Douglass W. Bailey, Prehistoric Figurines. Representation and Corporeality in the Neolithic (London/New York 2005). In: Prähist. Zeitschr. 83, 2008, 109-113. (original) (raw)
schreibt ein Buch über neolithische Figuralplastik und widmet es einer bulgarischen Kollegin. Hinter dieser Widmung steht eine der abenteuerlichsten Geschichten der archäologischen Forschung in Südosteuropa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, die schon für sich gesehen dieses kleine Werk zum Politikum macht: Unmittelbar in den Wendejahren der frühen 1990er begann Bailey seine Forschungstätigkeit in Südosteuropa. Erste Schritte führten ihn in den Nordosten Bulgariens, in die Stadt Tȃ rgovište, gelegen an den nördlichen Ausläufern des Balkangebirges. Die lange Jahre weitgehend isoliert von der internationalen Forschung arbeitenden Kollegen empfingen den Amerikaner in der absoluten Provinz mit offenen Armen. Stoff zu erforschen gab es schließlich genug, und nun bot sich die Möglichkeit, mit internationalem Sachverstand und amerikanisch-britischem Geld großflächige Feldsurveys und Grabungen zu unternehmen. Ilka Angelova, der das zu rezensierende Buch gewidmet ist, die damalige Kustodin für Urgeschichte und spätere Direktorin des Regionalmuseums in Tȃ rgovište war es, die Bailey bei seinen ersten Unternehmungen in Südosteuropa begleitete. Offenherzig und enthusiastisch begannen beide ihr Forschungsprojekt in dieser an herausragenden Fundplätzen so reichen Gegend. Über die Kupferzeit im Hinterland von Varna wussten wir in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren bereits viel. Beide PBF-Bände Alexandru Vulpes zu den Äxten und Beilen Rumäniens waren erschienen , und auch Nikolaj Č ernychs metallurgische Studien lagen vor (Č ernych 1978). Später belehrte uns Henrieta Todorova, die grande dame der bulgarischen Urgeschichtsforschung, noch über den Aufbau der kupferzeitlichen Siedlungen im westlichen Schwarzmeergebiet mit ihren an römische Kastelle erinnernden Grundrissen befestigter Siedlungen, wie sie sich im Inneren der spektakulären Siedlungshügel offenbarten (Todorova 1982). Doch was wussten wir vom frühen Neolithikum dieser Region, die spätestens seit G. Childes Standardwerk über die Donau in der Urgeschichte (Childe 1929) als Korridor für die Ausbreitung von Ackerbau und Viehzucht nach Europa galt? Genau an diesem Punkt wollten Angelova und Bailey ansetzen. Es begann das "Podgorica-Projekt", welches gleich mehrere Schlüsselfragen hätte beantworten können, wenn es denn über das Entwurfsstadium hinausgekommen wäre. Aus bis heute ungeklärten Gründen wurde Douglass Bailey buchstäblich von der Grabung weg verhaftet und nach polizeilichem Verhör durch die Behörden als "amerikanischer Spion" des Landes verwiesen. Ein Vorfall, der an Peinlichkeit kaum zu überbieten war. Bulgarien stellte sich am Vorabend seiner Eingliederung in die westlichen Staatengemeinschaften ein posttotalitäres Armutszeugnis aus. Dieser Vorgang war umso absurder, da im gesamten ehemaligen Ostblock zu diesem Zeitpunkt bereits mit großem Spektakel die Symbole des Sozialismus geschliffen wurden, dessen bedeutendsten Repräsentanten bereits entmachtet waren und zum Großteil hinter Schloss und Riegel saßen. Rumänien beseitigte seinen Potentaten sogar physisch nach einem juristischen Schnellverfahren, das auch in den kommenden Jahrzehnten noch tauglich ist, sämtliche Balkan-Ressentiments zu bestätigen. Und dennoch waren bereits unmittelbar nach den turbulenten Ereignissen des Übergangs die Länder Bulgarien und Rumänien sehr um eine Annäherung an den Westen bemüht. Was, so muss man sich fragen, hätte Bailey zu diesem Zeitpunk noch für den Westen ausspionieren sollen, als sich beinahe alle politischen Lager des Landes von der ebenfalls in Auflösung begriffenen Sowjetunion abwandten und nach Mitgliedschaften in EU und NATO strebten? Diese persönliche Erfahrung mag der Grund sein, für Baileys pessimistische Sicht auf die Entwicklung der bulgarischen Archäologie, wie er sie explizit in seinem Aufsatz "Bulgarian Archaeology. Ideology, Sociopolitics and the Exotic" (Bailey 1998) formuliert hat. Obwohl für die Ausweisung Baileys wohl niemals eine rationale Erklärung zu finden sein wird, da der Fall nun einmal einzig der Sphäre des Absurden zuzurechnen ist, liegt eine Teilerklärung vielleicht in der wissenschaftspolitischen Situation dieser Zeit begründet, als die alten Strukturen noch hinlänglich funktionierten, sich aber auf der anderen Seite die Kollegen in den Regionalmuseen anschickten, Kompetenzen vom Zentralinstitut abzuziehen und selbstständig Projekte zu entwickeln (vgl. Nikolov 2002). Offenbar kam diese Initiative völlig überraschend, denn niemand hätte zuvor gewagt, sich den Mut zu kühlen und jenseits der gewachsenen Strukturen eigene Kooperationen im Ausland zu suchen, zudem mit einem so aufsehenerregenden Projekt. Damals war es noch ein Einfaches, altvertraute Stereotypen zu bedienen und mit Hilfe der gut funktionierenden Strukturen im Untergrund den Auslöser der Unruhe selbst aus vorgeschobenen politischen Gründen zu entfernen. Der Fall Bailey ist bis heute im Bewusstsein der bulgarischen Kollegen, und insofern ruft das Buch nun auch wieder jene Vorgänge in Erinnerung, die einige der damaligen Protagonisten allzu schnell schon für vergessen glaubten.