Die moralische Aufgabe der „guten Europäer“ und die „zukünftigen Europäer“. In: Nietzsches Perspektiven. Denken und Dichten in der Moderne. Hrsg. v. Dietzsch, Steffen/Terne, Claudia. De Gruyter (Berlin/Boston) 2014, S. 385-406 (original) (raw)
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Die Freiheit des Philosophierens und das Amt der Philosophie. Nietzsches Vorschläge in unserer Orientierung Die Philosophie hat keinen vorgegebenen Gegenstand und keine vorgegebene Methode, sondern schafft sie sich selbst oder, sofern sie sich an schon geschaffene Gegenstände und Methoden hält, entscheidet sich für die einen oder andern. Auch Renate Reschke, ursprünglich Kulturwissenschaftlerin und Germanistin, also Quereinsteigerin in die Philosophie wie Nietzsche, hat sie sich geschaffen, in Gestalt vor allem der Kulturkritik und der Ästhetik, so wie sie sie verstanden und betrieben hat, oft, aber keineswegs nur im Anschluss an Nietzsche und lange unter widrigen Bedingungen, von denen sie sich nicht beirren ließ. In der mutigen eigenen Entscheidung für Gegenstand und Methode liegt gegenüber den anderen Wissenschaften eine der Freiheiten der Philosophie, von diesen und für diese Freiheiten lebt sie, und Renate Reschke hat ihren ganz eigentümlichen Gebrauch davon gemacht, der für sie charakteristisch wurde und sie auszeichnet. Die Philosophie, in die sie eingetreten war, kann auf diese Weise der menschlichen Orientierung überhaupt neue Spielräume, neue Perspektiven, neue Horizonte eröffnen, und wo mehr Freiheiten der Orientierung sind, bieten sich auf lange Sicht auch mehr Lebensmöglichkeiten für die Menschen. Solche Freiheiten entdeckt man nicht mit einem Mal und auch nicht nach vorgegebenen Regeln. In Europa können wir auf einen inzwischen über zweieinhalb Jahrtausende anhaltenden Prozess ihrer Entdeckungen zurückblicken, der manchmal rasch, manchmal zögernd, selten entschieden, oft unfreiwillig, nie geradlinig und sehr lange gar nicht im Bewusstsein der Befreiung verlief und von dem man darum auch heute nicht sagen kann, wohin er noch führen wird. Denn Befreiungen sind keineswegs immer willkommen, auch im Denken nicht. Sie setzen die Orientierung Risiken der Desorientierung aus, können hinfällig machen, woran man sich bisher dankbar gehalten hat, und so scheut man vor ihnen zurück oder sucht sich doch, wenn ein neuer Horizont weit draußen zu neuen Denk-und Lebensmöglichkeiten einlädt, in seiner Nähe um so fester in den vertrauten engeren Horizonten einzurichten. Wir kennen das nicht nur in der alltäglichen Orientierung, sondern
Nietzsche und der lange Flug des "guten Europäers"
Nietzsche-Studien, De Gruyter, 2023
Nietzsche and the Long Flight of the "Good European". The question of "the good European," as Nietzsche conceives it, refers to a complex process of cultural transformation that starts from the critical relationship toward the European Christian heritage. The three volumes discussed in this review single out three different aspects of this cultural process: a "new Enlightenment," which refers to the gradual liberation from the European tradition "in search of good Europeans" (Crescenzi / Gentili / Venturelli 2017), the early twentieth-century debate around "European identity" (Crescenzi / Gentili / Venturelli 2018), in which the good European takes on a precise role, and contemporary Europe and the current relevance of the good European (Brusotti / McNeal / Schubert / Siemens 2020). This review discusses and reflects critically on these three volumes, examining how they contribute to contemporary debates about Nietzsche and the question of a European culture.
Von der Bedeutung Nietzsches" Jenseits von Gut und Böse". Nietzsche und die Moral
2013
In dieser Hausarbeit soll die Moralkritik Nietzsches in seinem Werk „Jenseits von Gut und Böse“ behandelt werden. Im spezifischen Sinne geht es in dieser Hausarbeit um Nietzsches Rekonstruktion der herkömmlichen Moral. Den Themen, sowie den Vorurteilen der Philosophen und einer kleinen Geschichte dieser Rekonstruktion und Herren- und Sklavenmoral ist diese Hausarbeit gewidmet. Aufgrund der Größe seiner Rekonstruktion der Moral, nämlich was Nietzsche unter dem Inbegriff der Rekonstruierung der Moral versteht, soll das Thema allein begrenzt werden. Obwohl sein Wagnis viele Stationen seines Fußpfades beinhalten, beginnt es mit der Herausforderung an die Moral selbst. An diesem Punkt soll etwas betont werden: Das Ziel dieser Hausarbeit ist es daher auch keineswegs, eine gesamte Auswertung von Nietzsches Gedanken zu ergründen, sondern die Hausarbeit besteht darin, eine Anzahl Bestandteilen aus seinem Werk „ Jenseits von Gut und Böse“ zur Verfügung zu stellen, mit denen die wichtigsten Punkte der Moralkritik angeführt werden.
'Europäisch und über-europäisch'. Nietzsches Blick aus der Ferne
2004
The present essay reconstructs a concept that up until now has received little attention: Nietzsche's concept of 'über-europäisch', ('supra-European', 'over- European'), where Europe is what has to be overcome, gone beyond, left behind. The philosopher already considers Thus Spake Zarathustra as an attempt at an 'orien- tal overview of Europe', but only after this poem do his reflections concentrate on the 'supra-European'. His 'good Europeans' should not only be 'supra-national', but finally 'supra-European', i. e., they must be able, at least occasionally and temporar- ily, to transcend the horizon of Western culture. This is the turn Nietzsche gives to his critique of European morals after Zarathustra. In European history he sees, if not a tradition of overcoming boundaries, at least some isolated individuals who at times have approached a supra-European way of thinking, and sets himself the task of a 'supra-European view of Europe'. There are e few reasons to doubt whether he really accomplished it, but his attempt can be considered one model of the distant view on Western thought that remains a challenge for Europe itself.
Ein ach so guter Europäer: Thomas Common und seine Nietzsche-Zeitschrift Notes for Good Europeans
Nietzsche und Europa – Nietzsche in Europa, 2007
Um aber mit guten Aussichten um den Kampf in die Regierung der Erde einzutreten [...], hat Europa wahrscheinlich nöthig, sich ernsthaft mit England zu .verständigen'. (Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente, 1885) Erst spät und mit allerhand Hindernissen wurde Friedrich Nietzsche in Großbritannien eingeführt. 1 Zwar finden sich Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts hier und da Spuren seines Einflusses bei britischen Literaten, doch erst im Jahre 1894 wurden Vorkehrungen für eine englische Übersetzung seiner Gesamtwerke getroffen, die auf der damals noch in Entstehung begriffenen Großoktavausgabe 2 basieren sollte. Initiator des Übersetzungsprojekts war der Sozialdarwinist Thomas Common (1850-1919). Common kam auf der Upper Tofts Farm im schottischen Roxburghshire zur Welt und strebte in jungen Jahren als Presbyterianer ein kirchliches Amt an. Vorlesungen im Fach Logik lösten jedoch religiöse Zweifel in ihm aus und führten schließlich zu seiner Loslösung von der Kirche. Common hörte außerdem Vorlesungen in politischer Betriebswirtschaft und Landwirtschaft und gewann dabei Einsichten, aufgrund derer er die bestehenden politischen Systeme, einschließlich der staatlichen Bildungseinrichtungen, in Frage stellte. Daraufhin gab er seine Studien auf und unterrichtete, vermutlich als Privatlehrer, Mathematik. Alsdann wanderte er nach Kanada aus, siedelte nach kurzer Zeit in die Vereinigten Staaten um, kehrte aber schließlich nach Europa zurück und ließ sich in London 1
2014
Die Kenntnisse, die wir über die Religion bei den Dogon haben, sind durch die Darstellung, die Marcel Griaule und Germaine Dieterlen gegeben haben, überlagert, verzerrt. Nietzsches Interpretation der Ökonomie traditioneller Gesellschaften und der Entstehung von Religion in Begriffen von Schuld, Schuldner und Gläubiger hilft uns einen neuen Blick auf die Genealogie der Religion bei den Dogon zu werfen. Die Untersuchung der Genealogie der Religion bei den Dogon fügt der Bestätigung der These der Herkunft von Religion aus der Ahnenverehrung durch die Ergebnisse archäologischer Untersuchungen über neolithische Religionen ein weiteres Indiz hinzu. Bei der Anwendung der Thesen Nietzsches auf die Entstehung von Religion bei den Dogon wird gleichzeitig sichtbar, dass auch Nietzsches Konzeption noch auf dem Baum der christlichen Religion gewachsen ist. Im Ergebnis gewinnen wir: 1) weitere Indizien für die Hypothese der Herkunft von Religion aus der Ahnenverehrung; 2) Ausgangspunkte für die Infragestellung oder mindestens Ergänzung bisheriger Hypothesen über die Entstehung und Bedeutung des Menschenopfers; 3) Ansätze einer Kritik der Konzeption Nietzsches.
Nietzsche und Europa – Nietzsche in Europa
HANS-MARTIN GERLACH "Diese Aufklärung haben wir jetzt weiterzuführen .. Friedrich Nietzsche und die europäische Aufklärung Die Aufforderung Nietzsches, ,diese' Aufklärung weiterzuführen, die im Aph. 197 der Morgenröthe, der unter der bezeichnenden Überschrift Die Feindschaft der Deutschen gegen die A ufklärung (KS A, M, 3,171 f.) steht, stellt provozierend die Frage in den Raum, welche Aufklärung er damit gemeint hat. Und in direkter Folge dazu ist nachzufragen, was unter Aufklärung überhaupt zu verstehen ist und welche Positionen Nietzsche dazu einnimmt. Nun kann hier keineswegs die schier unendliche Diskussion zur Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung, wie sie in Deutschland (und darüber hinaus in Europa) seit jener berühmten Auseinandersetzung in der Berlinischen Monatsschrift 1783/1784, an welcher bekanntlich auch Moses Mendelssohn und Immanuel Kant mit bedeutsamen Aufsätzen teilgenommen haben 1 , geführt wird, behandelt werden. Eines sei jedoch aus der Vielfalt von Begriffsbestimmungsversuchen unserer Tage hervorgehoben. Es ist die allgemein sehr akzeptierte Feststellung, dass Aufklärung einmal als ein Epochenphänomen verstanden wird, welches wesentlich auf das geistig-kulturelle und politische Leben des 18. Jahrhunderts fokussiert ist, wobei eine Vorläuferschaft natürlich in vorausgehenden Jahrhunderten seit der Renaissance im Denken der Neuzeit sicher nicht geleugnet werden kann. Zum anderen wird Aufklärung als ein allgemeines Programm der Befreiung des menschlichen Individuums aus allen Vorurteilen, Dogmatismen, Halbwahrheiten und Lügen, aber auch aus gesellschaftlichen und sozialen Pressionsmechanismen begriffen. Und in diesem letzteren Verstehenszusammenhang übergreift sie als geistige Bewegung natürlich jenes historische Epochephänomen sowohl in Richtung einer bis in die Antike zurückreichenden als uns auch in der Gegenwart treffenden menschlichen Grundverhaltensweise, die die Menschen auch zukünftig bewegen wird. In einer Gesprächsrunde während des 9. Internationalen Kongresses zum Zeitalter der Aufklärung, der vom 23.