Wissen des Lebens: Lebenssoziologische Beiträge zur Wissenssoziologie (original) (raw)

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Sociologia internationalis 44/2, 193-215., 2006

Im folgenden Artikel wird der Versuch unternommen, ausgehend von lebensphilosophischem Denken, eine Lebenssoziologie zu skizziereneine Lebenssoziologie, die wissenssoziologische Probleme und Fragen auf eigene Art zu stellen und zu lösen beansprucht. Lebensphilosophisches Denken zielt auf die Sichtbarmachung der Bereiche der sozialen Wirklichkeit, die in der Wissenssoziologie bisher unberücksichtigt geblieben sind.

Die Wissenskulturen von Studierenden im Feld der Soziologie

Wissenskulturen der Soziologie, 2018

Die Spezifik soziologischer Wissenskultur ergibt sich aus den besonderen Eigenschaften der Soziologie als soziales Feld. Aus der Perspektive des Konzepts sozialer Felder nach Pierre Bourdieu stehen akademische Wissenskulturen in engem Zusammenhang mit den sozialen Strukturen, d.h. dem kompetitiven und konflikthaften Charakter des wissenschaftlichen Feldes und seiner Subfelder. Demnach ist Wissenschaft kein kontinuierlicher Prozess kumulativer Wissensproduktion, sondern wesentlich ein sozialer Mikrokosmos innerhalb des gesellschaftlichen Makrokosmos (vgl. Bourdieu/Wacquant 1996/2006a). Die soziale Welt der Wissenschaft ist – wie alle sozialen Felder – durch Macht, Ungleichheit und Konflikt konstituiert (vgl. Kuhn 1962/2007; Merton 1973/1985, S. 94; Bourdieu 1984/1992; Münch 2007). Von diesen Strukturen ist die „Suche nach Wahrheit“ als Funktion (vgl. Luhmann 1990) bzw. als illusio (vgl. Bourdieu 1984/1992) nicht zu trennen. Entsprechend kann die Soziologie in Deutschland als Subfeld des wissenschaftlichen Feldes konzipiert werden, welches als relativ autonomer und umkämpfter sozialer Mikrokosmos eigene Regeln, eine bestimmte Logik und eine eigene Geschichte aufweist. Diese Konfiguration umfasst auch eine eigene Wissenskultur, die im Folgenden herausgearbeitet wird. Es ist die Besonderheit der Soziologie, dass Soziolog*innen die Gesellschaft nicht aus der Perspektive unabhängiger Außenstehender analysieren. Vielmehr sind die Forschenden selbst Teil ihres Untersuchungsobjekts, d. h. sie betrachten soziale Verhältnisse und konstruieren Theorien von einem bestimmten sozialen Standpunkt aus. Entsprechend stellt sich zum einen die Frage nach der Spezifik der soziologischen Wissensproduktion in Abgrenzung zu anderen akademischen Teilfeldern. Zum anderen rückt die Frage nach der Sozialstruktur des soziologischen Feldes und der sozialen Zusammensetzung der Studierenden sowie der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und Professor*innen in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Laut Bourdieu stehen die Positionierungen und die Historie eines Feldes in Beziehung zu dessen sozialen Strukturen, d. h. die das Feld charakterisierenden Gegensätze, dominierende und dominierte Positionen und Akteure sowie Macht- und Ungleichheitsstrukturen. Da Studierende den Machtverhältnissen des soziologischen Feldes am stärksten ausgesetzt sind, können sie aus unserer Perspektive als geeigneter Zugang zur Rekonstruktion der Wissenskultur im Feld der Soziologie gelten. Entsprechend untersuchen wir die Wissenskultur der Soziologiestudierenden anhand einer von uns 2013 und 2015 durchgeführten quantitativen bundesweiten Erhebung (N=2676).

Wissen die Sozialwissenschaftler, was die "Lebenswelt" ist? Eine Rückbesinnung auf Husserls "Urstiftung" und Schütz' "Wideraufnahme" des Begriffes

META, Vol 11, No. 1., 2019

The present paper aims to provide a contribution to the self-clarification of social scientists with regard to the using and abusing of the concept of "lifeworld" [Lebenswelt] and its surrogates. With this aim, the author adopts a dual approach which draws upon the one used by the late Husserl in Die Krisis der europäischen Wissenschaft und die transzendentale Phänomenologie, namely: the combination of genealogical reflections on the origins and historic itinerary of the concept with phenomenological descriptions of the "thing itself". More precisely, the present article tries to systematically reconstruct Edmund Husserl"s phenomenological "proto-foundation" [Urstiftung] and Alfred Schutz"s "reprise" of the Lebenswelt.

Der Einsatz des Lebens. Lebenswissen, Medialisierung, Geschlecht

Die kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen, die mit der „lebenswissenschaftlichen Wende“ einhergehen, sind seit längerem Thema von kulturwissenschaftlicher Forschung. Wenig untersucht ist bisher jedoch die Frage, wie sich das kulturwissenschaftliche Wissen durch diese „lebenswissenschaftliche Wende“ selbst verändert. Die Aufsätze des vorliegenden Bandes zeigen, dass die Kulturwissenschaften, von der Film- und Medienwissenschaft, über die Philosophie, die Kultur- und Wissensgeschichte bis hin zu den Gender- und Queer Studies längst an der Bildung des Wissens und der Begriffe vom Leben teilhaben. Sie beziehen sich auf die neu geschaffenen Realitäten und sind selbst Bestandteil der Veränderung. Der Begriff des Lebenswissens öffnet ein Spannungsfeld, in dem sich die unterschiedlichen Beiträge der wissenschaftlichen Disziplinen zum Begriff des Lebens begegnen, manchmal verbinden und manchmal auch abstoßen.

Wissenskulturen und Soziologiegeschichte

2017

Der Beitrag erlautert den moglichen Stellenwert des Konzeptes der Wissenskulturen in der soziologiegeschichtlichen Analyse. Er geht der Frage der Genese und Geltung von Wissen unter dem Aspekt wissenskultureller Strukturierungen und damit verbundener diskursiver und praktischer Erzeugungsweisen wissenschaftlich relevanter Wirklichkeiten nach. Aufgezeigt wird die Breite und Unterschiedlichkeit der Verwendungen und Bezuge in der Literatur, die teils explizit an den Begriff der Wissenskulturen, teils an verwandte Termini anschliesen. Daruber hinaus wird ein eigenes wissenssoziologisches Konzept von Wissenskulturen vorgeschlagen, das dazu beitragen kann, Phanomene der soziologischen Wissensproduktion aus einer sowohl kulturanalytischen als auch soziologiegeschichtlichen Perspektive zu erschliesen. Ein wissenskultureller Zugang zur Soziologiegeschichte ermoglicht, die gegenwartig beobachtbare reflexive Wendung der Soziologie – die in der wachsenden Aufmerksamkeit fur Soziologiegeschichte...

Aspekte des geistlichen Lebens (ChatGPT - Wissenserschließung )

Eine der Folgen von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz in der Gesellschaft war die Entstehung von Big Data, dem Data Mining, das neue Grundlagen für die frühere statistische und soziologische Forschung legte. Große Sprachmodelle wie ChatGPT können in den neuesten Versionen eine so große Menge an angesammeltem Wissen in Sekundenschnelle zuverlässig darstellen, dass die bisherigen Vorstufen einer wirklich originellen Forschung – empirische Faktensammlung und relevante theoretische Aspekte – radikal verkürzt werden können. Das fast vollständige Wissen, dass sich die Version von ChatGPT4o bereits nähert, aber die 5. Version, die in naher Zukunft veröffentlicht werden soll, möglicherweise bereits realisiert wird, ermöglicht den Wechsel zu einer neuen Art des Wissenserwerbs, die Wissenserschließung. Diese neue Art des Erkenntnisgewinns führt den Forscher an die Grenzen des Wissens, und neben und teilweise anstelle der grundlegenden Arbeiten des erforschten Themas verkürzt dieses blitzschnelle Knowledge Mining die Zeit, um wirklich originelle Entdeckungen zu machen. Obwohl wir von großen Sprachmodellen nicht erwarten können, dass ursprünglich neues Wissen entsteht, können wir erwarten, dass das angesammelte Wissen blitzschnell rezipiert wird. Und da eine sehr große Anzahl von Universitätsprofessorinnen und -professoren beim Verfassen von universitärer Lehre und Lehrmaterialien eigentlich nur an den Grenzen des Wissens arbeiten, aber originär nichts schaffen, können ihre Schreibtätigkeiten im Studium bereits weitgehend mit Hilfe von ChatGPT4o erfolgen. Aber nicht in Monaten und Jahren, sondern in Stunden, Tagen und Wochen. Hier ist das bloße Stellen von Fragen ein menschlicher intellektueller Zusatz zu ChatGPT4o, aber natürlich ist eine Reihe aufeinanderfolgender Fragen zu einem bestimmten Thema von grundlegender Bedeutung für das Ergebnis des Knowledge Mining, das aus dem Gesamtwissen der künstlichen Intelligenz zu diesem Thema hervorgehen wird. Ich selbst habe in den letzten 45 Jahren Studien in breiter Rechtswissenschaft (Rechtstheorie, Rechtsdogmatik, Rechtsgeschichte), soziologischer Theorie, Rechtssoziologie, politischer Soziologie, Wissenschaftssoziologie und Politikwissenschaft verfasst und bereits Vorstudien zu einer Vielzahl von Fragestellungen des Knowledge Mining absolviert. Aber selbst auf einer allgemeinen intellektuellen Wissensbasis kann jeder eine Reihe von vertiefenden, miteinander verbundenen Fragen zu einem bestimmten Thema stellen und so aus dem Gesamtwissen von ChatGPT4o Wissen auf Studienniveau gewinnen.

"Lebenssoziologie – eine intensive Wissenschaft", in: Soziologien des Lebens. Überschreitung – Differenzierung – Kritik, hrsg. Heike Delitz, Frithjof Nungesser und Robert Seyfert, Bielefeld: transcript (2018), 373-407

Soziologien des Lebens. Überschreitung – Differenzierung – Kritik, hrsg. Heike Delitz, Frithjof Nungesser und Robert Seyfert, Bielefeld: transcript (2018), 2018

Die Lebenssoziologie hat sich in den letzten Jahrzehnten ohne Zweifel zu einer veritablen Wissenschaft des Sozialen formiert. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Wissenschaft im klassischen Sinn, nicht um eine ›Königswissenschaft‹, die mit etablierten Theore-men, kanonisiertem Lektüren und festen Wissensbeständen operieren würde. Vielmehr hat sich die lebenssoziologische Wissenschaft nicht nur als exzentrische, sondern auch als intensive Wissenschaft erwiesen. Um deren Darstellung soll es in diesem Kapitel gehen. Im Anschluss an die im Band bis hier dargestellten theoriehistorischen Arbeiten, theoretischen Konzepte, empirischen Einzelfallstudien und kritischen Auseinandersetzungen soll in diesem abschließenden Kapitel die Lebenssoziologie als eigenständige Wissenschaft vorgestellt werden. Das umfasst die Diskussion eines Theorieprogramms, einer Methode und die Durchführung einer exemplarischen Fallstudie. Die Theorie setzt sich aus zentralen Schlüsselbegriffen zusammen. Diese beziehen sich auf Begriffe, die in diesem Band bereits Erwähnung gefunden haben: auf die Begriffe des Werdens, der Intensität und des Mehr-als-Lebens, darüber hinaus aber auch auf eine spezifische Differenztheorie – die nicht von einem konstitutiven Außen, sondern von einem konstitutiven Zwischen ausgeht –; und auf die Konzepte der Affektivität, Suspension und Interpassivität. Am Anschluss daran entwickelt der Aufsatz auch eine spezifisch lebenssoziologische Methode, die Intensitätsanalyse, die illustrativ an einer empirischen Fallstudie zu algorithmischen Praktiken im ›automati-schen‹ Börsenhandel durchgeführt wird.