Paradoxien der Biopolitik (original) (raw)
Related papers
Zeitschrift für Praktische Philosophie, 2021
Zusammenfassung: Aktuelle Debatten zu gesellschaftspolitischen Folgen der Corona-Pandemie zeigen, dass Intellektuelle wie Giorgio Agamben und Roberto Esposito den Begriff „Biopolitik“ ins Treffen führen, um Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung des Virus zu analysieren. Seit Michel Foucaults Überlegungen zur Funktionsweise und Genealogie der Biopolitik birgt der Begriff jedoch eine gewisse Problematik: Aufgrund strukturell bedingter Mechanismen der Inklusion und Exklusion menschlichen Lebens gelingt es den biopolitischen Modellen nach Agamben und Esposito nicht – so die These –, ein zentrales Element des Politischen zu beschreiben. Unberücksichtigt bleibt die Möglichkeit des Widerstands und der Kritik an Regierungsmaßnahmen; eine Möglichkeit, die gerade die Heterogenität politischer Ordnungsstrukturen anzeigt. Im Zuge der Analytik moderner Machttechniken verschiebt Foucault anders als Agamben und Esposito den Fokus von der Biopolitik hin zu einem umfassenderen Paradigma des „Regierens“...
Dieser Text gliedert sich in zwei Teile. Zunächst wird der Begriff und die Entstehung der Biopolitik anhand von Michel Foucaults Perspektive erläutert, anschließend am Beispiel der Gesundheit(spolitik) vertieft und dann auf aktuelle Phänomene bezogen (Stichworte Entgrenzung der Medizin und Enhancement). Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Verbindung von Biopolitik und (Neo)Liberalismus und wird mit einer Kritik am Humanismus enden.
2017
In den gender studies verweist der Begriff Biopolitik zumeist auf die Arbeiten von Michel Foucault, in denen er untersucht, wie in der Moderne die Organisation von und die Sorge um Leben sowie der menschliche Individualkörper ins Zentrum der Politik rücken. Ergänzend bestimmt er Biomacht als im Gegensatz zu früherer, repressiver Macht, produktiv und auf Lebenssteigerung ausgelegt. Entsprechend impliziert Biopolitik eine ambivalente, ebenso fürsorgliche wie kontrollierende Form der Machtausübung
Biopolitik als Theorie der Gesellschaft
2019, in: Kathrin Braun/Helene Gerhards (Hrsg.): Biopolitiken. Regierungen des Lebens heute. Wiesbaden: Springer VS, 43–66., 2019
Theorien der Biopolitik im Anschluss an Michel Foucault beanspruchen einerseits eine Bestimmung gesellschaftlicher Realität, basieren aber andererseits auf der programmatischen Zurückweisung einer Theorie gesellschaftlicher Totalität. Dieses Spannungsverhältnis der Negation gesellschaftlicher Totalität erzeugt für die kritische Sozialwissenschaft ein gesellschaftstheoretisches Defizit, wie etwa in marxistischen Kritiken an Foucault herausgestellt wird. Der Artikel zeigt diese Spannung an der Rezeptionslinie des Konzepts der Biopolitik anhand des Werks Foucaults auf und weist einfache Überbrückungs- und Auflösungsversuche zurück. Weder eine marxistische Kapitalismuskritik und Totalitätsperspektive noch undogmatische Vermittlungsversuche zwischen Marxismus und Kritik im Anschluss an Foucault lösen das Problem, sondern reproduzieren nur einen Dualismus, der die verschiedenen Seiten gegeneinander ausspielt. Der Artikel schlägt hingegen vor, diese Spannung als theorieleitend zu rekonstruieren und die Theorie der Biopolitik auf ihre theoriepolitische Grundlage zu beziehen, nämlich die historisch berechtigte Abgrenzung Foucaults vom Marxismus. Diese theoriegeschichtliche Rekonstruktion ermöglicht eine Neuverhandlung des Anspruchs einer kritischen Gesellschaftstheorie, der in der Foucaultschen Analyse wie im Marxismus erhoben wird.
Biodiversitäts-Politik und lokale Gegenmacht
Biodiversitäts-Politik und lokale Gegenmacht Das Beispiel Costa Rica, 2002
En: Christoph Görg/Ülrich Brand (eds.). (2002) El mito del Manejo Ambiental Global. Frankfurt. Zwei Konzepte dominierten die ökonomisch-ökologische Diskussion darüber, wie das in den sogenannten Ländern des Südens seit den 60er Jahren praktizierte und letztlich gescheiterte orthodoxe Wachstumsmodell umorientiert werden könnte-und zwar insbesondere in seiner ökologischen Dimension. Der erste Ansatz war jener des "Naturschutzes", dessen Grundlagen in den 70er Jahren gelegt wurde. In den 80ern wurde nach und nach unter Schirmherrschaft der International Union for the Conservation of Nature (IUCN) und des World Wide Fund for Nature (WWF) die globale Strategie "nachhaltiger Entwicklung" ausgearbeitet. Der Terminus wurde später von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, der sog. Brundtland-Kommission, mit derem Buch "Unsere gemeinsame Zukunft" (dt. Hauff 1987) popularisiert. Konkretisiert wurde das neue Leitbild nachhaltiger Entwicklung unter anderem in der seit 1989 verhandelten und 1992 in Rio de Janeiro unterzeichneten Konvention über Biologische Vielfalt (CBD). In dieser internationalen Übereinkunft werden die drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung bestätigt: die ökonomische, die ökologische und die soziale. Insbesondere das dort verankerte Prinzip der "gerechten und gleichen Vorteilsausgleich" (fair and equitable benefit sharing) der sich aus der Nutzung der biologischen Vielfalt ergebenden Vorteile war ein viel beachteter Fortschritt. Im Grunde wurde damit zweierlei versucht: Zum einen den an Biodiversität reichen Ländern, und hier speziell den indigenen Völkern und den ländlichen Gemeinschaften, das Recht zuzuschreiben, im Austausch für ihre biologischen Ressourcen und die damit zusammenhängenden Kenntnisse, eine ökonomische Vergütung und "moderne" Technologien zu erhalten. Zum anderen sollte damit ihren Kulturen und Weltbildern Respekt entgegen gebracht werden. Parallel dazu wurde zur gleichen Zeit ein drittes Konzept geprägt, das der Concientización (dt. etwa: Bewusstsein schaffen). Der Ursprung dieses Konzepts hat allerdings wenig mit den Diskussionen internationaler Organisationen zu tun.