M.Pesce, “Die Lebenspraxis Jesu am Amfang seiner Theologie und der Theologie seiner Jünger”, Zeitschrift für Neues Testament 22 (12. Jg. 2008) 53-62. (original) (raw)

Anstelle des Reiches Gottes kam der Tod Jesu. Seine Jünger fanden sich vor der Tatsache, dass Jesus nicht mehr und das Reich Gottes noch nicht war. Dies bildete ein enormes Problem, aber bezeichnete nicht das Ende der Jesusbewegung. Sein Tod wurde von vielen seiner Jünger tatsächlich nicht wie das Ende seiner Geschichte erlebt. Alles beruht darauf, dass diese beiden Faktoren zusammenpassen: eine Gewissheit, die sie dazu brachte, die Jesusbewegung in der Erwartung des Gottesreiches weiterzuführen und der Mangel an Anweisungen von Jesus für dieses Unterfangen. Denn Jesus hatte zu mindestens drei Problemen keine Weisung gegeben: a.) wie sollten die Gemeinden der Jünger organisiert werden (Jesus hatte seiner Gruppe keine Organisation gegeben, denn sein Ziel war die Vereinigung der ganzen Menschheit unter dem einzigen Gott durch die Initiative Gottes selbst und nicht die Gründung einer separaten Gruppe)? b.) Wie sollte man sich angesichts des Problems der Bekehrung der Nicht-Juden verhalten? c.) Wie sollte man sich angesichts der Tatsache verhalten, dass das Gottesreich sich nicht ereignete? Dieser Mangel an Weisungen ist einer der Gründe, nicht der einzige, für die Pluralität der Antworten und für die Pluralität der Tendenzen, die sofort bei den Jüngern Jesu nach seinem Tod eintraten. Die Bewegung trat von Beginn an in einer Pluralität von Formen auf. Im Übrigen hatten die Jünger Jesu nicht viele Informationen über den Willen Jesu verfügbar. Dieser hatte keine Schriften hinterlassen. Während seines öffentlichen Lebens, hatte er sich einem zu engen Kontakt selbst mit seinen nächsten Jüngern entzogen, indem er sich in die Einsamkeit zurückzog. Von sich hatte er mit ihnen nur sehr wenig gesprochen und verschiedene seiner Lehren und einige seiner Erfahrungen waren auf esoterische Art und Weise nur einigen von ihnen mitgeteilt worden. Neuen Problemen gegenüberzustehen zwang also die Jünger nach dem Tod Jesu dazu, Entscheidungen zu treffen, die sich zuvor nicht als nötig erwiesen hatten. Sie konnten natürlich die Erfahrung Jesu befragen und so mussten sie Interpretationen geben, die oft davon divergierten, was er gesagt und gemacht hatte.