Das Konzept der Autonomie der Migration überdenken? - Yes Please! (original) (raw)
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Wider die Autonomie der Migration: Eine globale Perspektive auf migrantische Handlungsmacht
2011
Viele Ziele von Manuela Bojadžijev und anderen, die gegenwärtig eine Perspektive der »Autonomie der Migration« in der Migrationsforschung fordern, teilen wir: die Betonung der Notwendigkeit, die vielfältigen, heterogenen, multi-direk-tionalen Bindungen und Beziehungen von MigrantInnen in ihrer Komplexität zu erfassen; die Kritik an der Verzerrung der Dynamik migrantischen Lebens durch die Wissensindustrie Migrationsforschung, den Impuls, die Reduktion von MigrantInnen auf einen wirtschaftlichen Produktionsfaktor in Frage zu stellen. Dabei nimmt Bojadžijev zweierlei Entwicklungen unter die Lupe: Manche Bei-träge zur Menschenrechtsdebatte begreifen MigrantInnen nur als Opfer und las-sen sie damit als passive Subjekte ohne Handlungsmacht (agency) erscheinen. Andere Migrations-und EntwicklungsexpertInnen dagegen normalisieren die zirkuläre Migration (ohne das Recht, sich niederzulassen) und machen damit jene, die in Bewegung sind, gewissermaßen zu Helden der jeweiligen nationalen Entwicklung. Letztendlich liefert die Perspektive der »Autonomie der Migration« jedoch keinen Gegenentwurf gegen die tief sitzende Malaise der Migrationsfor-schung. In ihrer gegenwärtigen Konzeptualisierung werden vielmehr ein Begriff und eine Dynamik wieder belebt, mit denen sich Douglas Massey in den 1990er Jahren beschäftigte. Wie die heutige Debatte auch führte Masseys Konzept der Autonomie von der Erörterung der wichtigen Frage weg, wie migrantische Tra-jektorien von der Dynamik ungleicher Globalisierungsprozesse beeinflusst wur-den und wie sie auf diese Einfluss genommen haben.
Wir brauchen Migration: Jetzt müssen wir sie endlich als Zukunftsperspektive begreifen
2020
Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Was muss passieren, damit Deutschland nun bei der Integration nicht zurückfällt? Unsere Gesellschaft muss offener, gerechter und nachhaltiger werden, sagt ein Wissenschaftler und Sozialarbeiter. Wir müssen Migration endlich als Zukunftsperspektive begreifen.
Gesinnung oder Verantwortung. Zu einer irreführenden Alternative in der Migrationsethik
Ethik in den Kulturen – Kulturen in der Ethik. Eine Festschrift für Regina Ammicht Quinn, hg. von Cordula Brand, Jessica Heesen, Birgit Kröber, Uta Müller, Thomas Potthast, Tübingen: Narr/Francke/Attempto, 2017
Max Webers Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik erhält in den gegenwärtigen öffentlichen und mehr noch in den mit akademischen Mitteln ausgetragenen Auseinandersetzungen über den richtigen Umgang mit den vielen nach Deutschland und Europa kommenden Menschen, so scheint es, eine neue Aktualität. Der Gebrauch dieses Begriffspaares führt jedoch zu erheblichen konzeptionellen Schwierigkeiten, die teilweise bereits bei Weber angelegt sind. Der Artikel diskutiert die aktuellen, häufig polemisch akzentuiwerte Verwendung des Gegensatzes von Gesinnungs- und Verantwortungsethik in der Migrationsethik, stellt diesen den Sinn des Konzepts bei Weber gegenüber und mündet in eine Kritik ihres aktuzellen ethischen Gebrauchs.
Die Autonomie der Wiederholung: Gilles Deleuze und die Autonomie der Migration
In den vergangenen Jahren wurden klassische Theorien über Migration vom Ansatz der Autonomie der Migration grundlegend herausgefordert. In diesem Aufsatz möchte ich zeigen, dass dieser Ansatz der Autono-mie der Migration ein uneindeutiges Verständnis von Autonomie nutzt. Diese Uneindeutigkeit führt zu zwei unterschiedlichen Vorstellungen von Autonomie im Bezug auf Migration. Für die erste Version ist Migration eine absolut autonome Kraft, die zwar Gegenstand von Kontrolle ist, aber unabhängig vom politischen und öko-nomischen Kontext existiert. Für die zweite Version ist Migration relational und steht in einem vagen Verhältnis zu ihrem Kontext. Ich untersuche diese Uneindeutigkeit, indem ich die Idee der Autonomie mit Bezug auf Gilles Deleuzes Konzepte von Virtualität und Aktualität reflektiere. Deleuzes Vorstellung von Autonomie ist auf den ersten Blick wenig intuitiv – das grundlegende Argument meines Aufsatzes ist allerdings, dass diese Vorstellung ernst genommen werden sollte, um den Ansatz der Autonomie der Migration weiterzudenken. Autonomie nach Deleuze, so möchte ich schließlich zeigen, muss als eine Form der Wiederholung verstanden werden. Recently, traditional theories about migration were challenged by the Autonomy of Migration approach. In this article I argue that the Autonomy of Migration approach puts forward an ambiguous reading of autonomy. This ambiguity ultimately results in two versions of the approach. The first version claims that migration is an absolutely autonomous force that is subject to control but independent from the political and economic context. The second puts forward a relational reading of autonomy and a rather vague interdependence of migration and its context. I assess this ambiguity by rereading Gilles Deleuze's concepts of actuality and virtuality and present a somewhat difficult and counterintuitive concept of autonomy. Yet in order to understand the ambiguity found in the Autonomy of Migration approach and offer a perspective for further theorizing, Deleuze's understanding of autonomy should be taken seriously. I conclude by showing that the autonomy of migration exists essentially in the form of repetition.
Spätestens seit 2015 im „langen Sommer der Migration“ (Kasparek/Speer 2015) mehr als eine Millionen Menschen trotz massiv aufgerüsteter Grenzen unauthorisiert in die Europäische Union (EU) einreisten, gibt es ein starkes Interesse an Konzepten und theoretischen Ansätzen der kritischen Migrationsforschung. Auch auf der Agenda der Friedensforschung haben sowohl Migration als auch die Versuche ihrer Kontrolle einen festen Platz eingenommen, und dies wird auch in den kommenden Jahren so bleiben. Dafür sprechen u.a. die zunehmende Militarisierung von Grenzkontrollen, das Erstarken rechtspopulistischer Parteien als auch die Zunahme von rassistischen Einstellungsmustern und fremdenfeindlichen Übergriffen in fast allen Ländern der EU. Diese Abwehrreaktionen auf die jüngsten Migrationen nach Europa bergen ein enormes Konfliktpotenzial. Denn auch in den kommenden Jahren werden zahlreiche Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben nach Europa kommen. So zitiert Naomi Klein in einem kürzlich in der London Review of Books veröffentlichten Artikel eine Studie, in der Klimaforscher*innen zu dem Schluss kommen, dass große Teile des mittleren Ostens „zum Ende dieses Jahrhunderts so hohe Temperaturen aufweisen werden, dass sie nicht mehr für die menschliche Spezies bewohnbar sein werden“, falls wir nicht umgehend und radikal unseren Emissionsausstoß verringern (Klein 2016). Zieht man weiterhin in Betracht, dass die Rekorddürre, die große Teile Syriens vor dem Bürgerkrieg erlebten, ein entscheidender Faktor für dessen Ausbruch war (ebd.), legt dies den Schluss nahe, dass der Sommer der Migration 2015 erst der Beginn von weiteren Migrationen nach Europa war. Die Friedensforschung steht somit vor der Herausforderung, alternative Antworten zur gesellschaftlichen Bearbeitung und Verhandlung von Migration zu entwickeln, die über die oben skizzierten, gewaltförmigen Abwehrreaktionen hinausgehen. Diese Herausforderung ist jedoch nicht ohne ein Grundverständnis von Migration und den bisherigen Versuchen ihrer Kontrolle zu bewältigen. Dieser Beitrag stellt deshalb zwei zentrale Konzepte der kritischen Migrationsforschung vor. Dabei handelt es sich um das Konzept des Grenzregimes und um den Ansatz der Autonomie der Migration (AdM).