Der ukrainische Nationalismus zwischen Stereotyp und Wirklichkeit: Zu einigen Komplikationen bei der Interpretation von befreiungs- vs. ultranationalistischen Tendenzen in der modernen Ukraine (original) (raw)

Die Frage der nationalen Identität in der postsowjetischen Ukraine

In meiner Masterarbeit habe ich die Frage der Nationsbildung in der postsowjetischen Ukraine aus einer multidisziplinären Perspektive erforscht, indem ich mich auf zwei Hauptelemente für die Schaffung der nationalen Identität konzentriert habe, nämlich das Erbe der Vergangenheit und die Sprache. Ich habe untersucht, welche Rolle diese Faktoren im Nationsbildungsprozess der Ukraine spielen und wie sie von den nationsbildenden Akteuren verwendet bzw. instrumentalisiert werden. Das Ziel dieser Arbeit ist zu zeigen, warum zweiundzwanzig Jahre nach der Unabhängigkeit eine gesamtukrainische nationale Identität nicht entstehen konnte und die Ukraine ein gespaltenes Land zwischen Europa und Russland, zwischen Westen und Osten bleibt.

Gefaehrliche Liebschaften: Nationalismus und Feminismus in der Ukraine. in: Die Ukraine: Prozesse der Nationsbildung, ed. by A. Kappeler, Böhlau 2011.

Eine wachsende Zahl unabhängiger Frauenorganisationen, gesellschaftliche Diskus-sionen über die Rechte der Frauen unter den Bedingungen einer Demokratie, das In-teresse an westlicher feministischer Literatur, vielfach verbunden mit der Begeiste-rung für postmoderne Philosophie, und Versuche zu den Ursprüngen der eigenen, unter den Bedingungen des Staatssozialismus unterbrochenen, feministischen Tradition zurückzukehren – all dies ist charakteristisch für die Länder Osteuropas nach 1989. Der Feminismus entwickelte sich vor allem an den Universitäten, wo die Gen-derforschung sich in einem Prozess der Institutionalisierung zu einer neuen akademi-schen Disziplin befindet. 1 In dieser Hinsicht bildet die Ukraine keine Ausnahme: In den letzten zwei Jahrzehnten sind hier eine Reihe unabhängiger Zentren für Gender-bzw. Frauenforschung entstanden, von denen diejenigen in Kiev, Charkiv, Lemberg (L'viv) und Odessa die größte Bekanntheit erlangt haben. Jedes von ihnen hat ein ei-genes intellektuelles und politisches Profil, so dass man von einer Mehrzahl von fe-ministischen Diskursen in der Ukraine sprechen kann. Die unterschiedlichen Rich-tungen des Feminismus und der Genderforschung in der Ukraine müssen sich heute gegenüber dem Nationalismus positionieren und sich entscheiden, ob sie sich kritisch von ihm distanzieren oder sich bewusst für die " nationale Wiedergeburt " engagieren wollen. In diesem Beitrag analysiere ich die intellektuelle Produktion von vier ukraini-schen Zentren der Genderforschung, um zu zeigen, wie sich verschiedenartige femi-nistische Diskurse gegenüber dem Diskurs des Nationalismus und der Wiedergeburt der Nation verhalten, welche Rolle sie für sich in den Prozessen der Nationsbildung sehen und wie sie auf das Problem der " nicht abgeschlossenen " und " verschwom-menen " ukrainischen nationalen Identität reagieren. Ich möchte mich von der ver-breiteten Fragestellung nach der Manipulation der Interessen der Frauen durch den Nationalismus lösen und das Problem von der anderen Seite her betrachten: Auf welche Weise beteiligen sich die unterschiedlichen Richtungen des ukrainischen Fe-minismus an der " Erfindung " der ukrainischen Nation, an der Neubestimmung ihrer Grenzen, an der Formierung der kollektiven Erinnerung und der nationalen Identi-tät.

Der europäische Faschismus und der ukrainische Nationalismus. Verflechtungen, Annäherungen und Wechselbeziehungen

Der Faschismus entstand zwar in Italien, verbreitete sich anschließend aber schnell in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern und wurde damit zu einer transnationalen Bewegung. Dennoch wurde er in der Ukraine lange ebenso wenig als forschungsrelevant betrachtet wie in weiteren ostmitteleuropäischen Ländern wie Polen oder Litauen, in denen faschistische Bewegungen nicht die Macht errangen. Deshalb war bis vor Kurzem auch kaum bekannt, wie der italienische Faschismus und der deutsche Nationalsozialismus in der Ukraine rezipiert wurden und ob sich dort ein genuiner Faschismus ausgebildet hat. Ebenso ist weitgehend unbekannt geblieben, welche Rolle der Faschismus bei der Kollaboration mit den Nationalsozialisten, beim Holocaust und anderen Formen der Massengewalt gespielt hat.

Ausschluss aus dem eigenen Land. Der «Donbass» im Blick ukrainischer Intellektueller, Osteuropa, 66, 2016, No. 6-7

Ausschluss aus dem eigenen Land Der "Donbass" im Blick ukrainischer Intellektueller Die ukrainische Diskussion über den Donbass war nie frei von Stereotypen. Nach der Annexion der Krim und dem Krieg sind die Urteile härter geworden. Westukrainische Intellektuelle zeichnen die Menschen im Donbass als "Andere" und "Fremde". Dies soll ihre Exklusion legitimieren und der eigenen Identitätsbildung durch Abgrenzung dienen. Die "innere Orientalisierung" des Donbass wird der soziopolitischen Pluralität und Dynamik der Region nicht gerecht. Die Ironie besteht darin, dass sogar ein Autor wie Jurij Andruchovyč diese Haltung vertritt, der sich auch dank seiner Nostalgie für die verlorene kulturelle und ethnische Vielfalt Österreich-Ungarns einen Namen gemacht hat. Die Debatte in der Ukraine berührt eine universelle Frage: Was macht einen Menschen zum Staatsbürger: seine Zugehörigkeit zur Staatsnation oder zur Ethnonation?

Verflochtene Geschichten. Stepan Bandera, der ukrainische Nationalismus und der transnationale Faschismus

AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE, 2017

Der transnationale Faschismus ist neben einer komplexen Geschichte der deutschen Besatzung und des Judenmordes zentral, um Bandera und die radikale Form des ukrainischen Nationalismus zu verstehen. Selbst wenn die OUN ihren Faschismus aus nationalen Gründen zeitweilig tarnte, verstand sie sich als eine faschistische Bewegung und ihren europäischen Pendants zugehörig. Bandera wollte als ihr Führer einen faschistischen Kollaborationsstaat im von den Nationalsozialisten kontrollierten "Neuen Europa" errichten. Die "Säuberung" des Staates von Juden, Polen, Russen und anderen ethnischen und politischen "Feinden" war ein fester Bestandteil des politischen Programms der OUN, das die Bewegung zumindest in der Westukraine teilweise realisierte. Der ukrainische Fall – ähnlich wie der kroatische, slowakische oder rumänische – zeigt, dass der radikale Nationalismus in keinerlei Gegensatz zum Faschismus stand, sondern mit ihm verschmolz beziehungsweise ein fester Bestandteil dessen war.

Die Entstehung des ukrainophonen parteiförmigen Rechtsextremismus in der Ukraine der 1990er

Ukrainischer Rechtsradikalismus war nach der Unabhängigkeitserklärung von 1991 ein weitgehend marginales politisches Phänomen in der Ukraine. Seit 2004 hat die sogenannte Allukrainische Vereinigung »Swoboda« (Freiheit) jedoch eine Entwicklung durchlaufen, die eine signifikante Präsenz von Ultranationalisten im nächsten ukrainischen Parlament möglich erscheinen lässt. Vor diesem Hintergrund behandelt der Beitrag die Vorgeschichte des Aufstiegs der Freiheitspartei und stellt die rechtsradikalen ukrainophonen Grüppchen der 1990er Jahre vor. Dabei wird hier nicht auf die ebenfalls existenten radikalen russophonen Gruppierungen, wie etwa die Progressiv-Sozialistische Partei der Ukraine (PSPU), eingegangen.

Die vielen Herausforderungen der Ukraine: Der Minsker Prozess, die Dezentralisierungsreform und der entstehende Nationalstaat

Ukraine-Nachrichten, 2017

Die teils befreiungsnationalistische Ausrichtung des Euromaidans war ein Faktor, der die verdeckte Intervention Moskaus auf der Krim und im Donezbecken begünstigte. Nichtsdestoweniger kann im Donbas nur sehr beschränkt von einem ukrainischen Bürgerkrieg im ursprünglichen Wortsinn die Rede sein. Hatte doch der russische Staat sowie seine irregulären Agenten auf dem Territorium der Ukraine seit Ende Februar 2014 entscheidenden Anteil an der Anstachelung, Finanzierung, Ausbreitung, Bewaffnung und Munitionierung der scheinbaren Volksaufstände des so genannten „Russischen Frühlings“ auf der Krim und im Donezbecken. Trotzdem verfängt bei vielen Russen und auch bei einigen westlichen Beobachtern der Propagandadiskurs der Kremlmedien von einem durch existenzielle innerukrainische Spannungen hervorgerufenen „Bruderkrieg“.