Das feuilletonistische Berliner Großstadtbild als Dokument der Moderne (original) (raw)
Related papers
Düsterer Hintergrund und reizende Reste. Zum Bild der alten Stadt in den Projekten der Moderne
Stadtbild und Denkmalpflege. Konstruktion und Rezeption von Bildern der Stadt, hg. von Sigrid Brandt und Hans-Rudolf Meier, 2008
Die Vorstellungen von Stadt, aus denen heraus die Projektionen ihrer Veränderung oder Entwicklung erwachsen, folgen nicht allein der praktischen Erfahrung und den Reflexionen der Stadtkritik. Ebenso prägend für den Stadtentwurf sind der jeweilige Bildbegriff, die Abbildungsverfahren und die damit beeinflussten Sehgewohnheiten. Diese Faktoren wandeln sich und es ist offenbar, dass dieser Wandel durch die Veränderungen der uns umgebenden Welt, und das ist zunehmend die Stadt selbst, vorangetrieben wird. Dieser Beziehung soll anhand einiger Stadtprojekte der modernen Avantgarde nachgegangen werden.
Berlin in 24 Stunden. Zur urbanen Geschichtsschreibung in Annett Gröschners "Walpurgistag"
Der vorliegende Beitrag setzt sich zum Ziel, litererische Streitegien einer urbanen Geschichtschreibung in Annett Gröschners Roman „Walpurgistag“ (2011) aufzuzeigen. Die Autorin unternimmt in „Walpurgisnacht“ einen Versuch, die stets vorhandene, aber unmöglich simultan zu erzählende Geschichte der Stadt in einen historiographischen Text zu übertragen, indem sie konkrete Schichten der Stadtgeschichte präpariert und sie in gegenwärtigen Kontext, d.h. in die Lebensgeschichten der Romanfiguren einbaut.
2023
In den Modernisierungsgeschichten über den Aufstieg der „Elektropolis“ Berlin finden wir kaum verlässliche Informationen dazu, wie sich das alte städtische Handwerk in der modernen Metropole weiterentwickelt hat. In dem Beitrag wird argumentiert, dass handwerkliche Praktiken des Flickens und Ausbesserns im frühen 20. Jahrhundert eine zentrale Voraussetzung waren, um die noch junge elektrifizierte und motorisierte „Weltstadt“ funktionsfähig zu halten. Neue Konsumtechniken wie Kraftfahrzeuge oder Rundfunk und neue städtische Infrastrukturen wie die Strom- und Wasserversorgung gingen mit vielfältigen Reparaturbedarfen einher. Eine Schar hochqualifizierter Kfz-Mechaniker, Rundfunk-Reparateure und Reparaturklempner brachte das technische Know-How mit, um diesen Anforderungen zu begegnen, die die Massenproduktion, Urbanisierung und Vernetzung der Stadt befördert hatten.
Text+Kritik, Sonderband Theodor Fontane, 2019
In Fontanes Berlin mit seinen Sichtachsen, Beobachterposten am Fenster(-spiegel) und der starken Fokussierung auf Innenräume gilt weitgehend noch die statische Seh-Ordnung, wie sie mit Renate Brosch für das 19. Jahrhundert als dominant anzusehen ist. Wo der urbane Raum als solcher in Fontanes Werken sichtbar wird, weist er noch immer stark zurück auf literarische Großstadtdarstellungen des 18. und 19. Jahrhunderts von Autoren wie E.T.A. Hoffmann, Poe, Balzac und Dickens, die die Wahrnehmungszumutungen und -reize der Großstadt in Genre-Bilder überführt und topisch gewordene urbane Wahrnehmungssituationen in Szene gesetzt haben. Doch zugleich befindet sich ‚Fontanopolis‘ an der Schwelle zur multimodalen und polyphonen Moderne, wie sie beispielsweise in Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ (1929) narrativ inszeniert wird: Flanierende Figuren wie Olga und Waldemar in Fontanes „Stine“ (1890) erleben als dynamisierte Betrachter die multi-sensorische Eindrücklichkeit der modernen, sich wandelnden Großstadt und ihrer Deutungsoffenheiten. Ironisch perspektivierte, ‚merkwürdige‘ Raumordnungen und die für Fontane typische Dialogizität konfrontiert die Leserinnen und Leser mit der ‚Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‘, mit dem Aufeinandertreffen von Mentalitäten und Stilen und setzt so die Prozesshaftigkeit von Moderne in Szene.
Paris in vielen Augenblicken geliefert Le Panorama und die serielle Ästhetik des städtischen Lebens
Claudia Öhlschläger (Hg.), Urbane Kulturen und Räume intermedial. Zur Lesbarkeit der Stadt in interdisziplinärer Perspektive, Bielefeld: Transcript, S. 83-133., 2020
»C'est Paris tout entier qui tient dans ces pages, l'immense ville, non pas immobile et froide, mais vivante, saisie sous ses aspects innombrables, avec sa physionomie, son mouvement et son atmosphère«, 1 so formulieren die Verleger den Anspruch von Paris instantané, einem an der Wende zum 20. Jahrhundert erschienenen Lieferungswerk. Doch was motiviert die Werbung zu dem vollmundigen Versprechen, dass auf diesen Seiten ganz Paris seinen Platz finde? Immerhin handelt es sich, wie der Werbetext selbst hervorhebt, um eine riesige Stadt, die sich selbst von der Vielzahl der in dem Band versammelten Fotografien allenfalls in Ausschnitten einfangen lässt. Auch noch als Reklame muss die Aussage für die Zeitgenossen eine gewisse Sinnhaftigkeit beanspruchen, um das Produkt überzeugend anzupreisen. Die Tragfähigkeit des Versprechens wird, so die meinem Aufsatz zugrundeliegende These, durch die Medien sichergestellt, die in Paris instantané zusammenkommen: die Momentfotografie einerseits, die serielle Publikation des Lieferungswerks andererseits. In einer medienwissenschaftlichen Betrachtung möchte dieser Beitrag exemplarisch zeigen, wie Medienspezifik an der Formung eines jeweils spezifischen Bildes der Stadt beteiligt ist. In diesem Zusammenhang werden Medien nicht als unwandelbare, durch ihre Technik ontologisch fixierte Gegebenheiten vorausgesetzt, sondern als dynamischer Möglichkeitshorizont medialer Formbildung, dessen Grenze sich in kontinuierlichem Wandel befindet. Jede Aktualisierung einer medialen Form gewinnt ihren Sinn vor dem Hintergrund des Mediums, umgekehrt arbeitet jeder Gebrauch eines Mediums zugleich an dessen fortlaufender Konstituierung mit, insofern er sich auf die gegebenen Voraussetzungen bezieht, diese affirmiert oder modifiziert. In diesem Sinn gilt es nicht, durch die mediale Form das Wesen des Mediums, was auch immer das sein könnte, zu ergründen, sondern der Begegnung der Fotografie mit einem periodischen Printmedium in einer historisch spezifischen kulturellen
Der Aufsatz demonstriert die Sonderrolle West-Berlins an drei Prozessen exemplarisch auf dem Feld der Popgeschichte: Erstens der Ideologisierung aufgrund der herausgehobenen Frontstellung im Kalten Krieg (vor allem im Rundfunk), zweitens der Internationalisierung durch die Präsenz der drei Westalliierten in der Stadt sowie -- drittens -- einer subkulturellen Radikalisierung, die durch die Insellage West-Berlins und den Zustrom von "Totalverweigerern" begünstigt wurde. Indem der Text Landmarks und Topographien der Nacht katrographiert, entwirft er Teilbereiche einer "Popscape" West-Berlin, die es künftig -- auch vergleichend und transnational -- zu erforschen gelte.
Grossstadt als Mnemo-Kartographie: Robert Müllers Manhattan
Obwohl Robert Müller von den Kritikern seines Werkes als einer der größten Expressionisten Österreichs zelebriert wird, hat der Wiener Schrift steller innerhalb der etablierten Expressionismusforschung noch keine würdige Stelle erreicht. Selbst wenn die Zahl spezifi scher Studien über Müller seit der Veröff entlichung des Gesamtwerks von Günter Helmes allmählich anwächst, wird er in Werken der Literaturgeschichte und in übergreifenden Epochendarstellungen kaum erwähnt. [1] Diese Tatsache lässt sich sicherlich durch verschiedene Gründe erklären, darunter die Schwierigkeiten, die die Schrift en Müllers und hauptsächlich sein Meisterwerk Tropen. Der Mythos der Reise. Urkunden eines deutschen Ingenieurs (1915) seinen Lesern und Kritikern bereiten. Der wichtigste Grund ist aber meiner Ansicht nach die Randstellung Österreichs innerhalb einer sich angeblich zum größten Teil um Berlin drehenden Bewegung. Das hat zur Folge, dass das Vergessen Müllers und anderer österreichischer Expressionisten an einem Mangel der Expressionismusforschung selbst liegt, die nicht bereit scheint, einen seit längerer Zeit konstruierten und etablierten Begriff und den entsprechenden Kanon zu öff nen und angesichts neuer Autoren und Werke neu zu bestimmen. Der Expressionismusbegriff , der über die Jahre hinweg Bestand hatte, darunter die Chronologie, die Th e-1 In Th omas Anz's Literatur des Expressionismus z.B. verdient Tropen nur eine Randerwähnung, die sich als falsch erweist: er wird als Beispiel eines "zivilisationsfl üchtigen Exotismus" (Anz, 2002: 56), was von der Müller-Forschung schon längst widerlegt wurde, zitiert. 138 CATARINA MARTINS men, die Weltsicht, wird aber von den Österreichern, die sich wie Robert Müller als Expressionisten verstanden, in Frage gestellt. Ich werde hier einige Aspekte der Weltanschauung und Poetologie Müllers darstellen, die nach einem neuen Verständnis des Expressionismus als künstlerische, literarische und auch politische Bewegung verlangen. Dazu werde ich hauptsächlich einen gattungstheoretisch kaum klassifi zierbaren Komplex von Texten verwenden, der zwischen 1920 und 1923 in verschiedenen Zeitungen erschienen ist: Manhattan. Diese Texte wurden als Teil eines verschollenen Romans des Autors gedacht, der mit zwei anderen Romanen, darunter Tropen (1915), ein Triptychon mit dem Titel Atlantis bilden sollte (Heckner, 1992: 9). Sie wurden 1923 im Band Rassen, Städte, Physiognomien wieder veröff entlicht. Die Tatsache, dass Müller seine Schrift en unter anderem durch dieses Triptychon als Einheit versteht, scheint mir an sich schon durchaus wichtig, sowohl für das Verständnis seines Werkes, dem allzu oft ein Mangel an Kohärenz vorgeworfen wurde, als auch für das Verständnis seiner Auff assung des Expressionismus. Denn Robert Müller ist geradezu das Gegenteil von inkonsistent: sein ganzes Werk entspricht der Entwicklung eines einheitlichen Projektes, das sich von 1914 bis 1924 erstreckt und verschiedene Namen bekommt, darunter: Tropen, Atlantis, aber auch Expressionismus und Aktivismus oder Politik des Geistes. Dieses Projekt bewegt sich meiner Ansicht nach um die Krise des Subjekts, die zentrale Frage Müllers, die ihn ständig zum Denken und Schreiben bewegt. Dies ist selbstverständlich auch die zentrale Frage der ästhetischen Moderne insgesamt und nicht nur des Expressionismus (in dessen Kontext von Ich-Dissoziation die Rede ist). Wie ich denke, macht Robert Müller aus dem Ensemble seiner Schrift en ein einziges Essay -einen Versuch -um das Ich der Moderne. Und ich behaupte Essay, nicht nur wegen der von der Müller-Forschung seit langem erkannten essayistischen Natur seiner Erzählungen [2] noch wegen der Tatsache, dass Müller überwiegend ein Essayist war, sondern hauptsächlich, weil dieser Versuch um das Ich größtenteils ‚unexpressionistisch' erfolgt, wenn ich den Expressionismus-Begriff provokativ als Synonym für eine zum größten Teil irrationelle, von mentaler Psychopathologie charakterisierte Welteinstellung und Ästhetik benutzen darf. Müllers Essay um das Ich erfolgt rationell, philosophisch und epistemologisch, auch wenn dem typisch Expressionistischen des Wahnsinns und des Visionären in seinen