Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen Denkens (original) (raw)

"Einleitung", gemeinsam mit Christine Blättler, in: Christine Blättler und Christian Voller [Hrsg.]: Walter Benjamin. Politisches Denken. Baden Baden, Nomos 2017, 9-28.

Einleitung Am 22. Juni 1938 notierte Walter Benjamin in seinem Tagebuch: Der Staat soll verschwinden. Diese Forderung findet sich in dem Manuskriptausschnitt, der auf dem Umschlag des vorliegenden Buches abgebildet ist, und sie stellt eine der nicht eben zahlreichen Formulierungen dar, in denen sich Benjamin ausdrücklich auf den Staat bezieht. Denn obwohl jene kritische Theorie der Moderne, auf die seine Arbeit spätestens seit Mitte der 1920er Jahre zielte, ohne eine Kritik des modernen Staates unvollständig bleiben musste, weist Benjamins Werk weder eine Staatstheorie noch deren explizite Kritik auf. Es finden sich auch keine Hinweise darauf, dass Benjamin eine solche Theorie auszuarbeiten plante. Während in den frühen Arbeiten die Frage nach dem Souverän und der Souveränität das Zentrum seines politischen Denkens bildet, rückt im Umfeld der Passagen-Arbeit die Warenform an die Stelle einer Schlüsselkategorie für die Kritik der bürgerlichen und nachbürgerlichen Moderne. Hier wie dort wird das Thema Staat jedoch lediglich gestreift und bleibt -obwohl sich Benjamin intensiv mit Staatsdenkern wie Carl Schmitt oder Staatskritikern wie Karl Marx auseinandersetzte -letztlich ein ausgesprochenes Randphänomen. Für einen Beitrag zur Reihe Staatsverständnisse stellt dieser Befund, den eine Forschung zu bestätigen scheint, die Aspekten der Staatstheorie bei Benjamin bislang kaum Aufmerksamkeit entgegengebracht hat, augenscheinlich ein Problem dar. Er nötigt von daher zu einigen rahmenden Vorbemerkungen. Mittelbare Staatskritik: Aspekte einer politischen Philosophie Benjamins

Unterwegs zu einer politischen Philologie

2019

Wie vor ihm schon Peter Szondi mit seinem Traktat Über philologische Erkenntnis (1967) unternimmt Werner Hamacher den Versuch, für die Philologie und ihren-formuliert man es nietzscheanisch-‚Nutzen und Nachteil für das Leben' zu plädieren. Der Titel dieses Plädoyers: Für-die Philologie (2007). Anders als bei Szondi jedoch ist bei Hamacher deutlich zu erkennen, dass er nicht alleine über sein Fach und dessen disziplin-technische Prämissen und Konturen reflektiert, sondern dabei einen entscheidenden Schritt weitergeht. Er überlässt seine Mandantin, die Philologie (die er gerne als eine mündige sehen möchte), einer allzu unbequemen Anklagebank und setzt sie während der ganzen Untersuchung dem möglichen, denkbaren Ausweg aus, sie könnte den Prozess um ihr Wozu? am Ende verlieren. Und doch, wer Philologe ist, so Hamacher, stellt die philologische Frage, stellt die Philologie in Frage, verteidigt sie, versucht sie als Praxis zu legitimieren und muss dabei doch stets das Risiko in Kauf nehmen, dass seine Apologie misslingt, seine Mandantin es vielleicht nicht wert ist, vertreten zu werden und keine Bedeutung hat, "die ihren Bestand rechtfertigen könnte" , irgendwann kraftlos zusammensackt oder aber, dass einer der gela 2 denen Zeugen-die Philosophie zum Beispiel-den Prozess mit einer fatalen Aussage vorschnell beendet und am Ende eine Art Schierlingsbecher auf den Unverstandenen wartet. Hamacher stellt im Ganzen zwei Fragen, die beide miteinander einhergehen, aus der jeweils anderen resultieren: Was ist Philologie? und ist es richtig, ist es begründbar, ist es recht, Philologe zu sein? Warum und wozu sich mit Texten-literarischen vor allem-befassen? Das Was-ist?, einer Praxis als Wesensfrage gestellt, ist zugleich ein Versuch der Rechtfertigung derselben; für diese Folge gebraucht die vorliegende Arbeit den Begriff des Politi

Politische Ideen und politische Bildung

2018

​Dieses Buch hat die Beobachtung zum Ausgangspunkt, dass politische Ideen seit jeher das politische Denken und die politische Praxis bestimmen. Sie sind mit dem Politischen verwoben, sei es offensichtlich, implizit oder kaschiert. Doch wie steht es um das Verhaltnis politischer Ideen und politischer Bildung? Als Unterrichtsgegenstande stehen sie in den schulischen Curricula. In den einschlagigen Nachschlagewerken der politischen Bildung finden politische Ideen allenfalls indirekt Beachtung. In den Beitragen des Sammelbandes wird das Verhaltnis politischer Ideen und politischer Bildung in seinen unterschiedlichen Dimensionen reflektiert.

Das politische Bild im Fokus der sozial- und kulturwissenschaftlichen Methodendiskussion

2015

Zusammenfassung: Ich beschaftige mich in diesem Beitrag im Rahmen einer Doppelrezension mit zwei lesenswerten Anthologien, die das Bild "Situation Room" aus unterschiedlichen disziplinaren und methodisch-theoretischen Perspektiven der Bildinterpretation untersuchen. Beide Anthologien gingen aus einer Tagung hervor und widmen sich der Analyse jener enorm wirkungsmachtigen politischen Fotografie, die die Fuhrungselite des Weisen Hauses (angeblich) bei der Verfolgung der Liveubertragung der Totung BIN LADENs zeigt. Beide Bande verstehen sich zudem als Beitrag zur aktuellen Bildanalysediskussion, die Positionen journalistischer, kunsthistorischer, in erster Linie aber sozialund kulturwissenschaftlicher Provenienz ins Zentrum stellen. Die Bande werden nicht nur einer kritischen Lekture unterzogen, sondern ihr durchaus wertvoller Status im Kontext der jungeren sozialund kulturwissenschaftlichen Bilddiskussion wird eingeordnet.

Für eine politikwissenschaftliche Ideengeschichte

Helmut Reinalter: Neue Perspektiven der Ideengeschichte, 2015

Die Ideengeschichte erscheint im Rahmen der modernen Politikwissenschaft, die sich als Sozialwissenschaft versteht, als Fremdkörper, weil sie auf Quellen zurückgreift, die sich dem Anspruch empirischer Überprüfbarkeit entziehen und stattdessen eines traditionell in den Geisteswissenschaften verorteten Vorgehens bedürfen. Dabei scheint die Bedeutung der Ideengeschichte für die Politikwissenschaft und zugleich die Eigenständigkeit des Teilbereichs Politische Theorie im Rahmen der Politikwissenschaft gerade in ihren "untypischen" Erkenntnisquellen zu liegen, die dem Fach Tiefe und Rückversicherung bieten können, weil sie ein spezifisches politik-theoretisches Potenzial bergen.