Der mediatisierte Lebenswandel (original) (raw)

1 Technische Innovation und der kommunikative Alltag permanenter Vernetzung Die Verfügbarkeit von mobilem Breitbandinternet versetzt mittlerweile wachsende Bevölkerungsanteile -in einigen Segmenten wie den hochgebildeten und einkommensstarken jungen urbanen Eliten sogar die dominierende Mehrheit -in die Lage, Dienste und Funktionen der Online-Kommunikation jederzeit und an jedem Aufenthaltsort in Anspruch zu nehmen. Dies gilt sowohl für (datenintensive, mehrkanalige) Massenkommunikation einschließlich des Konsums von Film und Fernsehen als auch für funktional ausgefeilte interpersonale Kommunikation sowie die Partizipation in den dynamischen Öffentlichkeiten der sozialen Medien. Smartphones und Tablets haben sich zu sozialen Universalwerkzeugen entwickelt, deren Apps für zahlreiche Aufgaben, Ziele und Anlässe (zumindest scheinbar) passende Optionen und Lösungen zur Verfügung stellen. Zugleich deutet sich ein alltäglich werdendes Schwarm-2 P. Vorderer 1 3 Erlebnis an: Der jederzeit mögliche, dank Flatrate erschwingliche, hochfrequent oder gar dauerhaft betriebene Kontakt zu den ‚relevant others' verschiebt die Grenzen des Selbst in Relation zu den anderen, weil der Zugang zu (Mitgliedern) einer Gruppe so viel einfacher, schneller und selbstverständlicher geworden ist. Der Alltag wird mit innere Einkehr wie Zuwendung nach außen -mediatisiert sich, weil zunehmend mehr Handlungen unter Zuhilfenahme von Online-Kommunikation geplant und umgesetzt werden. Der Mensch von heute -und zumal der von morgen -denkt, fühlt, erlebt und handelt in der Erwartung, "permanently online, permanently connected" (POPC) zu sein oder doch zumindest sein zu können. Nahezu alle Forschungsgebiete der Kommunikationswissenschaft sind durch diese Entwicklung herausgefordert. Radikale Veränderungen ergeben sich beispielsweise mit Blick auf die tradierten Phasenmodelle von Kommunikation, etwa die Lasswell-Formel oder das Maletzke-Schema (vgl. Vorderer und Kohring 2013); radikale Änderungen stehen auch zahlreichen Einzeltheorien ins Haus -von der Selektionsforschung (Mood Management) über die Informationsverarbeitung (Media Multitasking) bis hin zu Medienwirkungen (Digitaler Stress, Fragmentierte Öffentlichkeiten uvm.). Das vorliegende Essay versucht daher, der Phänomenologie des mediatisierten Lebenswandels im Sinne von POPC nachzuspüren: Wie verändern sich Lebenswandel, Lebensgefühl, Alltagserleben, wenn (fast) alles Handeln mediatisiert geschieht? Ziel unseres beschreibenden Rundblicks ist es, damit die Theorieinnovation in Rekonstruktion von POPC als neuem Lebensmodus sollten sich neue Perspektiven für Problemstellungen und Annahmen über das Kommunikations-und Medienhandeln ergeben, die für die künftige Forschung auf Individual, Meso-und Gesellschaftsebene relevante Verstehens-, Erklärungs-und Prognosebeiträge erlauben. Ausgangspunkt unserer Betrachtung ist die einfache Feststellung, dass unter POPC-Bedingungen der Bezug von konventionellen Botschaften der Massenkommunikation sowie die Produktion und der Empfang von Botschaften der interpersonalen Kommunikation zumindest mit bekannten, sozial nahestehenden Personen (‚relevant others', ‚strong ties') sowie mit Personen des erweiterten Netzwerkes (‚weak ties') jederzeit und allerorts möglich ist und vielfach aktiv, teils mit hoher Frequenz oder gar permanent von den Nutzerinnen und Nutzern betrieben wird. Daraus ergeben sich weitreichende Implikationen für die Erwartungen an sowie die Auswahl, Planung, Umsetzung und das Erleben von unterschiedlichsten Handlungen. So verstanden lassen sich aus dem sowohl innerhalb als auch außerhalb der Wissenschaft geführten Diskurs über den vernetzten Menschen einige optimistische, vornehmlich aber pessimistische, in fast allen Fällen also wertende Beobachtungen, eine erste Systematisierung entsprechender Erwartungen und Beschreibungen; ihre Sammlung und Ordnung charakterisiert die Eigenheiten des mediatisierten Lebens als POPC. Unsere Rundschau der Beobachtungen, Annahmen und Hypothesen erfolgt in essayistisch-zugespitzter Form -aus Sicht mancher Leserinnen und Leser werden die Überlegungen daher vielleicht (noch) übertrieben klingen. Das nehmen wir in Kauf, um die Veränderungsdynamik, über die nach unserer Einschätzung nachgedacht werden sollte, möglichst deutlich zu konturieren. Der mediatisierte Lebenswandel 3 1 3