Atmosphären Transmissionen Interaktionen: Zu einer Theorie sozialer Affekte (original) (raw)
2012, Soziale Systeme 17/1 (2011), 73-96.
Zusammenfassung: In der Geschichte der Soziologie sind Gefühle, Emotionen und Affekte auf die verschiedenste Art und Weise konzipiert worden. Im sozialpsychologischen Paradigma entstammen Emotionen individuellen Triebwünschen und gewin nen in erster Linie in konflikthaften Auseinandersetzungen ihren sozialen Charakter (Sublimation, etc.). Dem gegenüber bringt die Soziologie der Emotionen die Denkfigur der Interaktion in Anschlag, die es möglich macht ganz neue unpersönliche Emotionen zu konzipieren, Emotionen, die aus zwischenmenschlichen Begegnungen erst hervorgehen. Seit den 1990er Jahren lässt sich nun die Entstehung der Affect Studies beobachten, die mit der Soziologie der Emotionen zwar den interaktionistischen Ansatz teilen, jedoch deren anthropologischen Reduktionismus überwinden wollen. Bei der Entstehung sozialer Emotionen und Affekte spielen nicht nur individuelle Triebwünsche und soziale Stimmungen eine Rolle, sondern auch affektive Atmosphären, die der jeweiligen Umwelt entstammen. Obwohl die vorliegende Arbeit die Ansicht teilt, dass eine Theorie sozialer Affekte die Rolle nicht-menschlicher Elemente zu berücksichtigen hat, hält sie den Atmosphärenbegriff für problematisch, weil er deterministische Tendenzen impliziert und die Spezifizität aller beteiligten Körper unberücksichtigt lässt. Aus diesem Grund wird der Begriff der affektiven Interaktionen vorgeschlagen, der keine undifferenzierte Hintergrundstimmung annehmen muss, sondern die genauen Affektverhältnisse zwischen den anwesenden Körpern beschreiben kann. Dabei steht die Frage im Vordergrund, auf welche Art und Weise die jeweils anwesenden Körper miteinander interagieren (symbolisch, olfaktorisch, elektrisch, akustisch, etc.). Die Beantwortung dieser Frage verweist dann zugleich auf die Konstitution der beteiligten Körper und auf den jeweiligen Affekt, der aus der Interaktion von Körpern hervorgeht. Hinsichtlich affektiver Interaktionen greifen wir auf die Theorie der Transmission von Jean-Marie Guyau zurück, bezüglich des Konzepts des Körpers als distributives Ensemble beziehen wir uns auf Spinoza. Das affektive Milieu, aus dem Affekte entspringen, nennen wir Affektif.