Das Wahr-Sagen des Marxismus (original) (raw)
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Im Nationalsozialismus
zess durchd ie Ankläger bisher »so gut wie kein wahres Wort gesagt« wurde (Platon 2004: 5), nun aber die Zuhörer »die ganze Wahrheit zu hören« bekämen (Platon 2004: 5). Auch Sokrates spricht unter Gefährdung der eigenen Person und erhebt, wie Huber, Anspruch darauf, Wahrheit nicht nur erkennen, sondern auch von Unwahrheit unterscheiden zu können (lediglich der Rekurs auf die innewohnende Notwendigkeit des Wahr-Sagens fehlt an dieser Stelle). So zeigt sich bei Huber wie schon bei (Platons) Sokrates der strategische Kampf um Wahrheits-und Wirklichkeitskonstruktionen sowie-zuschreibungen, der nicht durch Evidenzen, sondern auch durchrhetorische Überzeugungskraftgeprägt ist. Schon in der Antike wurde dabei die Notwendigkeit der Rhetorik zur Unterstützung der Durchsetzungv on Wahrheit(sansprüchen) anerkannt (vgl.
Modernistischer Realismus der Arbeiterbewegungsliteratur
Realisms of the Avant-Garde, ed. Moritz Baßler e tal, 2020
Die Rezeption der literarischen Produktion der Arbeiterbewegung seit der Novemberrevolution von 1918/1919 ist in Deutschland und über dieses hinaus von einem literaturtheoretischen Diskurs bestimmt worden, der eine an die Realismen des neunzehnten Jahrhunderts anschließende Literatur und eine avantgardistische bzw. modernistische Tradition einander gegenüberstellt. 1 Varianten dieser normästhetischen Dichotomie finden sich in dem an Franz Mehring angelehnten, insbesondere von Gertrud Alexander vertretenen Literaturverständnis der kommunistischen Tageszeitung Die Rote Fahne, in Georg Lukácsʼ Ablehnung der Dokumentarverfahren Ernst Ottwalts und Willi Bredels in der späten Weimarer Republik, im sogenannten Expressionismus-Streit des Exils und in der Programmatik des sozialistischen Realismus, die eine sozialistische Weltliteratur von jeglicher modernistischen Tendenz freihalten wollte. 2 Diese die öffentlichen Debatten des linken literarischen Feldes strukturierende Dichotomie überschattete historisch zum einen weitaus flexiblere Realismusauffassungen von Arbeiterbewegungsschriftstellern wie Bertolt Brecht und Anna Seghers, die von einer Pluralität realistischer Formen ausgingen und zu diesen ausdrücklich avantgardistische Verfahren zählten. 3 Sie verhinderte zum anderen die literaturgeschichtliche Analyse einer durch das Zusammentreffen von Avantgarden und Arbeiterbewegung entstehenden Form realistischen Schrei
Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 2010
Die Rede vom »Einbruch des Realen« wird am Beispiel von Adalbert Stifter und Karl Marx an einem historischen Krisenmoment, der Revolution von 1848, auf ihre Triftigkeit iiberpriift. Die Strategien beider Protagonisten werden vor dem Hintergrund der Krise der sozialen Signifikation und der Konflikte in denintellektuellen Feldern der Jahrhundertmitte analysiert; gerade die spiegelverkehrte Optik der beiden Protagonisten erweist sich als aufschlussreich. Der Beitrag schlielSt mit Dberlegungen zur »Episierung« in Literatur, Wissenschaft und Politik nach dem »Drama« von 1848.
2/2013 Der wahre Marx ist der ganze? "Versuch über den Zusammenhang einer Theorie"
Es dürfte nur ein Jahrzehnt in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben haben, in dem die Marx'sche Theorie Gegenstand unzähliger akademischer Publikationen und Kontroversen wurde. Vielgestaltig waren diese Auseinandersetzungen und vergessen scheint ihre Leidenschaft für das Verästelte, Feine bis Grobschlächtige: Ihre Versenkungen in die politisch-ökonomischen Manuskripte und deren junghegelianische Anreger, ihre Zerlegungen des Verhältnisses von Logischem und Historischem in der Kritik der politischen Ökonomie. Vergessen scheinen auch bestimmte Frontverläufe – verlief die Grenze zu anderen Exegeten beispielsweise dort, wo man die Genese der Sowjetunion in seine Ausformulierung der Theorie der asiatischen Produktionsweise miteinbezog. Als Marxologie oder bloße Philologie von einer Mehrheit ihrer potentiellen Leserschaft abgetan (barg doch deren orthodoxe oder spontaneistische Gesinnung die Blockierung einer angemessenen Praxis der Theorie), blieb ihre Wirksamkeit begrenzt.
Über Marx und den Marxismus (1990)
Chung-Ang University Journal of Humanities 17, 1990, 203-212.
In der gegenwärtigen Situation über Marxismus zu sprechen scheint entweder sehr einfach oder aber prekär zu sein. Haben wir doch den völligen Zusammenbruch der vom Marxismus-Leninismus als Staatsidee getragenen sozialistischen oder kommunistischen Systeme Osteuropas und der Sowjetunion unmittelbar vor Augen. Hat sich also der Marxismus nicht gerade selbst widerlegt? Nicht bloß theoretisch, sondern auch praktisch? Auf der anderen Seite scheint der Kapitalismus bis auf einige Ausnahmen endgültig seinen Siegeszug angetreten zu haben. Wozu also noch groß über Marxismus reden oder gar Positives in ihm finden wollen? Ist der Marxismus nicht nur noch von historischem Interesse? Oder macht man es sich auf diese Weise zu einfach? Waren und sind jene kommunistischen Staaten überhaupt legitime Erben der wohlverstandenen Lehre von Marx oder war sie in ihnen nicht schon längst zum Dogma erstarrt und pervertiert worden? Wenn man diese Fragen beantworten will, muss man also zunchst einmal auf Marx selber zurückgehen und die geschichtlichen Veränderungen, die diese Theorie im Laufe der Geschichte erfahren hat, berücksichtigen. Man muß den Marxismus von seinen verschiedenen Erscheinungsformen und die Vielfalt der "Marxismen" von Marx selbst unterscheiden. Alle beziehen sich zwar auf Marx, aber die Art dieser Beziehung kann sehr verschieden sein und ist durch geschichtliche Wandlungen des Marxismus bedingt. Die Marxisten streiten selbst um das rechtmäßige Erbe von Marx und seine angemessene Interpretation. Ich kann daher im folgenden auch nur einige Grundlinien des Marxschen Denkens im Rahmen meiner und der gegebenen Möglichkeiten zu umreißen versuchen.
Revisionen des Realismus. Zwischen Sozialporträt und Profilbild, 2018
Dem Buch liegt die These zugrunde, dass der visuelle Konstruktivismus keine immanente Angelegenheit im »Reich der Zeichen« ist. Selbstbilder und Erscheinungsbilder in der individualistischen visuellen Kultur der sozialen Medien sind als »Erscheinungen« eines soziokulturellen »Wesens« zu rekonstruieren, das zugleich Resultat von Abstraktion und Resultat von realer Herrschaft und Gewalt ist. Auf diesem Felde bringt sich unerledigtes Problempotential aus der Tradition des philosophischen Universalienrealismus in Erinnerung.
Wahrheit und Revolution. Studien zur Grundproblematik der Marx'schen Gesellschaftskritik
Bielefeld: Transcript, 2020
It is evident that Marxʼs critique of society asserts the scientific claim of being true. But what concept of truth is it that underlies a form of reasoning that tries to understand the social and political circumstances with regard to the possibility of their practical upheaval? How does it differ from that of common scientific approaches that try to grasp the world ‘as it is’ instead of conceiving it as an inverted state which cannot remain what it is but generates the means by which it can eventually be overcome? What are the not merely theoretical but also political and even violent consequences of such a concept and why do they nevertheless neither derive from a subjective error nor a contamination of an otherwise ‘pure’ science? These questions will be tackled by three studies that carve out the immanent relation between the scientifically substantiated truth claim and the revolutionary perspective in Marxʼs writings by analysing the development of his scientific critique of capitalist society, his journalistic commentaries on European politics and his reflections on the organisation of revolutionary subjectivity. In doing so the authors also try to elucidate a pivotal problematique of any modern critique of society that raises a reasoned claim of being true.
Die Selbstreflexion des Marxismus
Prokla, 2016
Vor fünfzig Jahren, im Herbst 1966, erschien die Negative Dialektik, eines der wichtigen Werke Theodor W. Adornos. An diesem Buch arbeitete er mehr als sechs Jahre. Während dieses Zeitraums verfasste er Aufsätze, hielt mehrere Vorlesungen und bot mehrere Seminare an, die sich mit den Themen des Buches befassten. Die Negative Dialektik zählte er zu jenen Werken, die er "in die Waagschale zu werfen habe" (vgl. Adorno 1970: 537). Doch nicht, weil das Buch ein bedeutender Beitrag zur philosophischen Diskussion über Dialektik ist, soll es hier gewürdigt werden, sondern weil es einen der Meilensteine in der Entwicklung der marxistischen Theorie darstellt. An den Zusammenhang dieses Buches mit dem Marxismus und seine Bedeutung für ihn gilt es zu erinnern. Adornos Überlegungen stellen ausdrücklich ein kritisches Verhältnis zur 11. Feuerbach-These her: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern. " (Marx 1845, MEW 3: 7) Doch was ist, wenn die Bemühungen, die Welt zu verändern, gescheitert sind, man sich gleichwohl nicht entmutigen lassen, nicht aufgeben will und die Ziele weiterhin für richtig hält? Betrifft dies nicht auch die Theorie? Muss dann nicht die Frage nach der "Interpretation", nach der Theorie, nach den Subjekten der Theorie neu, nach einer Erneuerung der Theorie und der Intellektuellen gestellt werden? Adorno stellt diese Frage gleich zu Beginn des Buches: "Philosophie, die einmal überholt schien, erhält sich am Leben, weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward. Das summarische Urteil, sie habe die Welt bloß interpretiert, sei durch Resignation vor der Realität verkrüppelt auch in sich, wird zum Defaitismus der Vernunft, nachdem die Veränderung der Welt mißlang. " (Adorno 1966: 15) Das ist kein nachträglicher Triumph für die Philosophie. Sie hat sich historisch überlebt; es geht nicht um die naive Fortsetzung oder gar restaurative Wiederbelebung einer besonderen akademischen Wissenspraktik. Adornos Buch ist kein fachphilosophisches Buch. Wenn Philosophie fortgesetzt werden kann oder besser: fortgesetzt werden muss, dann, weil es nicht zu jener Verwirklichung der Theorie kam. An jenen folgenreichen Moment, an dem sich Theorie und
Die Lehren der postsowjetischen Marxisten
Zur Veröffentlichung vorgesehen in OSTEUROPA, 2014
Aus einem Zirkel kritischer Marxisten, die für die Erneuerung des Sowjetsozialismus eintraten, ist an Instituten der Russländischen Akademie der Wissenschaften und der Moskauer Staatsuniversität die Schule des postsowjetischen Marxismus hervorgegangen. Ihre führenden Köpfe Aleksandr Buzgalin und Andrej Kolganov erklären das Scheitern des Sowjetsozialismus in der Tradition von Lev Trockij sehr verengt durch das Entstehen einer reformunwilligen Bürokratie. Sie versprechen sich vom Sieg weltweiter Bewegungen von Ökosozialisten und Globalisierungsgegnern den Übergang zu einer von allen Zwängen befreiten kommunistischen Zukunftsgesellschaft.
1952
Die Entseuchung, der wir 90% unserer bescheidenen Arbeit widmen, wird noch lange nach uns fortgeführt und erst in ferner Zukunft abgeschlossen werden: sie bekämpft die überall grassierende, allerorts und jederzeit gefährliche Epidemie des Revidierens, des Aktualisierens, des Ergänzens, des Erneuerns. Es wäre unnütz und sogar schädlich, den bakteriologischen Bombenabwurf zu personalisieren, jemanden - ob nah oder fern - dafür verantwortlich zu machen. Es handelt sich vielmehr darum, das Virus auszumachen und dagegen das Antibiotikum anzuwenden, das in der Kontinuität der Linie, in dem Festhalten an den Prinzipien besteht; es handelt sich darum, zu 99,99 Prozent das starrköpfige Wiederkäuen des Katechismus dem Abenteuer der neuen wissenschaftlichen Entdeckung vorzuziehen - letzteres erfordert Adlerflügel, aber jede Mücke fühlt sich vom Schicksal dazu berufen.