Das Tier als Medium und Obsession. Zur Politik des Wissens von Mensch und Tier um 1900, hg. Ortlieb, Ramponi, Willner. Berlin: Neofelis 2015. (original) (raw)

Das Tier als Medium und Obsession interessiert sich für jene litera­rischen und theoretischen Interventionen, die affirmativ bis eupho­­risch auf die evolutionsbiologisch begründete Nähe zum Animalischen reagieren. Dabei drängen sich Fragen sozialgeschichtlicher und psychohistorischer Natur auf: Lässt sich die überschwängliche Auseinandersetzung mit Pantoffeltierchen, Ichthyosauriern und Kröten auf den Wunsch zurückführen, das Amorphe zu inkorporieren und dadurch zu bannen? Ist die Sehnsucht nach der All-Einheit mit dem Organischen eine Reaktion auf Entfremdung in der Moderne? Und wie verhält sich die obsessive Hinwendung zur Welt der tierischen Vorfahren und Mitlebewesen zur Hybris, die Schranken des Menschendaseins über das ‚Medium Tier‘ gleichsam transzendieren zu wollen? Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob man generell versuchen müsste, Tierliebe mit politischer Krisenstimmung zusammen zu denken, und wenn ja: was das wiederum in Hinblick auf die gegenwärtige Konjunktur der sogenannten Animal Studies heißen würde. Mit dem Sammelband wird eine dezidiert literaturwissenschaftliche Annäherung an die bizarren und mitunter gar erschreckenden Erscheinungsformen anvisiert, in denen sich das Menschliche und das Nicht-Menschliche körperlich, institutionell, geschichtlich und nicht zuletzt semiotisch überkreuzen. Untersucht werden Sprachformen und Sprechweisen, die auf Tiere Bezug nehmen, Diskurse, die die Vorstellungen von Tiersein und Menschsein konstituieren oder eben auflösen, sowie die Variationen einer literarischen Sprache, die Tierisches in Texten zu inszenieren vermag. Gefragt wird zudem nach dem Unheimlichen und Abgründigen, das gerade am Haus- und Dressurtier in Erscheinung tritt. Auf eine verstörende und bislang kaum erhellte Konstellation machen die gesammelten Beiträge so aufmerksam: dass nämlich Mensch-Tier-Beziehungen um 1900, zwischen Liebe und Grausamkeit, Bio-Utopien und sozialer Krisenstimmung oszillierend, Tierliebe und Misanthropie mitunter auf bedenkliche Weise spiegeln. Anbei: Inhaltsverzeichning sowie die Einleitung, die sich mit den 'nachdarwinistischen Obsessionen' um 1900 als Vorgeschichte der Human-Animal-Studies befasst: "Das jahrtausendealte Bündnis von 'Herr und Hund' wird als hierarchises Verhältnis demontiert und dafür mit dem Verweis auf eine gemeinsame Darmflora neu begründet."