Schizophrenien aus personzentrierter Sicht (original) (raw)
Diagnosen stellen und dabei personzentriert sein
PERSON
Carl Rogers stand Fragen der Diagnostik in Beratung und Psychotherapie äußerst skeptisch gegenüber. Seine Argumente, die er 1951 ausführlich darlegte, bezogen sich dabei auf die Irrelevanz der Diagnostik für Beratung und Psychotherapie, auf die Intransparenz des diagnostischen Prozesses, auf die Gefahr der Manipulation Betroffener und auf die mit diagnostischen Feststellungen verbundene negative Bewertung der Betroffenen. Fragen der Klassifikation psychischer Störungen sprach er dabei nur in einer Fußnote an. In dieser schloss er die Anwendung psychiatrischer Diagnosen für die Zukunft nicht aus, wenn das Problem der niedrigen Reliabilität psychiatrischer Diagnosen gelöst sein sollte.Die Kritik an jeglicher Form der Klassifikation psychischer Störungen begann später, hält aber bis heute an. Das zentrale Argument lautet: die wichtigen psychologischen Charakteristika einer Person sind individuell und können nicht angemessen durch diagnostische Kategorien erfasst werden.In diesem Beitra...
Pers�nlichkeitsauff�lligkeiten und schizophrene Psychose
Der Nervenarzt, 2003
Die prämorbide Persönlichkeit Als prämorbide Persönlichkeit wird diejenige psychische Verfassung bezeichnet, die vor der eindeutigen Diagnose der Psychose bestanden haben soll. Auffälligkeiten dieser Persönlichkeit sind daraufhin untersucht worden,ob sie in einem wegbereitenden Zusammenhang mit der Erkrankung stehen.In diesem Sinne schwankten die Einschätzungen der Ende der 1970er Jahre erschienenen drei deutschsprachigen Schizophrenie-Studien,inwieweit die sog. Primärpersönlichkeit (noch) unauffällig ist,zwischen 17,3% [6],36,9% [11] und knapp 50% [4].Unter den prämorbid Auf
Dann geschieht etwas Merkwürdiges. Mein Bewusstsein (meiner selbst, meines Vaters, des Raums, der physikalischen Realität um uns herum) wird mit einem Mal verschwommen. […] Ich glaube, ich löse mich auf. Ich fühle mich […] wie eine Sandburg, deren ganzer Sand in die zurückweichende Brandung abrutscht. […] Das Bewusstsein verliert nach und nach seine Kohärenz. Das eigene Zentrum gibt nach. Das Zentrum hält nicht mehr. Das ‚Ich' wird zu einem Schleier, und das feste Zentrum, von dem aus man die Realität erlebt, zerbricht … Es gibt keinen stabilen Standpunkt mehr, von dem man Ausschau halten, die Dinge aufnehmen und einschätzen könnte, was geschieht. Kein Kern hält die Dinge noch zusammen oder bildet die Linse, durch die wir sonst die Welt sehen." (Saks 2007, 12 f.) 1 Dieser Bericht einer Patientin von ihren ersten Krankheitserfahrungen im 7. Lebensjahr belegt eindrucksvoll, wie die Schizophrenie das Selbsterleben im Kern erfassen kann. Zwar sind Phänomene der Selbstentfremdung oder Depersonalisation nicht auf die Schizophrenie beschränkt: Ein Sich-selbst-Fremdwerden im weiteren Sinn ist vielmehr so charakteristisch für psychische Krankheiten, dass bereits der Psychiater Wilhelm Griesinger (1861) die Entfremdung als ihr Grundmerkmal ansah, und die französische Psychiatrie bezeichnete sie insgesamt mit dem Begriff der aliénation. Doch allein die Schizophrenie stellt auch die Selbstzugehörigkeit der eigenen Empfindungen, Gedanken und Handlungen in Frage und bedroht schließlich die Person bei vollem Bewusstsein mit der Selbstauflösung. Für ein Verständnis dieser Erkrankung, das über die bloße Symptombeschreibung hinausgeht, ist daher eine philosophisch fundierte Psychopathologie unabdingbar. Umgekehrt müssen die schizophrenen Störungen des Selbsterlebens für jede Philosophie der Subjektivität von zentralem Interesse sein, die ihre Konzepte von Selbstbewusstsein, Personalität oder Intersubjektivität an empirischen Phänomenen überprüfen will. Die zentrale Rolle des Selbsterlebens für die schizophrenen Psychosen war von Psychiatern bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts betont worden. Kraepelin (1913, 668) charakterisierte die Schizophrenie als "eigenartige Zerstörung des inneren Zusammenhanges der psychischen Persönlichkeit" und als "Zersplitterung des Bewusstseins" ("Orchester ohne Dirigent"). Bleuler, der der Krankheit den heutigen Namen gab, sah ihre "[…] elementarsten Störungen in einer mangelhaften Einheit, in einer Zersplitterung und Aufspaltung des Denkens, Füh-1 Dieses und alle weiteren englischen Zitate wurden vom Autor ins Deutsche übersetzt. 888 Thomas Fuchs, Selbst und Schizophrenie lens und Wollens und des subjektiven Gefühles der Persönlichkeit" (Bleuler 1983, 411). Die Krankheit sei durch eine Dissoziation psychischer Vorgänge bestimmt, die zu einer "Spaltung der Persönlichkeit" führe und das Ich nie "ganz intakt" lasse (Bleuler 1911, 58). Berze nahm wenig später eine "basale Veränderung des Selbstbewusstseins" und eine "Hypotonie des Bewusstseins" an (Berze 1916). Jaspers schließlich resümierte die von verschiedenen Autoren genannten Grundstörungen der Schizophrenie in den Begriffen von "Inkohärenz, Spaltungen, Zerfall des Bewusstseins, […] Schwäche der Apperzeption, Insuffizienz der psychischen Aktivität, Störung der Assoziationsspannung" und fügte selbst das Erlebnis des von außen "Gemachten" hinzu, das die Gedanken, Wahrnehmungen oder Handlungen der Kranken erfasse (Jaspers 1946.
Auf der Suche nach Vulnerabilitätsgenen der Schizophrenie
2004
The user has requested enhancement of the downloaded file. All in-text references underlined in blue are added to the original document and are linked to publications on ResearchGate, letting you access and read them immediately. Schosser und Aschauer, Auf der Suche nach Vulnerabilitätsgenen der Schizophrenie Wien Klin Wochenschr (2004) 116/24: 827-833 © Springer-Verlag 2004 wiener klinische wochenschrift the middle european journal of medicine
Tatbilder schizophrener und wahnhafter Täter
Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 2010
Besides the ongoing discussion of a higher prevalence for criminal offences in persons with schizophrenia, the question if there is a causal relationship between Schizophrenia and the delinquency of schizophrenic offenders is of special interest for the prognosis in this group of offenders. The answer to the question of a possible causal relationship between schizophrenic illness and the type of offence seems to be more often than not ambiguous. The analysis of this possible causal relationship moreover leads to the question of a typology of offences commited by schizophrenic persons. The paper deals with this question by analyzing the offences of 133 patients of the LWL-Center for Forensic Psychiatry Lippstadt, diagnosed with schizophrenia, schizoaffective and delusional disorders
Phänomenologische Analysen schizophrener Störungen ergänzen die experimentell ausgerichteten empirischen Wissenschaften um die Dimension des subjektiven Erlebens sowie der Lebenswelt. Dabei betont das phänomenologische Verständnis schizophrener Störungen die Bedeutung von verkörperten Selbststörungen (‚disembodiment‘), die grundsätzlich lebensweltlich gebunden sind und somit zumeist die lebenspraktischen und sozialen Fertigkeiten der Betroffenen beeinträchtigen. Bislang wurden jedoch kaum therapeutische Konsequenzen aus diesem Verständnis der Schizophrenien gezogen. Der vorliegende Beitrag zielt daher darauf, diese sowohl philosophische als auch praktisch-psychiatrische Lücke ein Stück weit zu schließen. Hierzu werden zum einen mögliche therapeutische Konsequenzen aus phänomenologischen Analysen der Schizophrenien diskutiert, zum anderen aber auch erste konkrete Erfahrungen mit einem derartigen Therapiekonzept auf einer kleinen Behandlungseinheit für schizophrene Ersterkrankte berichtet. Vier therapeutische Konsequenzen werden detailliert theoretisch begründet und praktisch beschrieben: (1.) die Bedeutung gemeinsamer Versprachlichung und Konzeptualisierung präreflektiver Selbststörungen, (2.) die Möglichkeit, mithilfe körperorientierter Verfahren und Alltagstätigkeiten diejenigen Prozesse zu rekonfigurieren, die schizophrenen Selbststörungen zugrunde liegen, (3.) die durch prototypische Verwendungs- und Verweisungsbezüge strukturierte räumlich-architektonische Gestaltung des Behandlungskontextes sowie (4.) die systematische Nutzung der in einem „natürlichen“ Behandlungskontext (mit realen gemeinschaftlich zu bewältigenden Aufgaben) spontan auftretenden Prozesse des lebensweltlichen, sozial gebundenen Lernens und Übens für die Restitution alltagspraktischer und sozialer Fertigkeiten. Für die Umsetzung dieser Behandlungsvorschläge eignen sich primär kleinere Behandlungseinheiten, die z.B. nach dem Soteria-Gedanken Selbstversorgung und engmaschige Betreuung beinhalten. Darüber hinaus sind die phänomenologischen Schizophrenie-Analysen mitsamt ihrer therapeutischen Konsequenzen in der Lage, die zuletzt kaum sichtbare theoretische Auseinandersetzung mit dem Soteria-Konzept zu beleben. Dies soll anhand phänomenologisch begründeter Modifikationen des Soteria-Konzeptes, bisheriger klinischer Erfahrungen sowie zukünftiger Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.
Der Begriff „Schizophrenie“ ist eine mittlerweile hundert Jahre alte Erfindung des Psychiaters Eugen Bleuler. Längst ist der Begriff zum Allgemeingut unserer Alltagssprache geworden, sodass wir mittlerweile auch Ikea-Gebrauchsanweisungen oder Parteiprogramme als „schizophren“ bezeichnen. Doch mit dem Begriff verbinden sich bei aller Alltäglichkeit auch Vorstellungen von menschlichen Abgründen und Verformungen, die Verunsicherung und Angst in uns auslösen. „Schizophrenie“ steht so wie kein anderes Wort für Wahnsinn und jene, die wir so nennen, sind wie kaum eine andere Gruppe psychisch erkrankter Menschen sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung ausgesetzt. Dazu hat auch die Unterhaltungsindustrie durch Filme wie etwa Hitchcocks „Psycho“ oder Kubricks „Shining“ - um nur die besseren Beispiele zu nennen – beigetragen. Hier erscheint der schizophrene Mensch als gemeingefährliche und entbändigte Bestie, die wir erleichtert der (uns) schützenden Sorge des Psychiaters übergeben. Doch fragt man die Betroffenen selbst, so findet sich wenig von diesem diabolischen Bild des Wahnsinnigen. In ihren Schilderungen zeigt sich vor allem eines: Der Verlust jener Selbstverständlichkeiten, die für uns die Grundlage unseres zwischenmenschlichen Alltags sind. Was so zutage tritt, ist weniger die Welt des Schreckens und der Gefahr als vielmehr der Vereinsamung und Hilflosigkeit. Wie einem Menschen in dieser Vereinsamung begegnen? Wäre hier wirklich immer zuerst der Ruf nach medizinischer Hilfe angezeigt? Wäre die Schizophrenie nicht vielleicht zuerst ein philosophisches Thema? Dieser Frage möchte ich in meinem Vortrag nachgehen. Denn Einsamkeit ist Grundmotiv der Philosophie. Nicht umsonst trägt der Wanderpfad um Heidelberg den Namen „Philosophen-Weg“ - man kann auf ihm nur alleine gehen. Allerdings möchte ich mich in meinem Vortrag auf eine Schule beschränken: Die Phänomenologie und die phänomenologische Psychiatrie. Sie hat sich das Heraustreten aus den zwischenmenschlichen Selbstverständlichkeiten des Alltags zum Hauptthema gemacht. Aus der Komplizenschaft von Phänomenologin und Schizophrenem möchte ich so Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Normalität und Wahnsinn mit Ihnen diskutieren. Dabei interessiert mich vor allem die Frage, wie sehr wir uns den Wahnsinn eines Mitmenschen philosophisch veranschaulichen und nahebringen können.