Füße und ihre Subjekte. Ein Plädoyer dafür, das Konzept der Subjektivierung vom Kopf auf die Füße zu stellen (original) (raw)
Füße und ihre Subjekte. Ein Plädoyer dafür, das Konzept der Subjektivierung vom Kopf auf die Füße zu stellen 1. Subjektbildung -praxistheoretisch betrachtet Seit der im 17. Jahrhundert einsetzenden philosophische Aneignung eines zuvor vorwiegend im rechtlichen und politischen Diskurs entwickelten personalen Subjektbegriffs wird "das ‚Subjekt' nicht mehr vorrangig als der Untertan begriffen, dem etwas zugeschrieben oder auferlegt wird", sondern als eine autonome denk-und handlungsfähige Einheit, der "damit auch ein spezifisches Selbstverhältnis eignet". 1 In diesem Selbstverhältnis scheinen die Herrschaftsbeziehungen klar: Es ist der Kopf, dem die Führung obliegt: Er ist der Herr im Hause; hier, im Kopf, wird begriffen, analysiert, entschieden und geplant. Der Körper ist hingegen kaum mehr als ein ausführendes Organ. Er hat die Stellung eines Dieners -eines Dieners freilich, dem es an Fügsamkeit mangelt: Beharrlich scheinen seine Schwerfälligkeit und sein Eigensinn die vermeintlich unbedingten Höhenflüge des immateriellen Geistes zu gefährden. Der Körper ist mithin nicht nur willfähriges Instrument, sondern auch bedrohlicher Gegenpol für das Selbstverständnis neuzeitlich-moderner Subjekthaftigkeit. Noch die Höherbewertung einer jeden geistigen über die körperliche Arbeit legt Zeugnis davon ab, dass er bis heute das Stigma des Untergeordneten und Minderwertigen, des Rohen und Tierischen, nicht völlig hat abschütteln können. 2 Als der ‚natürliche' und ‚triebhafte' Teil des Menschen wird er gleichermaßen gefürchtet wie gefeiert. "Hassliebe", so haben Horkheimer und Adorno diese ambivalente Einstellung zum Körper einst genannt: Versklavt, verhöhnt und gestoßen sei der Körper "zugleich als das Verbotene, Verdinglichte, Entfremdete begehrt" worden. 3 Das neuzeitlich-moderne Konzept des souveränen Subjekts als eines geistgesteuerten Zentrums der Initiative ist das Produkt eines philosophischen Denkens, das die gegenständliche soziale Praxis der Menschen ausblendet. Marx bereits hat ein solches, von der Praxis sich isolierendes Denken als scholastisch bezeichnet. 4 Es ist ein Denken, das nicht auf seine eigenen materiellen Produktionsbedingungen reflektiert, sich also nicht selbst als eine spezifische soziale Praxis unter anderen begreift und infolgedessen "das Verhältnis des Beobachters zum Objekt" an die "Stelle des praktischen Verhältnisses zur Praxis setzt" 5 . In der philosophischen Praxis prägt sich das Vergessen der eigenen Konstitutionsbedingungen den Subjekten dieser Praxis -den Philosophenallmählich so weit ein, dass für sie diese Bedingungen in der Alltäglichkeit ihrer Praxis verschwinden. Sobald das durch seine Alltäglichkeit der Aufmerksamkeit Entzogene kenntlich gemacht und die konkrete Geschichte und Gegenständlichkeit der Praxis zur Sprache gebracht wird, ist es jedoch vorbei mit der idealistischen Illusion des autonomen Subjekts. Es wird dann deutlich, dass die Akteure nicht die autonomen Zentren der Praxis sind, sondern selbst von den Praktiken 6 , die sie im Verein mit anderen Handlungsträgern produzieren, ergriffen, bewegt und geformt werden. Was mithin subjektphilosophisch als Ursprung der Praxis vorausgesetzt wird, gibt sich im Zuge eines praxistheoretischen Blickwechsels als ein -stets vorläufiges und wandelbares, das heißt dynamisches -Produkt der Praxis zu erkennen, und zwar als ein Produkt, das seinerseits aktiv auf die Praktiken einwirkt, denen es seine Entstehung verdankt. 7 Die menschlichen Akteure sind dann nicht länger Subjekte 4 S. Karl Marx, Thesen über Feuerbach (1845), in: Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 3, Berlin: Dietz 1978, S. 533-535, besonders These 2, S. 533. 5 Pierre Bourdieu, Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1993, S. 65. 6 Praxis wird hier als ein dynamischer Wirkungszusammenhang begriffen, als ein praktisches, sinnlich-körperliches Tätigsein, das menschliche und nicht-menschliche Handlungsträger (wie Körper, Dinge oder Sprache) in wechselseitig konstitutive Relationen bringt. Praxis vollzieht sich dabei in gesellschaftlich verfassten, zeit-und ortsspezifischen Praktiken. Praxis stellt sich zwar in menschlicher Tätigkeit her, aber diese ist immer schon durch die historischen Praktiken geformt (vgl. auch Julia Schnegg,,Praxis als Erkenntnis-und Theorieproblem -Die Feuerbachthesen von Marx und die Theorie der Praxis von Bourdieu, in: Horst Müller (Hg.), Die Übergangsgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Kritik, Analytik, Alternativen, Norderstedt: BoD-Verlag 2007, S. 38-52. 7 Bereits bei Ludwig Feuerbach, dessen bloß anschauenden Materialismus Marx in seinen "Thesen über Feuerbach" kritisiert, deutet sich eine solche Hinwendung zu einer praxistheoretischen Auffassung des Subjekts an. "Dem Kopf ergeben sich Hände und Füße und die Praktiken das Prädikat, sondern die Praktiken werden zu Subjekten und die Subjekte zu ihren Prädikaten; allerdings zu solchen Prädikaten, die die historisch konkreten räumlichen, zeitlichen, dinglichen und strukturellen Merkmale der Praktiken, in die sie sich verwickeln, nach und nach in sich aufnehmen, dadurch in den Praktiken handlungsfähig werden und darin ihrerseits Subjektstatus erlangen. Übliche Entgegensetzungen zwischen Subjekt und Prädikat (Objekt) lösen sich auf: Die tätigen Akteure sind Subjekt-Objekte ihrer eigenen Entwicklungen und Veränderungen, Produkte und (Ko-)Produzenten der Praktiken, aus denen sich die sozialen Welten bilden. Diese hier nur angedeutete praxistheoretische Perspektive auf das Soziale und seine Subjekte grenzt sich von idealistischen Sichtweisen ebenso ab wie von unhistorisch materialistischen: Weder begreift sie die Praxis als die Tätigkeit eines transzendentalen Ichs, das der Welt seine Regeln aufprägt, noch reduziert sie die Natur und den Menschen auf geschichtslose Objekte, die passiv der Anschauung dargeboten werden, sondern sie stellt die materielle Handlungspraktiken in den Mittelpunkt, in die zusammen mit den körperlich agierenden Menschen auch Räume, Dinge und Artefakte (wie die Sprache oder technische Geräte) verwickelt werden: In einer Traditionslinie, die sich von Marx über Bourdieu bis hin zu aktuellen praxistheoretischen Zugriffen 8 verfolgen lässt, gerät die tätige Auseinandersetzung konkreter Menschen mit der materiellen und symbolischen Welt in den Blick, in deren Vollzug sie zusammen mit den Ordnungen des Sozialen zugleich sich selbst als deren Subjekte schaffen -in einer ständigen (und deshalb begrifflich nur schwer zu fassenden) Bewegung der stillen Wandlungen 9 und Transformationen, die Physisches, Mentales und Emotionales gleichermaßen umfasst: Bewegungen,