken der Muße, seit der Frühaufklärung aber auch beargwöhnt als Residuum von Unwissenheit, Fanatismus und unerhellter Herrschaft.

Fundamentalismus contra "Neo-Orthodoxie": Francis Schaeffers theologische Prägung, sein Anliegen und die daraus resultierende Kritik an der Lehre von Karl Barth

Der amerikanische Theologe Francis A. Schaeffer, welcher einen grossen Teil seines Lebens in der Schweiz verbrachte, kritisiert in seinen Veröffentlichungen durchgängig die Lehre von Karl Barth. Gegen-stand der vorliegenden Studie ist die Darstellung und kritische Reflexion, in welcher theologischen Prägung und Überzeugung Schaeffers negative Beurteilung der Neo-Orthodoxie begründet liegt und welche theolo-gischen Propositionen im Einzelnen Schaeffer bei Karl Barth ablehnt. Ein gründlicher Rückbezug auf Schaeffers theologische Biographie und seine intellektuellen Wurzeln ist dafür unumgänglich. Weiter stelle ich die persönliche Begegnung der beiden Theologen im Jahre 1950 und die sich anschliessende Korres-pondenz eingehender dar. Dazu berücksichtige ich neben der gängigen Literatur einerseits unveröffentlich-te Dokumente aus dem Karl Barth-Archiv, andererseits auch Originaltonbänder von Schaeffers Referaten in L’Abri, Huémoz. Nach einer Erläuterung der beiden Begriffe „Evangelikalismus“ und „Fundamentalismus“ stelle ich im ersten Teil der Arbeit Schaeffers Biographie dar, wobei das Hauptaugenmerk auf seiner theologischen Entwick-lung liegt. Ich erkenne in seinem Leben drei unterschiedliche Stadien (klassischer Fundamentalismus, ge-mässigter Fundamentalismus, Neo-Fundamentalismus). Unter anderem erörtere ich zudem die Gründe für seine Popularität unter den Evangelikalen in Europa und Amerika. Schaeffer verstand sich zeit seines Le-bens als Evangelist. Trotzdem wurde er von seinen Hörern und Lesern vorwiegend als Philosoph verstan-den. Dies verschaffte seinen Publikationen eine grössere wissenschaftliche Relevanz, als sie eigentlich verdient hätten. Dadurch wiegen seine Urteile, welche er über Künstler, Philosophen und Theologen äus-sert, auch umso schwerer. Trotzdem gelang es Schaeffer, evangelikalen Christen den eigenen Horizont zu weiten. Viele Evangelikale wurden durch Schaeffers Schriften angeregt, sich selber genauer mit der Theo-logie- und Geistesgeschichte auseinanderzusetzen. Anschliessend beschreibe ich detailliert den Konflikt der konservativen Protestanten mit dem theo-logischen Liberalismus in den USA. Weiter bespreche ich den Einfluss der Ausbildungsstätten, an denen Schaeffer studierte und die Prägung durch seine theologischen Lehrer J. Gresham Machen und Cornelius Van Til. Ich komme zum Schluss, dass Schaeffer, was seine Kritik an der barthschen Theologie betrifft, ins-besondere von Van Til stark geprägt wurde. Schaeffers Aufruf zur Separation von Kirchen, welche unter dem Einfluss der barthschen Theologie stehen, übernahm Schaeffer unter anderem von Machen. Dieser vertrat in der Fundamentalismusdebatte eine klare Einstellung der Separation. Ebenfalls differenziert stelle ich Schaeffers Europareise von 1947 dar, welche seine theologischen Ansichten nachhaltig geprägt hat. Hier bespreche ich insbesondere die „Zweite Weltkonferenz christlicher Jugend“ in Oslo, an welcher Schaeffer als Gast teilnahm und die er immer wieder als Beispiel erwähnt für den starken Einfluss der Neo-Orthodoxie auf junge Kirchenleute in Leitungspositionen. Im zweiten Abschnitt behandle ich das Anliegen von Schaeffer und komme zum Schluss, dass er als Evan-gelist die frohe Botschaft verkündigte und sich zugleich einer Apologetik durch Auseinandersetzung mit der Philosophiegeschichte widmete. Dazu verteidigte Schaeffer eine Hermeneutik der Irrtumslosigkeit und Un-fehlbarkeit der Bibel. Schaeffer verdeutlicht anhand seiner „Linie der Verzweiflung“, wie ein grundsätzlicher Wandel von der Philosophie ausgehend über Kunst und Kultur bis in die Theologie eindrang und das Wahrheitsver-ständnis veränderte. Er beschreibt, wie in der Theologie dadurch der Glaube von den Fakten getrennt wur-de und schliesslich auf einem zweigeteilten Wahrheitsverständnis beruht. Diesen Wandel führt Schaeffer zurück auf Hegel (Synthese statt Antithese) und Kierkegaard (Sprung des Glaubens). Die Trennung von Glaube und Vernunft führe schliesslich zu einer Ethik ohne Werte und allgemein zu einem Relativismus in der Gesellschaft. Im dritten Abschnitt widme ich mich der expliziten Kritik Schaeffers an der Theologie von Karl Barth. In Barth sieht Schaeffer den Urheber der Neo-Orthodoxie. In dieser neuen Theologie macht Schaeffer die Folgen des veränderten Wahrheitsverständnisses aus. Barth habe die Antithese durch die Synthese ersetzt und den „Sprung des Glaubens“ von Kierkegaard aufgenommen. Dadurch sei bei Barth der Glaube völlig von historischen Tatsachen getrennt. Für Barths Hermeneutik bedeute dies, dass die Bibel für ihn nicht Wort Gottes ist, sondern das Wort Gottes lediglich enthalte. Durch sogenannte Assoziationswörter würde Barth Worte wie „Gott“ oder „Jesus“ verwenden, diese Worte seien ihrer ursprünglichen Bedeutung jedoch ent-leert worden und der Mensch fülle diese Worte nach eigenem Belieben. Von Barth ausgehend führe eine solche Theologie schliesslich in die Gott-ist-tot-Theologie. Ich gelange zum Schluss, dass Schaeffer sich nur marginal mit der barthschen Theologie ausei-nandergesetzt hat und im Wesentlichen die Argumente von Van Til übernahm, diese aber weniger breit abgestützt hat und dadurch in seiner Kritik oberflächlich geblieben ist. Aufgrund von Schaeffers Hermeneu-tik gab es keinerlei Schnittpunkte mit der Theologie von Barth, weshalb Schaeffer diese in globo abgelehnt hat. Schaeffers finaler Verurteilung der Theologie von Karl Barth stelle ich dessen Intention entgegen. Ich beschreibe, wieso Barth zwischen Geschichte und Historie unterscheidet und führe aus, was er unter die-sen beiden Begriffen versteht. Ebenfalls erörtere ich, ob Barth wirklich Assoziationswörter verwendet hat und ob Schaeffers Aussage, dass die barthsche Theologie zur Gott-ist-tot-Theologie führt, berechtigt ist. Schliesslich bespreche ich im vierten Abschnitt das Treffen von 1950 zwischen Schaeffer und Barth, wel-ches in der gängigen Literatur bis dato noch nicht umfassend aufgearbeitet wurde. Den Inhalt der an-schliessenden Korrespondenz zwischen Schaeffer und Barth, bestehend aus drei Briefen, untersuche ich ebenso, wie Barths grundsätzliche Einstellung gegenüber christlichen Fundamentalisten. Das Gespräch mit Barth erfolgte für Schaeffer in Begleitung von vier weiteren Theologen aus dem fundamentalistischen Umfeld. Es verlief für Barth äusserst unbefriedigend, und Barth fühlte sich dabei wie in einem Verhör. Barths Feststellung, dass die fünf fundamentalistischen Theologen ihn „bekehren“ wollten, findet ihre Berechtigung. Schaeffer wünschte in einem Brief an Barth ein weiteres Gespräch. Dieses Ansin-nen wies Barth aber in einem Brief an Schaeffer mit harten Worten zurück. Schaeffers zweiter Brief an Barth blieb unbeantwortet. Beim Treffen von 1950 handelte es sich gemäss meinen Nachforschungen um die erste und letzte organisierte Zusammenkunft von Barth mit Vertretern des christlichen Fundamentalismus. Im Fazit nehme ich kurz Bezug zur eingangs erwähnten Fragestellung. Ich stelle fest, dass Schaeffer mit seiner verkürzenden und pauschalen Kritik der Vielschichtigkeit und Komplexität der barthschen Theologie und der Intention von Barth nicht gerecht wurde. Aufgrund von Schaeffers Prägung durch die Fundamenta-lismusdebatte in seiner Heimat und insbesondere durch den Einfluss seines Lehrers Van Til gelang es ihm nicht, sich vorbehaltlos mit der Theologie von Barth auseinanderzusetzen. Zudem hinderten ihn seine man-gelnden Deutschkenntnisse und wohl auch die angeborene Dyslexie sowie der Umstand, dass er in Hué-moz nicht auf die notwendige Literatur zurückgreifen konnte. Die nur flüchtige Auseinandersetzung mit der europäischen Theologie- und Geistesgeschichte war sodann ein weiteres Hindernis für Schaeffer, die barthsche Theologie in angemessenem Rahmen zu kritisieren und zu würdigen. Anschliessend skizziere ich im Sinne eines Ausblickes drei Themen, welche meines Erachtens aus dieser Arbeit ergehen und für eine solide evangelikale Theologie relevant sind: 1. Ein aufgeschlossenes Lernen vom Gegenüber (anhand des Beispiels von Bernard Ramm), 2. Eine Hermeneutik in Bewegung (anhand des Beispiels von Gregory J. Laughery) und 3. Die intellektuelle Redlichkeit (anhand des Beispiels von Karl Heim). Der evangelikale Theologe Bernard Ramm studierte selber bei Karl Barth. Er beschreibt, dass die evangelikale Theologie von Barths Methode lernen könne. Barth sei es gelungen, den Glauben wieder relevant zu machen und sich dabei nicht auf eine Zeit vor der Aufklärung zu berufen. Auch wenn sich Ramm von gewissen Darstellungen in der barthschen Theologie distanziert, so sieht er die Möglichkeit einer Be-reicherung der evangelikalen Ansätze durch Adaption gewisser Grundsätze aus Barths Theologie. Gregory Laughery ist der momentane Leiter von L’Abri Schweiz und mit Schaeffer verwandt. Laug-hery bemerkt, dass eine Theologie der Irrtumslosigkeit und Unfehlbarkeit der Bibel nicht gerecht werden kann und befürwortet im Gegensatz zu Schaeffer eine Synthese verschiedener hermeneutischer Ansätze. Trotzdem misst Laughery der Bibel die Autorität als Wort Gottes bei. Karl Heim war bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts Professor für systematische Theologie an der Universität Münster / Westfalen und entstammte dem Pietismus. Wie Schaeffer vertrat auch Heim das Anlie-gen der Evangelisation und Mission. Heim nahm sich aber den Herausforderungen des modernen Denkens vertieft an und sah die Notwendigkeit, dass sich die Theologie dazu von den traditionellen Entwürfen lösen muss. Heim vertrat eine intellektuelle Weltoffenheit und eine geistige Freiheit, ohne dabei der Gefahr eines Pluralismus zu verfallen.

Karl Barth. Einführung in die evangelische Theologie. Text und Anmerkungen

Karl Barth. Einführung in die evangelische Theologie. Text und Anmerkungen, 2021

Die «Einführung in die evangelische Theologie» gehört zu den meistgelesenen Büchern Barths. In der wissenschaftlichen Erforschung seiner Theologie fristet sie dagegen ein Schattendasein. Dem begegnet diese erste ausführlich annotierte Textausgabe. Sie dokumentiert, dass es sich hier um weit mehr handelt als um eine erbauliche, altersmilde Abschiedsvorlesung. In einem umfangreichen Anmerkungsapparat verortet dieser Annotationsband die «Einführung» in den zeitgenössischen Debatten, deckt Bezüge zu anderen Schriften Barths auf, zeigt Gesprächszusammenhänge, Entwicklungen und Spannungen, legt biblische Fundamente frei, erläutert unverständlich gewordene Wendungen und geht Zitaten wie Anspielungen nach. Dies ermöglicht eine kontextuelle und vertiefte Lektüre und vermittelt instruktive Einblicke in Barths Theologie.