1.5 Die Konfrontation mit dem Nationalsozialismus und dem Sowjetkommunismus während des Zweiten Weltkrieges und die Rolle von Intellektuellen und Wissenschaftlern in der Abteilung »Research and Analysis« des US-amerikanischen Geheimdienstes (original) (raw)

Schellinger, Uwe; Anton, Andreas; Schetsche, Michael (2010): Zwischen Szientismus und Okkultismus. Grenzwissenschaftliche Experimente der deutschen Marine im Zweiten Weltkrieg. In: Zeitschrift für Anomalistik (10), S. 287-321.

Zusammenfassung – Der Beitrag behandelt eine heute fast vergessene Episode der Militärgeschichte des Zweiten Weltkriegs, die aus grenzwissenschaftlicher Sicht von besonderem Interesse ist: Es geht um eine interdisziplinäre Experimentalgruppe innerhalb der Kriegsmarine des Dritten Reiches, die im Jahr 1942 Versuche zur Ortung feindlicher U-Boote und Geleitzüge mit Hilfe des so genannten Siderischen Pendels und anderer grenzwissenschaftlicher Methoden durchführte. Diese militärisch geleitete Abteilung bestand nach unserem heutigen Wissen zwar nur knapp ein Jahr lang, führte jedoch einige der zur damaligen Zeit bekanntesten Okkultisten und Grenzwissenschaftler zusammen. Historisch besonders bemerkenswert sind die Aktivitäten dieser Gruppe im Kontext des Versuchs der NS-Führung, nur wenige Monate zuvor (im Juni 1941) im Rahmen der „Sonderaktion Heß“ jeden Einfluss von Okkultisten, Geheimwissenschaftlern, Astrologen usw. auf das öffentliche Leben radikal auszuschalten. Wie unsere Forschungen zeigen, war diese Aktion jedoch mitnichten das Ende aller okkultistischen bzw. grenzwissenschaftlichen Aktivitäten im Dritten Reich; diese setzten sich vielmehr auch nach dem Juni 1941 in ganz spezifischen Kontexten fort. Entscheidend dabei war, dass die eingesetzten Praktiken der offiziellen nationalsozialistischen Weltanschauung nicht allzu eklatant widersprachen – und dass sie sich den Zielen der nationalsozialistischen Kriegsführung unterordneten. Die mögliche technische Verwertbarkeit hatte Priorität vor eventuellen ideologischen Bedenken. Entsprechend muss auch die Rolle von Okkultisten, Grenzwissenschaftlern und selbstdeklarierten Sensitiven im Dritten Reich differenzierter beurteilt werden als dies bislang geschehen ist: Sie waren, je nach Zeitpunkt und individuellem Schicksal, einmal Verfolgte, ein anderes Mal opportunistische Mitläufer und ein drittes Mal überzeugte Unterstützer des nationalsozialistischen Herrschaftssystems. Mit dem hier geschilderten Fallbeispiel soll deshalb die Frage nach der Rolle der Grenzwissenschaften und ihrer Vertreter im Dritten Reich neu in den Fokus gerückt werden. Abstract – This article is about an almost forgotten episode of German marine history during the Second World War. It deals with an interdisciplinary experimental group in the German Navy during the Third Reich. In 1942 this group tried to locate enemy submarines and convoys by means of the so-called “Siderisches Pendel” [sidereal pendulum] and other parascientific methods. According to our current knowledge this military-led department existed only for less than a year, but led to a get-together of some of the most famous occultists and parascientists of the time. Historically, this seems to be in conflict with the “Sonderaktion Heß”, the Nazi’s “special action” response to the infamous Heß flight, that, only a few months previously (June 1941), was to ban any influence that occultists, parascientists and astrologers might conceivably have on German public life. According to our research that action was not the end of all occult and parascientific activities during the time of the Third Reich. Rather, these activities continued even after 1941 in a specific way. The prerequisite here was that these practices were performed in accordance with the Nazi ideology and could be exploited for warfare. However, the potential technical recoverability had priority over any ideological concerns. The role of occultists and parascientists during the time of the Third Reich must be judged in a more detailed way than has been done so far. Some of the protagonists were persecuted, others were followers of or believers in the Nazi system. In addition to its immediate documentary purpose, the present case study serves to refocus the relationship between occultism and national socialism." More Info: "Schlüsselbegriffe: Kriegsmarine – Nationalsozialismus – Pendelforschung – Radiästhesie – „Sonderaktion Heß“ – Wissenschaftlicher Okkultismus Keywords: German Navy – national socialism – pendulum research – radiesthesia – Nazi “special action” response to Heß flight – scientific occultism

2024 Wissenschaft und prähistorische Forschung in fünf politischen Systemen. Robert Rudolf Schmidt (1882–1950) und die SS-Grabung Mauern 1937 bei Rennertshofen

Praehistorische Zeitschrift, 2024

Zusammenfassung: Der Gründer des ersten freien und nichtstaatlich finanzierten Forschungsinstitutes für Ur-und Frühgeschichte in Deutschland im Jahre 1921, des UFI in Tübingen, Robert Rudolf Schmidt, verdient es, für eine bislang wenig beachtete Schlüsselphase seines Lebens nach seiner Entlassung aus dem Universitätsdienst im Frühjahr 1934 noch einmal betrachtet zu werden. Und dies, obwohl seine Person schon mehrfach aus wissenschaftlicher Sicht bewertet wurde1. Neue Dokumente aus Privatarchiven ergänzen seine Forscher-Vita und sind geeignet, unter anderem Blickwinkel fachlich bereits vorgebrachte Narrative zu seiner Person erneut zu beleuchten. Dies trifft besonders auf die unter ihm vorgenommene Ausgrabung in den paläolithischen Höhlen von Mauern bei Rennertshofen in Bayern zu, die sich bislang einer genaueren Nachschau entzogen hatte. Er war bei seinem wissenschaftlichen Wirken im 20. Jahrhundert in fünf politischen Systemen tätig. Im Kaiserreich (bis 1918), in der Weimarer Republik (bis 1933), im Nationalsozialismus (bis 1945), in der Alliiertenzeit (bis 1949) und in seinen letzten Lebensmonaten in der Bundesrepublik Deutschland (ab 1949), deren Anforderungen er sich stellte, deren Spielräume er für seine prähistorische Forschung zu nutzten versuchte, an denen er aber mehrfach scheiterte.

Deutsche Freikorps. Sozialgeschichte und Kontinuitäten paramilitärischer Gewalt zwischen Weltkrieg, Revolution und Nationalsozialismus [Friedrich-Ebert-Preis 2022 der Forschungsstelle Weimarer Republik der FSU Jena und des Weimarer Republik e.V., Weimar, Februar 2022].

Die Forschung zur Weimarer Republik hat sich in erheblichem Maße auf die Reichsebene und ihre Politik konzentriert. Das ist nachvollziehbar, zeichnet aber ein falsches Bild von einem politischen System, dessen Strukturen föderativ angelegt waren. Am Anfang hatte die Republik 24 Länder, am Ende noch 17. Das mit Abstand größte Land, Preußen, ist als Bollwerk der Demokratie bekannt-das zweitgrößte Land, Bayern, eher weniger. Aber abgesehen von diesen beiden Ländern gibt es noch 22 (bzw. 15) weitere Länder, die alle ihre eigenen Verfassungsstrukturen, ihre Parteien und Regierungen hatten.

Internationale Wissenschaftskommunikation und Nationalsozialismus

2022

Ohne Austausch gibt es keine Wissenschaft; ohne grenzüberschreitende Kommunikation sind wissenschaftliches Handeln und Erkenntnisproduktion kaum vorstellbar. Was heute wie eine Selbstverständlichkeit klingt, erweist sich bei näheren Blicken auf die komplizierten Verhältnisse wissenschaftlicher Kommunikation im 20. Jahrhundert als mehrfache Herausforderung. Sind schon die verschlungenen Wege des wissenschaftlichen Verkehrs nach dem Ersten Weltkrieg keineswegs einfach zu entwirren, stellen sich die Wissenschaftsbeziehungen des nationalsozialistischen Deutschland zum Ausland als noch weitaus komplexer und widerspruchsreicher dar: Während in politischen Verlautbarungen von Funktionsträgern des NS-Regimes sowie in diversen theoretischen Reflexionen dezidiert partikularistische Konzeptionen von Wissenschaft propagiert und explizite Absagen an die »internationale Gelehrtenrepublik« verkündet werden, 1 entwickeln sich in der Praxis verschiedene (und zum Teil bis heute existierende) Arbeits-, Interaktions-und Organisationsformen sowie Institutionen, die eine grenzüberschreitende Wissenschaftskommunikation garantieren, aber vor allem kontrollieren sollten. Zu den Einrichtungen, die dem